Reiche, Steffen
Steffen Reiche ( 27. Juni 1960 in Potsdam, DDR) ist ein deutscher evangelischer Theologe und Politiker (Brandenburg); Landesvorsitzender der SPD (1990–2000); Landesmininister (1994–2004).
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Steffen Reiche, evangelisch, wurde am 27. Juni 1960 in Potsdam geboren. Er besuchte die Erweiterte Oberschule (EOS) und legte dort 1979 das Abitur ab. Anschließend absolvierte er 1980/1981 eine Tischlerlehre. Danach studierte er evangelische Theologie am Sprachenkonvikt Berlin (1981–1986). Den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) verweigerte Reiche.
Wirken
Von 1988 bis 1990 war Steffen Reiche Pfarrer in Christneudorf bei Trebbin. Am 7. Oktober 1989, dem 40. Geburtstag der DDR, gehörte er im Pfarrhaus Schwante bei Oranienburg zu den Gründern der damals noch illegalen Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP). Fünf der 15 Vorstandsmitglieder der neuen SDP waren evangelische Pastoren. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar zu erkennen war, daß die Tage der SED gezählt waren, scheute sich die neue Partei nicht, die Aufgabe des Machtmonopols der SED zu fordern, setzte allerdings zunächst noch auf eine Parallelentwicklung beider Staaten, bis deutlich wurde, daß die weitere politische Entwicklung in der DDR in immer schnellerem Tempo auf einen Zusammenschluss der beiden Staaten zusteuerte. Die Volkskammerwahl am 18. März 1990 zeigte allerdings noch die organisatorischen Schwächen der neu gegründeten Partei, die von der ehemaligen Blockpartei CDU klar distanziert wurde, obwohl die bundesdeutsche SPD Hilfe in Sach- und Personalfragen leistete. Der Parteiname SDP war bereits im Januar 1990 im Hinblick auf die erwartete Teilvereinigung in SPD geändert worden. Bis zur Auflösung der Volkskammer am 2. Oktober 1990 war Reiche als Potsdamer Abgeordneter ein maßgebliches Mitglied der SPD-Fraktion. Im Mai 1990 wurde er außerdem im dritten Wahlgang zum Landesvorsitzenden der SPD in Brandenburg gewählt.
Für die Landtagswahlen in Brandenburg am 14. Oktober 1990 hatte die SPD den angesehenen Kirchenjuristen Manfred Stolpe gewonnen, der als Spitzenkandidat wesentlich dazu beitrug, dass die SPD 38,3 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte und damit weit vor der, in den anderen neuen Bundesländern siegreichen CDU (29,4 %) lag. Reiche errang ein Direktmandat im Wahlkreis Luckenwalde I-Zossen III. Stolpe bildete eine „Ampelkoalition“ aus SPD, FDP und den Grünen, die allerdings bald darunter litt, dass Stolpe wegen seiner ungeklärten früheren Stasikontakte unter Dauerbeschuss geriet. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss brachte wegen widersprüchlicher Zeugenaussagen wenig Licht in die Angelegenheit. Auch innerhalb der Regierungskoalition kam es zu Differenzen um den Regierungschef. Besonders Günter Nooke (Fraktionschef Bündnis 90) griff Manfred Stolpe wiederholt scharf an. Die Ministerin Marianne Birthler (Bündnis 90) erklärte im Oktober 1992 sogar demonstrativ ihren Rücktritt und löste damit eine erste Koalitionskrise aus, zumal Stolpe Rücktrittsforderungen immer wieder als unbegründet ablehnte. Im März 1994 provozierten Nookes fortgesetzte Angriffe schließlich den Bruch der Ampelkoalition und die Spaltung des Bündnis 90. SPD und FDP stützten weiterhin den Ministerpräsidenten, vorgezogene Wahlen wurden abgelehnt, die Minister Matthias Platzeck und Roland Resch, die zu Stolpe standen und sich von Nookes Partei getrennt hatten, blieben als Parteilose im Kabinett.
Als Landesvorsitzender der brandenburgischen SPD stand Reiche zeitweise im Schatten von Manfred Stolpe, gewann aber doch eigenständiges Profil. Als Landeschef der brandenburgischen Sozialdemokraten wurde er im Mai 1992 und im Juni 1994 ohne Gegenkandidat erneut bestätigt, erhielt 1994 dabei allerdings nur 65 der 106 Delegiertenstimmen, was als „Denkzettel“ für den ihm nachgesagten Hang zu Alleingängen und einer gewissen Selbstherrlichkeit gewertet wurde.
Bei der Landtagswahl im September 1994 errang die SPD mit Ministerpräsident Manfred Stolpe bei einem spektakulären Zugewinn von 15,9 % gegenüber den Landtagswahlen von 1990 jetzt 54,1 % der Stimmen und damit eine klare absolute Mehrheit. Die CDU fiel auf 18,7 % zurück und lag damit gleichauf mit der SED-Nachfolgepartei PDS. Die gespaltenen GRÜNEN kamen ebenso wie die FDP nicht wieder in den Landtag. Reiche übernahm im zweiten Kabinett Stolpe (11. Oktober 1994) das Ressort Wissenschaft, Forschung und Kultur.
Als Minister ging der umtriebige Reiche seine neue Aufgabe mit großem Elan an, geriet allerdings mit unpopulären Sparmaßnahmen im Hochschul- und Kulturbereich schnell in die Kritik. Insbesondere die von ihm propagierte Neuordnung der brandenburgischen Theaterstruktur sorgte für heftige Debatten. Auf dem SPD-Parteitag im Juni 1996 erhielt er bei der Neuwahl zum Landesparteivorsitzenden überraschend eine Gegenkandidatin, konnte sich aber mit 82 gegen 29 Delegiertenstimmen (bei 18 Enthaltungen) klar durchsetzen. Im April 1996 gehörte er zu den Unterzeichnern eines von der Frankfurter Rundschau dokumentierten Beitrags ostdeutscher Sozialdemokraten, die im Verhältnis zur PDS eine Annäherung und Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene befürworteten. Im Frühjahr 1998 geriet Reiche erneut ins Schußfeld der Kritik, nachdem er versucht hatte, staatsanwaltliche Ermittlungen gegen die Sozialministerin Regine Hildebrandt und andere wegen des Verdachts der Haushaltsuntreue zu beeinflussen. Nach massivem öffentlichem Druck entschuldigte sich Reiche beim Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg. Auf seine Position in der SPD hatte die Angelegenheit allerdings wenig Einfluss: Im Juni 1998 wurde er ohne Gegenkandidat als Landesvorsitzender mit 75 % der Delegiertenstimmen ein weiteres Mal bestätigt.
Bei den brandenburgischen Landtagswahlen im September 1999 erlitt die SPD schwere Verluste, ihr Stimmenanteil ging auf 39,3 % zurück, während CDU (26,5 %) und PDS (23,2 %) kräftig zulegen konnten. Ministerpräsident Stolpe entschied sich nach dem Verlust der absoluten Mehrheit für eine Große Koalition mit der CDU und stellte am 13. Oktober 1999 sein drittes Kabinett vor, in dem Reiche als Nachfolger von Angelika Peter das Ressort Bildung, Jugend und Sport übernahm. Neuer Landesminister für Wissenschaft, Forschung und Kultur wurde Wolfgang Hackel (CDU).
Im Mai 2000 gab Reiche nach zehn Jahren den Verzicht auf den Vorsitz der Brandenburger SPD bekannt, in der es seit der Wahlschlappe 1999 rumorte. Zum neuen SPD-Landeschef wurde im Juli 2000 auf einem Parteitag in Oranienburg mit 80 % der Stimmen Matthias Platzeck gewählt. In seiner Abschiedsrede übernahm der glücklose Reiche die Verantwortung für das Wahlergebnis im September 1999, gab sich jedoch gleichzeitig kämpferisch und erklärte, man müsse als Bildungsminister weiter mit ihm rechnen.[1]
Für Konfliktstoff sorgte dabei innerhalb der Regierungskoalition – und nicht nur dort – die Einführung des schon 1996 beschlossenen und von Reiche befürworteten integrativen Unterrichtsfaches „Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde“ (LER) in Brandenburg. Die Spitzen der evangelischen und katholischen Kirche in der BRD sowie die CDU hielten das Fach, welches den konfessionellen Religionsunterricht als staatliches Pflichtfach ersetzen sollte, für verfassungswidrig. Die SPD/CDU-Koalition folgte nach einer Klage (2001) schließlich im Juni 2002 dem vom Bundesverfassungsgericht angeregten Vergleich, der LER beibehielt, den konfessionellen Religionsunterricht aber aufwertete.[2] Als ein Markstein in Reiches Bildungspolitik galt des weiteren die 2004 beschlossene Einführung des Zentralabiturs. Auch aufgrund sinkender Schülerzahlen stand zudem die Fusion der knapp 150 Real- und etwa 70 Gesamtschulen zur neuen Oberschule an. Ein entsprechendes Schulstrukturgesetz verabschiedete der Brandenburger Landtag im Dezember 2004.
Die Landtagswahl im September 2004 brachte vor dem Hintergrund der Proteste gegen die umstrittenen Arbeitsmarktreformen („Hartz IV“) der Bundesregierung sowohl der SPD (31,9 %, 33 Sitze) als auch der CDU (19,4 %, 20 Sitze) herbe Verluste. Beide Parteien einigten sich dennoch auf die Fortsetzung ihrer Koalition, nachdem Sondierungsgespräche zwischen der SPD und der PDS (28 %, 29 Sitze) gescheitert waren. Vor der Wahl hatte Reiche „mit Visionen und langem Atem für Bildung in Brandenburg“ geworben. In den ersten neun Jahren nach der Wende seien unter drei verschiedenen Bildungsministern viele Fehler gemacht worden. Nach 1999 sei im breiten Konsens mit der Bevölkerung vieles verändert worden. Die eingeleitete „Bildungsoffensive“ brauche Kontinuität. Bei der Neubildung der Regierung[3] berücksichtigte Ministerpräsident Platzeck (seit Juni 2002 Stolpe-Nachfolger) den langjährigen Minister jedoch nicht mehr. An Reiches Stelle holte er den Potsdamer Schulleiter und Politikneuling Holger Rupprecht als Bildungsminister in sein Kabinett. Im Landtag übernahm Reiche im November 2004 zunächst den Vorsitz des Ausschusses Europaangelegenheiten und Entwicklungspolitik.
Im September 2005 kandidierte Reiche dann erfolgreich bei der vorgezogenen Bundestagswahl: Er sicherte sich dabei im Wahlkreis Cottbus – Spree-Neiße mit 37,6 % der Erststimmen souverän das Direktmandat. Seinen Sitz im Landtag gab Reiche nach 15 Jahren auf. Er arbeitete im Bundestag als ordentliches Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union und im Ausschuss für Kultur und Medien mit. Außerdem war er Vorsitzender der Deutsch-Kaukasischen Parlamentariergruppe und Mitglied des Parlamentarischen Beirats der Stiftung für das sorbische Volk. Bei der Bundestagswahl im September 2009 verlor Reiche sein Direktmandat an Wolfgang Neskovic (DIE LINKE), der sich mit 30 % zu 27,9 % der Stimmen gegen Reiche durchsetzte. Da er in Brandenburg nicht über die SPD-Landesliste abgesichert war, schied Reiche aus dem Bundestag aus.
Nach dem Ende der Legislaturperiode nahm Reiche wieder seine Arbeit als Pfarrer der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) auf. Seit dem 25. November 2013 ist Reiche ordentlicher Pfarrer an der Nikolasseer Kirche.
Positionen
Reiche sagte: „Große Flüchtlingsströme aus dem Osten können der europäischen Kultur ein Ende setzen. Sie können für Europa gefährlicher werden, als die Rote Armee in der Zeit des Kalten Krieges.“[4]
Womit Nationaler sonst Prügel kassieren, bekennt Reiche vor einem freundlichen, mehrheitlichen SPD-Publikum am 18. August 1993: Ich „bin stolz, Deutscher zu sein!“ Selbst ein deutscher Spießer sei ihm eben näher, als ein ausländischer. Dieses nationale Gefühl zu betonen, müsse legitim sein und beschwor unter Beifall pastoral: „Nationaldenkende werden durch den Antinationalismus der Linken erst zu Rechtsextremen gemacht.“ Weiter behauptet er: „Die SPD ist die größte konservative Partei Deutschlands. Niemand hält so treu an überholten Relikten der BRD fest.“[5]
Kritik an Reiche
Der Chefredakteur der Zeitung „Die Welt“ Ulf Poschardt besuchte an Heiligabend 2017 die Christmette des evangelischen Pfarrers – und ehemaligen SPD-Politikers – Steffen Reiche. Der Journalist zeigte sich über den Gottesdienst empört. Er empfand die Ansprache als zu politisch. [6][7]
Ämter/Mitgliedschaften
IG BCE, AWO-Landesverband Brandenburg, Naturschutzbund, Landschaftsförderverein Nuthe/Nieplitz Niederung e. V., Deutsch-Polnische und Deutsch-Israelische Gesellschaft, Fontane Gesellschaft e. V., VCP - Pfadfinder und im Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM), Kuratorium Hoffbauer-Stiftung, Postdam, Präsident der Deutschen Jugendherbergswerks, LV Berlin-Brandenburg (seit 10/08), Präsident des Leichtathletikverbandes Brandenburg.
Familie
Steffen Reiche ist seit 1983 mit Ehefrau Katrin (geb. Schütze) verheiratet und hat drei Töchter (Rebecca, Elisabeth, Magdalena). Im März 1994 debütierte Reiche als Regisseur und inszenierte am Stadttheater Brandenburg das Ein-Personenstück „Tie-Break für Crazy Horse“ des Schweizers Claude Cueni. Er ist auch bekannt als versierter Redner und Vorleser. Zugunsten der Denkmalfördervereine Deutschlands nahm Reiche ein Hörbuch mit Weihnachtsgeschichten von Brecht, Dostojewski und anderen auf.