Die Geschichte der Juden in Berlin begann bereits kurz nach der Stadtentstehung. Seit 1671 siedelten sich Juden in Berlin an, sie prägten Teile des Stadtbildes (→ Scheunenviertel). Mit der königlichen Anordnung vom 11. März 1812 erhielt ein Großteil der in dem Land lebenden Juden das Staatsbürgerrecht.
Insbesondere durch den Zuzug von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion wuchs die Zahl der Juden in Berlin seit 1990 stark an. Heute leben in der Stadt mehr als 18.000 Juden[1] – davon rd. 10.500 in der Gemeinde.[2]
Das jüdische Leben in Berlin und Brandenburg erlebt derzeit eine Blüte: Laut der „American Jewish Committee“ ist Berlin die weltweit am schnellsten wachsende Gemeinde, das größte jüdische Familien- und Bildungszentrum der Republik befindet sich seit September 2007 in der Hauptstadt – und auch die größte Synagoge Deutschlands befindet sich in Berlin.
In Berlin lebten 2006 rund 1.500 aus dem Kaukasus stammende sephardische Juden und 2010 etwa 7.000 Israelis.[3]
Seit 1994 erhält die jüdische Gemeinde Berlin laut Staatsvertrag 9.800.000 DM an öffentlicher Förderung.[5]
Der Berliner Senat fordert seit Jahren mehrere Millionen Euro Schulden von der jüdischen Gemeinde zurück. Ein Fünftel des Jahresetats von etwa 25 Millionen Euro wird vom Berliner Senat aufgebracht; dazu kommen Zuschüsse für Schulen, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen. Die finanzielle Hilfe für die Gemeinde ist im Staatsvertrag mit dem Land Berlin verankert (vgl. Staatsvertrag zwischen der BRD und dem Zentralrat der Juden). Doch seit Jahren ist bekannt, daß die Gemeinde mit dem Geld nicht umgeht wie vereinbart: Sie finanziert ihren Mitarbeitern Betriebsrenten, die höher sind als die Zusatzrenten für Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes in Berlin.
Die Schulden der Gemeinde beim Berliner Senat sind daher auf fast fünf Millionen Euro angewachsen. Dazu kommt eine Zinslast von mehr als drei Millionen Euro.[6]
Das Judentum in Berlin wird mit dem Schuldkult (Holocaust-Kultstätten) und dem Kulturetat[7] der Stadt gefördert.
Jüdische Kalender
Die „Initiative 27. Januar“ und Jüdische Gemeinde gedenken am 20. Januar der „Wannsee-Konferenz von 1942“.
Am 27. Januar wird „Auschwitz“ und jeweils im Februar wird des „Frauenprotestes von 1943“ gedacht.
Um den 11. bis 18. März findet jeweils die bundesweite Veranstaltung „Woche der Brüderlichkeit“ zum christlich-jüdischen Dialog statt.
Das seit 1995 alljährlich stattfindende „Jüdische Filmfest“ (Jewish Film Festival) in Berlin bekommt einen öffentlichen Zuschuß von 135.000 Euro. Die Lottogesellschaft, das Bundespresseamt und die Studio Hamburg GmbH sprangen 2010 für ausbleibende Senats-Hilfen mit Zuschüssen ein.[9]
Das „Jüdische Filmfestival“ wird gefördert von der „Stiftung Lotto“[10] (der deutschen Klassenlotterie Berlin, dort sitzt Klaus Wowereit im Aufsichtsrat), dem „Hauptstadtkulturfonds“,[11][12] der Landesregierung in Brandenburg[13] und dem „Medienboard“ Berlin Brandenburg.[14]
Gesponsert wird es vom Excelsior Hotel,[15] von „Franke Brasserie, Bar and Lounge“,[16] von der „Dussmann Gruppe“[17] und vom Automobilhersteller Škoda.[18]
Medienpartner sind die Berliner Morgenpost, 3Sat, das Stadtmagazin tip, der multikulti-Sender Radio Eins und das AVIVA-Frauenmagazin.[19]
Am 25. April 2018 fand zum ersten Mal die Antisemitismus-Aktion „Berlin trägt Kippa“ statt.
Seit Mai 2010 findet jährlich in Berlin die „Jüdische Parade“ statt.[20] Ein Fest von jüdischen Vereine und Organisationen. Die „Jüdische Parade“ findet gleichzeitig auch in London, Neu York und Paris statt.[21]
Im Juli 2015 fanden die zionistischen „Maccabi Games“ in Berlin statt.[22]
Anfang August wird am Al-Quds-Tag gegen die Kritik an Israel demonstriert.[23]
Ende August sind die „Jüdischen Kulturtage“ ein fester Bestandteil jüdischen Lebens und israelischer Kultur in Berlin. Obwohl die finanzielle Lage der Berliner Jüdischen Gemeinde sehr angespannt ist, konnte sie mit kräftiger Unterstützung des Berliner Senates regelmäßig auch stattfinden. Weitere Förderer, Sponsoren und Medienpartner der Veranstaltung sind: Berliner Morgenpost, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Wall AG, Mercedes-Benz Niederlassung Berlin.[24]
Um den 8. September wird der „Tag der Erinnerung und Mahnung“ vom „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ durchgeführt.[25]
Um den 18. Oktober werden jährlich der ersten „Osttransporte“ von 1941 am Denkmal „Gleis 17“ (S-Bahnhof Grunewald) gedacht.
Jüdische Gemeinden in Berlin
Die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin:
der der Friedhof der Gemeinde Adass Jisroel ab 1880
der Friedhof der Jüdischen Gemeinde Köpenick, Dammvorstadt, Gehsener Straße, bis 1961
der Friedhof der Jüdischen Gemeinde Spandau, Schülerbergstraße/Neue Bergstraße, 1865–1940
Ein häufig genannter Jüdischer Friedhof vor dem Georgentor, an der späteren Judengasse, ist durch zeitgenössische Quellen oder Bodenfunde nicht belegt.[28]
Die Stiftung Deutsche Klassenlotterie[29] und die Landesdenkmalpflege fördern die jüdischen Friedhöfe Weißensee, Schönhauser Allee und Große Hamburger Straße.
↑Die Jüdische Gemeinde zu Berlin erlebte einen rasanten Anstieg ihrer Mitgliederzahlen. Dafür sorgten Ende der 1980er und Anfang der 1990er die vielen jüdischen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Mitgliederzahl stieg von 6.000 auf zeitweise 12.000 an – zur Zeit (2012) sind es noch etwa 10.500.
↑Rundfunk Berlin-Brandenburg, 26. August 2010: Die Jazzsängerin Efrat Alony im Interview
↑Von Ayala Goldmann, 15. Juni 2012: Ein Neuanfang in jeder Beziehung – Geschichte und Gegenwart der Berliner Jüdischen Gemeinde
Sie ist zwar die größte jüdische Gemeinde Deutschlands, inzwischen aber auch die mit den negativsten Schlagzeilen. Der Berliner Senat fordert mehrere Millionen Euro Schulden zurück, der neue Vorsitzende Gideon Joffe hat bisher kein Sanierungskonzept vorgelegt. Schon oft stand die Berliner Jüdische Gemeinde vor Neuanfängen. Ruth Galinski: „Sie müssen daran denken, daß wir befreit waren. Wir haben ein neues Leben gehabt. Und das war eigentlich die schönste Zeit meines Lebens, daß ich frei wurde. Und dadurch haben sich auch jüdische Menschen gefunden.“
Es war ein Neuanfang in jeder Beziehung: In den Gründungsjahren der Berliner Jüdischen Gemeinde lernte Ruth Galinski, heute 90 Jahre alt, ihren späteren Mann kennen. Die Ehe mit Heinz Galinski, der seine erste Frau in Auschwitz verloren hatte und die Berliner Gemeinde mehr als 40 Jahre leitete, hielt bis zu dessen Tod. 1938 war Ruth Galinski aus Dresden nach Polen umgesiedelt worden. Ähnliche Schicksale hatten die meisten Juden, die sich nach dem Krieg in Berlin zusammenfanden.
Inge Borck: „Wahrscheinlich hatten wir alle eine Sucht, uns zu freuen, zu vergnügen und für eine Gemeinschaft. Die Gemeinde war so gut besucht, und es war für uns ein solches Vergnügen, dort zu sein. Es gab sehr schnell jiddisches Theater, Lesungen, Konzerte, es hat sich überhaupt die jüdische Gemeinschaft unglaublich schnell entwickelt.“
Inge Borck, Ehrenvorsitzende des jüdischen Sportvereins Makkabi. Als Kind konnte sie der Deportation entkommen, beide Eltern wurden ermordet. Nur 8.000 Berliner Juden erlebten ihre Befreiung. Die meisten wanderten aus. Doch manche blieben – und andere kamen neu dazu. Vor allem »polnische Juden«. Ruth Galinski:
„Dann sind sie auf gepackten Koffern gesessen, das ging jahrelang, und sie blieben dann aber und haben sich wunderbar gemischt mit uns.“
Inge Borck: „Die Gemeinde war für uns alle wie eine zweite Heimat. Es gab sehr schnell Bar Mizwas, Hochzeiten.“
Und dann kamen die ersten Nachkriegskinder zur Welt. Wie Lala Süsskind, bis Februar 2012 Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Sie wurde 1946 im niederschlesischen Reichenbach geboren und kam als Baby mit ihren Eltern nach Berlin.
„Meine Eltern haben mich immer vor der Vergangenheit total geschützt. Ich bin eigentlich sehr spät erst darauf gekommen, was sich in Deutschland oder was sich aus Deutschland abgespielt hat. Als ich das dann mitbekommen habe, habe ich meinem Papa, den ich heiß und innig geliebt habe, den es leider nicht mehr gibt, gefragt: „Sag mal, spinnst du, im Land der Mörder zu bleiben?“ Woraufhin er dann sagte: „Weißt du was, wir haben hier wie viele Juden auf gepackten Koffern gesessen, aber meine sind zu schwer geworden.“ Glauben Sie mir, ich habe es damals überhaupt nicht verstanden. Nur, diese Worte kamen von meinem Papa, und ich habe mir gesagt: „Okay, er hat recht.“ Und demzufolge sind wir dann hier geblieben.“
1946 wurde die Jüdische Gemeinde zu Berlin offiziell neu gegründet. Im Hinterhof der Joachimstaler Straße 13 – im selben Haus, wo auch die orthodoxe Synagoge ihren Platz fand – entstand ein Kindergarten. Eine eigene jüdische Schule gab es damals noch nicht. Doch fast alle jüdischen Kinder aus den West-Sektoren besuchten die selbe Schule in Berlin-Wilmersdorf. Lala Süsskind: „Wir waren immer wahnsinnig stolz, denn wir waren mehr als die katholischen Schüler. Wir haben acht jüdische Schüler gehabt, acht bis zehn waren wir, und katholische Schüler waren wir nur vier in einer Klasse von über 30 Kindern! Und demzufolge war das für mich: Ich war nie Minderheit, wir waren mehr als die katholischen Kinder, das gab für mich so ein Gefühl von: Wir sind unheimlich viele.“
Erst 1986 wurde die jüdische Grundschule eingeweiht, die heute nach Heinz Galinski benannt ist. 1993 folgte das Jüdische Gymnasium. Doch schon viel früher verfügte die Berliner Jüdische Gemeinde über eine Infrastruktur, um die bis heute viele Juden in Kleinstädten beneiden. 1959 wurde das Gemeindehaus in der Fasanenstraße eingeweiht, 1962 die Jüdische Volkshochschule wiedereröffnet. Von der deutschen Teilung blieben auch die Berliner Juden nicht verschont. 1953 musste die organisatorische Trennung in eine Ost- und eine West-Gemeinde vollzogen werden. Hermann Simon, Leiter des Berliner Centrum Judaicum, erinnert sich:
„Naja, so lange die Grenze offen war, gab es natürlich die Kontakte. Das war bis 1961 der Fall. Danach nahmen die Kontakte auch in meiner Erinnerung ab, im Grunde fast auf Null. Wobei es immer Ausnahmen gab. Das eine ist Estrongo Nachama….der immer den Kontakt zu der Ost-Berliner Gemeinde hielt.“
Bis heute wird er von vielen Berliner Juden verehrt – der Sänger aus Thessaloniki, der wie Heinz Galinski Auschwitz überlebt hatte und mehr als 50 Jahre Oberkantor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war – von 1947 bis zu seinem Tod im Jahr 2000.
Hermann Simon: „Der kam in den Osten, der hatte sogar ein permanentes- oder wie das hieß, ein Dauervisum zur ständigen Einreise, das hieß vermutlich Dienstvisum, so daß er auch nicht den Zwangsumtausch da leisten musste, und er kam und stand der Ost-Berliner Gemeinde immer zur Verfügung, zum Beispiel bei Beerdigungen oder auch bei freudigen Anlässen, ganz abgesehen von ganz großen Konzerten, die er seit den 60er Jahren in der Rykestraße gegeben hat.“ Jochen Palenker, bis vor wenigen Monaten Finanzderzernent der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, hat West-Berliner Kindheitserinnerungen an den Kantor:
„Was mir immer noch ein bleibender Eindruck ist, war der Oberkantor Estrongo Nachama, der eine sehr kinderfreundliche Art hatte. Das war einer, der offensichtlich Kinder mochte.“
Von 1949 bis 1992 hielt Heinz Galinski die Gemeinde zusammen. Seine Kontakte zum Berliner Senat waren ausgezeichnet, und der Senat war schnell bereit, die Gemeinde auch finanziell zu unterstützen. Galinskis Führungsstil war intern keineswegs unumstritten. Inge Borck:
„Er war diktatorisch, vielleicht war es auch gar nicht so falsch und nötig. Es hat ihm auch keiner übel genommen, auch nicht in der Außenwelt, und er hat zumindest mit dieser diktatorischen Art unsere Belange sehr schnell durchgesetzt.“
Jochen Palenker: „Wenn eine starke Persönlichkeit geht, ist es eigentlich immer so, daß niemand da ist, der das Ruder in dieser festen Art weiterführt, und das führt dann dazu, daß sich deutliche Verwerfungen zeigen.“
1992 starb Heinz Galinski. Seine Nachfolger waren Jerzy Kanal, Andreas Nachama, Alexander Brenner, Albert Meyer, Lala Süsskind und Gideon Joffe. Doch zunächst erlebte die Jüdische Gemeinde zu Berlin einen rasanten Anstieg ihrer Mitgliederzahlen. Dafür sorgten Ende der 1980er und Anfang der 1990er die vielen jüdischenZuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Mitgliederzahl stieg von 6000 auf zeitweise 12.000 an – zur Zeit sind es noch etwa 10.500. Während viele ältere Zuwanderer bis heute kaum Deutsch sprechen, sind ihre Kinder fast alle gut in die deutsche Gesellschaft integriert. Doch Jochen Palenker, der aus einer der ältesten jüdischen Familien Berlins kommt, beklagt: Die Eingliederung in die Gemeinde sei weniger erfolgreich.
„Wir haben uns unheimlich gefreut, daß wir quasi diese neue Blutzufuhr hatten, aber die wirkliche Integration würde heißen, daß auch die jungen Leute, die aber hohe Einkommen haben und deshalb viel Steuern zahlen müssten, wenn die serienweise aus der Gemeinde austreten, weil ihnen das die Gemeindesteuer nicht wert ist, dann ist die Integration nicht gelungen.
Und darum geht es: Die Frage, jungen Einwandererkindern zu vermitteln, die hoch gebildet sind, warum sie Teil dieser Gemeinschaft sein sollen oder nicht. Unser Ziel war ja, daß wir mit viel Aufwand jüdische Menschen in unsere Reihen aufnehmen, und mit denen gemeinsam etwas Neues schaffen, was aber nicht heißen kann, daß die jetzt sind, wie wir früher waren. Es kann aber auch nicht heißen, daß wir jetzt werden müssen, wie die jetzt gerade sind.“
Der Rechtsanwalt Sergej Lagodinsky, Mitglied in der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wurde in der ehemaligen Sowjetunion geboren. Daß russischsprachigen Juden vorgeworden wird, viel von den jüdischen Gemeinden viel zu erwarten und wenig für sie zu tun, ist für ihn nichts Neues. Der Vorwurf treffe aber nicht nur Zuwanderer, sagt Lagodinsky:
„Wir haben auch ganz viele deutschsprachige Mitglieder, die diese Denkweise nicht verinnerlicht haben, diese Denkweise vom Geben. Wenn man zum Beispiel die jüdischen Gemeinden hier mit den Gemeinden in den USA vergleicht, dann ist man erstaunt, wie wenig es die Kultur vom Fundraising, von Spenden gibt. Also ich würde das nicht jetzt auf Sowjet-Ideologie oder Post-Sowjet-Hirnstrukturen, Denkstrukturen reduzieren, sondern das sind Symptome eines Zustandes von deutschen jüdischen Gemeinden.“ Ein Fünftel des Jahresetats von etwa 25 Millionen Euro wird vom Berliner Senat aufgebracht; dazu kommen Zuschüsse für Schulen, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen. Die finanzielle Hilfe für die Gemeinde ist im Staatsvertrag mit dem Land Berlin verankert. Doch seit Jahren ist bekannt, daß die Gemeinde mit dem Geld nicht umgeht wie vereinbart: Sie finanziert ihren Mitarbeitern Betriebsrenten, die höher sind als die Zusatzrenten für Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes in Berlin. Die Schulden der Gemeinde beim Berliner Senat sind daher auf fast fünf Millionen Euro angewachsen. Dazu kommt eine Zinslast von mehr als drei Millionen Euro. Nun scheint der Berliner Senat die Geduld verloren zu haben. Schon mehrere Jahre verhandelt er mit der Jüdischen Gemeinde über die Rückzahlung der Gelder.
Interne Machtkämpfe verhinderten immer wieder, daß die nötige Zweidrittelmehrheit im Gemeindeparlament zustande kam, um die hohen Renten zu kürzen. Jetzt warten alle auf Vorschläge von Gideon Joffe. Der 39 Jahre alte Betriebswirt steht seit Februar wieder an der Spitze der Gemeinde. Sergej Lagodinsky über einen der Gründe für Joffes Wiederwahl:
„Wir hatten vier Jahre, wo die Geschicke der Gemeinde bestimmt waren durch Leute, die sich zu dem Establishment der Gemeinde, so würde ich das wertneutral nennen. Leute, die hier aufgewachsen sind aus alten Berliner Familien oder Nachkriegs- zugezogenen Berliner Familien sind, und da gab es auch eine gewisse Entfremdung von Mitarbeitern oder Leuten, die hier kürzlich zugewandert sind.“ Gideon Joffe ist in Berlin aufgewachsen. Geboren wurde er in Tel Aviv, seine Eltern stammen aus Lettland. Im Gemeindewahlkampf hatte Joffe scharfe Vorwürfe gegen die bisherige Führung erhoben:
„Daß Immobilien leider verkauft werden, ohne ordentliche öffentliche Ausschreibung, all das sind Tatschen, die hier eine gewisse Lethargie einkehren lassen, die Mitglieder austreten lassen, die Zahl der Mitgliederaustritte hat sich erheblich erhöht, fast auf das Doppelte, und hier soll einfach wieder mehr Menschlichkeit, mehr zwischenmenschliche Wärme einkehren, und ich bin zuversichtlich, daß uns das gelingen wird.“
100 Tage sind seit seinem Amtsantritt vergangen. Doch ein Sanierungskonzept hat Joffe bisher nicht vorgelegt. Seine Kritiker in der Repräsentantenversammlung beklagen, ihm gehe es vor allem um seinen Machterhalt. Parlamentsmitglied Michael Joachim bemängelt Joffes Führungsstil:
„Wir fühlen uns, als wären wir in der Duma, im russischen Parlament, wo einer spricht und dann wird en bloc gewählt und verabschiedet.“
Sergej Lagodinsky: „Ob es die Duma ist oder ein Zentralkomitee der Deutschen Demokratischen Republik, ist eine andere Frage. Vielleicht ist es mit der Situation auf Kuba vergleichbar. Also, es gibt ganz verschiedene Vergleichsmuster, es muss nicht ständig Putin sein. Ich würde wirklich an alle appellieren, diese russenfeindlichen Vergleiche abzustellen. Es geht in erster Linie darum, daß diese Sitzungen unangenehm und intransparent sind.“
In der vergangenen Woche gab es nun ein erstes Treffen zwischen der neuen Gemeindeführung und dem Berliner Senat. Von Torsten Wöhlert, Sprecher von Berlins Kulturstaatssekretär Andre Schmitz war zu erfahren, der Dialog mit der neuen Gemeindeführung sei aufgenommen und werde fortgeführt.
Joffe selbst hat seit seiner Wiederwahl im Februar 2012 fast alle Interviewanfragen von Journalisten abgeblockt. Viele Gemeindemitglieder sind entsetzt von den derzeitigen Zuständen. Der ehemalige Finanzdezernent Palenker vergleicht die Jüdische Gemeinde zu Berlin mit dem hochverschuldeten Griechenland. Mit dem Hinweis, Hilfe gebe es nur für den, der mit seinen Helfern auch zusammenarbeite. Inge Borck sieht das genauso:
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie mit ansehen werden, daß die Gemeinde irgendwo nicht mehr existenzfähig ist. Das kann ich einfach nicht glauben. Und die Gemeinde muss sich aber auch anstrengen. Sie müssen dem Senat zeigen, daß sie am selben Strick ziehen und nicht entgegen. Und sie müssen auch sehr viel helfen.“
Auch Ruth Galinski appelliert an den neuen Gemeindevorstand:
„Schließlich und endlich bekommen wir ja viel Unterstützung vom Senat. Ich hoffe, daß etwas Vernunft von unserer Seite auch reinkommt. Denn schließlich und endlich leben wir zusammen, und es sind keine leichten Zeiten. Und das Menschliche ist immer das Wichtigste.“
↑rbb, 10. Mai 2012: Lesung auf dem Berliner Bebelplatz in Mitte. Es lasen Schüler der Jüdischen Oberschule und der Puschkin-Schule und auch Prominente aus Kunst und Kultur. Beate Klarsfeld, die Kandidatin der Linken bei der Bundespräsidentenwahl, trug Passagen aus dem Buch von Stefan Zweig „Amok“ vor. Unter den Teilnehmern war die Schriftstellerin Elfriede Brüning.
↑Rundfunk Berlin-Brandenburg, 25. April 2010: Jüdisches Filmfest beginnt in Berlin
↑Über 375.000 Euro kostet das Jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg bis 2018. Die Hälfte davon sollte der Hauptstadtkulturfond bezahlen, der hatte 20 Jahre lang stets gezahlt. Ab 2016 gäbe es keine Dauerförderung mehr, sondern die eingereichten Anträge werden von einer Jury stets neu geprüft. Der Antrag des Jüdischen Filmfestivals für die Jahre 2016 bis 2018 über jährlich 160.000 Euro (bei Gesamtkosten von jährlich 353.700 Euro) wurde von der Jury nicht zur Förderung empfohlen. Das Auswärtige Amt unter Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier übernahmen daraufhin 2016 die Kosten, sie hatten eine Notförderung zugesagt.