18. Jahrhundert
Das 18. Jahrhundert begann am 1. Januar 1701 und endete am 31. Dezember 1800. In philosophischer Hinsicht war es geprägt von der Aufklärung. Es markiert den Beginn der Moderne in Europa.
Hintergrund
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bestimmte der französische Hof von Versailles die Lebensführung der meisten deutschen Fürsten. Fast jeder kleine Fürst wollte ein Ludwig XIV. sein, baute gleich ihm prunkvolle Schlößer mit weiten Parkanlagen, veranstaltete kostspielige Feste und hielt sich seine Nebenweiber (Mätressen), die Unsummen Geldes verschwendeten. Bald lastete eine ungeheure Schuldenlast auf dem Land. Bürger und Bauern seufzen unter hoher Steuerlast. Ihre Klagen fanden kein Gehör. Der Bauer wurde wie ein Stück Vieh geachtet, und der Bürger war „die Kanaille“, die jeder Höfling mit den Fürsten zu treten, für Recht hielt. Der Fürst war „Die Majestät“, die unnahbar über jedem Untertanen stand. Gewissenlos verkauften deutsche Fürsten ihre Bauernsöhne an England, um für dieses seinen großen Kolonialbesitz in Amerika zu erkämpfen. Eine üble Gestalt wurde an manchem deutschen Fürstenhofe der Hofjude. Er besorgte dem Fürsten bares Geld für seine leeren Kassen und ließ sich Güter verpfänden, hohe Ämter verleihen, die Steuerpracht verschreiben und andere Vorrechte ausstellt. Unbarmherzig gingen diese Juden gegen die unglückliche Bevölkerung vor. In Württemberg zum Beispiel betätigte sich der „Geheime Finanzrat“ Oppenheimer – „Jud Süß“ - jahrelang als Blutsauger der Untertanen, bis er als Hochverräter am Galgen endete. Noch mehr als nach dem dreißigjährigen Kriege wurde französischer Geschmack maßgebend in Sprache und Dichtung, in Baukunst, Lebensweise und Kleidung. Man setzte sich die hohe, über und über mit Puder bedeckte Lockenperücke auf, trug weiten Samt, mit Gold und Silber bestickte Röcke, Kniehosen, die mit seidenem, oft edelsteingeschmückten Bande endeten, Kniestrümpfe und Schnallenschuhe und an der Seite den zierlichen Galanteriedegen. Die Frauen türmten die Haare, in mannigfachen Form hoch auf, stolzierten auf hohen Stöckelschuhen umher, schnürten sich in eine enge Schnürbrust ein und trugen den gewaltigen Reifrock, der jede natürliche Bewegungsfreiheit hemmte.
Ein besonderer Glanzpunkt höfischen Lebens war der Hof des Kurfürsten von Sachsen, der gleichzeitig König von Polen war. Prächtig ist das Schloß zu Dresden anzuschauen, seit dem August, der neue Kurfürst von Sachsen und König von Polen, die alte schöne Anlage aus dem 16. Jahrhundert in schwungvollen Barockstil bedeutend erweitert hatte. Prächtiger fast noch ist es im Inneren ausgestattet. Vier herrlich geschmückte Treppenhäuser führen nach oben, wo der große Festsaal liegt. Die Wände sind mit Wandgemälden bedeckt, kostbare Kristallleuchter hängen von der Decke herab. Die Möbel zeigen in geschweiften Formen und eingelegter Holzarbeit den neuen zierlichen Rokokostil. Ebenso die reizenden Figuren aus Meißner Porzellan, der Erfindung Böttgers, die auf Kaminen und Tischen stehen, die Porzellanleuchter, die von der Wand herab die Helligkeit vermehren. Schwere Teppiche und Läufer, in Brüssel gewebt, bedeckten den Parkettboden.
In der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die großen Herrscher Preußens und Österreichs das maßgebende Vorbild. Es mehrte sich die Zahl derjenigen deutschen Fürsten, ihm in Friedrich den Großen und Maria Theresia ihr Vorbild erblicken. Dazu gehörten zum Beispiel Karl Friedrich von Baden, Max Joseph von Bayern, Karl August von Weimar, Friedrich August III. von Sachsen. Sie waren sparsam und pflichtbewusst, förderten die Gewerbe- und Fabriktätigkeit, erleichtern die Lage der Bauern, veranlaßten den Anbau von Kartoffeln und Futterkräutern, milderten den Steuerdruck, waren duldsam gegen Andersgläubige, gründeten Schulen und pflegten Kunst und Wissenschaft. Allerdings unterblieb die Schaffung einer starken Reichseinheit und einer politischen deutschen Nation trotz dieser anerkennenswerten Leistungen deutscher Fürsten.
Denn sie fühlten sich, gleich den Herrschern Preußens und Österreichs, nur als Fürsten ihrer Länder. Allgemeine deutsche Gedanken mit dem Ziele, die Ohnmacht des Reiches zu beseitigen, findet man nahezu bei keinem. Auch der Deutsche Fürstenbund bezweckte nur die Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes. Wohl waren sie stolz, Deutsche zu sein; aber das Bewußtsein, als solche einem ganzen Volke anzugehören, mit dem sie selbst und ihr eigener Staat auf Gedeih und Verderben verbunden seien, war nicht vorhanden. Eine politische deutsche Nation gab es nicht. Auch der Sinn des deutschen Bürgertums blieb völlig in den engen Grenzen der Kleinstaaterei gefesselt. Das städtische Leben war ohne Kraft und Größe. Unter den Reichsstädten waren gänzlich heruntergekommene Orte. Selbst das einst so stolze Köln war „eine Bettlerstadt“ geworden.
Frankreich und England waren zu nationaler Einheit gelangt. Sie fingen an, die Welt unter sich aufzuteilen. Besonders England stieg zur ersten Weltmacht empor und um spannte die Erde mit dem Netz seiner Kolonien. Im Mittelalter hatte der Deutsche in Nord-, Mittel-und Osteuropa die staatliche Ordnung, die Wirtschaft und das Kulturleben bestimmt. Jetzt kam er nicht über seine Kleinstaaterei hinaus. Er wurde weltfremd, rechthaberisch und kleinlich und von den Ausländern belächelt. Doch gingen aus dem Kreise des Bürgertums jene großen Männer hervor, die dem deutschen Namen trotz der Ohnmacht des Reiches in der Welt wieder zu Ehren zu verhelfen trachteten. Ihr Wirken lag auf geistigem Gebiete, vor allem auf dem Gebiete der Kunst.
Deutsche Baumeister schufen die schönen Barockschlösser und -Kirchen, die einen Höhepunkt in der Geschichte der deutschen Baukunst bedeuten. Wenzeslaus von Knobelsdorff erbaute das Schloß Sanssouci, Andreas Schlüter schuf das schöne Reiterstandbild des großen Kurfürsten in Berlin. Balthasar Neumann war der Schöpfer des bischöflichen Schlosses zu Würzburg und der Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen am Main.
Prinz Eugen ließ in Wien das berühmte Märchenschloß Belvedere errichten. Am Ufer der Donau entstand bei Melk in Niederösterreich ein Benediktinerkloster, „der heiligste Klosterbau Deutschlands aus der Barockzeit“. München, Dresden und andere Residenzstädte schmückten sich mit prachtvollen Bauten. Aus vielen Ländern kamen Künstler nach Deutschland, um von deutscher Baukunst zu lernen.
Ebenso bedeutungsvoll wurde das Schaffen deutsche Musiker. Schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatten Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel unvergängliche Meisterwerke religiöser Tonkunst geschaffen. Aber doch blieb in Deutschland die italienische Musik vorherrschend. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann die Befreiung der deutschen Musik von fremden Einfluß. Deutsche Musiker wollten für das deutsche Fühlen auch einen eigenen deutschen musikalischen Ausdruck finden. Der Mittelpunkt dieser Bestrebungen war Österreich. Josef II. hat sie sehr gefördert. Er wollte auch dadurch dem österreichischen Kaisertum die Führung der Nation erobern. Er hob die italienische Oper in Wien auf und gründete die deutsche Oper. Wien hatte das große Glück, den größten Tonkünstler der Zeit zu besitzen: Wolfgang Amadeus Mozart. Er ist der eigentliche Schöpfer der deutschen Musik. Obwohl ein Schüler italienischer Meister, fühlte er sich doch schon in seinem Jünglingsjahren als Deutscher. In einem seiner Briefe lesen wir den schönen Satz: „Deutschland, mein geliebtes Vaterland, worauf ich stolz bin.“. Ihn empörte es, daß man auf deutschen Bühnen italienisch sang. Für ihn war die deutsche Sprache genau so gut singbar wie jede fremde Sprache. Seine Opern, besonders „Die Zauberflöte“, sind auch heute noch dem deutschen Volke ein „Heiligtum der nationalen Kunst“. Neben Mozart wirkte in Österreich Joseph Haydn. Seine Symphonien und Streichquartette sind für die musikkliebenden Deutschen der Prototp der „schönen Hausmusik“. Der feierliche Gesang „Großer Gott, wir loben dich“ und die Melodie unseres Deutschlandliedes haben seinen Namen auch in breitesten Volksschichten unsterblich gemacht.
Nach Mozart wirkte Ludwig van Beethoven, vielleicht der größte und populärste Musiker überhaupt. Er hat Werke von überragender Größe geschaffen, wie z. B. seine Fünfte- und die Neunte Smphonie mit ihrem berühmten Schlußsatz „Freude schöner Götterfunken“.
Mit dem Schaffen dieser Männer übernahmen die Deutschen die Führung in der Tonkunst. Die Vorherrschaft der Italiener war gebrochen. Die Musik galt geradezu als deutsche Kunst. Auf einem Gebiete war jetzt der Deutsche in Europa führend. Zum deutschen Musiker gesellte sich der deutsche Dichter. Friedrich Klopstock war seit Luther der erste deutsche Dichter, der die deutsche Sprache in packender Dichtung zu formen verstand. Durch ihn ertönte in der deutschen Dichtung das Lob der opferbereiten Vaterlandsliebe. Er begrüßte sein Vaterland mit dem Worten:
- „Dir ist ein Haupt umkränzt
- Mit tausendjährigen Ruhm!
- Du gehst hoch vor vielen Landen her.
- Ich liebe Dich, mein Vaterland!
- Und sinne dem edlen Gedanken nach,
- Deiner wert zu sein, mein Vaterland.“
So besang er alte deutsche Helden, wie Heinrich den Vogler und Hermann den Cherusker. In seinem Vaterlandslied läßt er ein deutsches Mädchen singen:
„Ich bin ein deutsches Mädchen! |
So schlägt mirs einst beim Namen |
Gotthold Ephraim Lessing nahm den Kampf gegen die Vorherrschaft des französischen Schauspiels in Deutschland auf. Sein ganzes Schaffen ist bestimmt von diesem Gedanken: Krieg den französischen Kunstregeln, Krieg den französischen Mustern, Krieg den französischen Geschmack. Im stolzen Selbstbewusstsein bekannt er: „Man zeige mir das Stück eines französischen Dichters, daß ich mir nicht getraute, besser zu machen.“ Er wusste, daß der Deutsche mehr leisten konnte als der Nachbar im Westen. Und in seiner unsterblichen „Minna von Barnhelm“ wies er dem französischen Wesen stolz und überlegen die Tür. Friedrich Schiller eroberte durch seine stürmischen Jugenddramen die deutschen Bühnen und schuf in seinen Meisterdramen und Balladen unsterbliche Werke. In beiden verherrlicht er als höchste Tugend eines Volkes den Sinn und Kampf für Ehre, Treue und Freiheit. Johann Wolfgang Goethe wurde Deutschlands größter Dichter, der besonders in „Götz von Berlichingen“, „Egmont“, „Hermann und Dorothea“ und „Faust“ die tiefen Seiten des deutschen Volkes dichterisch gestaltete.
Während dem deutschen Volke der politische Führer zur Einheit fehlte, schufen diese Männer durch Dichtung und Musik, „die aus dem guten deutschen Gewissen hervorging“, die deutsche Kulturnation. Die neue Bildung war Deutsch von Grund auf. Das durch Luther eingeleitete Werk der Einigung aller Deutschen durch die gleiche Sprache, wurde durch die deutschen Dichter vollendet. In ihrem Denken, Dichten und Singen war die Nation einig wie nie vorher. Ein politisches Deutschland kannte die Zeit kaum noch; aber das neue geistige Band schlang sich um die staatlichen Splitter, die den Namen nach ein Reich bildeten. Aber das Wirken dieser Dichter war nicht frei von Schwächen. Was sie um sich sahen, war ein kümmerliches staatliches Dasein, ein erbärmliches Spießbürgertum in den deutschen Städten, ein unterdrücktes Bauerntum auf dem Lande, tiefste Unsittlichkeit an manchen Fürstenhöfen, Unterdrückung jeder Äußerung aus gesunden Volksschichten nach Befreiung von Rechtlosigkeit und Willkür. So waren sie zwar stolz darauf, Deutsche zu sein und in deutscher Sprache zu singen und zu dichten.
Was den Deutschen fehlte, um gleichzeitig die einen aus ihrer kleinstaatlichen Enge, die anderen aus ihrer weltbürgerlichen Schwärmerei zu befreien, war ein sie alle gleich treffender schwerer Schicksalsschlag. Und schon stand das Schicksal vor den Grenzen des Reiches und holte zu einem zunächst niederschmetternden Schlag aus. Die französische Revolution von 1789 und die Herrschaft Napoleons I. bereiteten dem alten deutschen Reich seinen Untergang und und weckten neue Wünsche für seine Wiederentstehung.
Zitate
- „Die Staatenwelt des Abendlandes war im 18. Jahrhundert ein Gebilde strengen Stils wie die gleichzeitigen Schöpfungen der hohen Musik und Mathematik. Sie war vornehme Form, nicht nur in ihrem Dasein, sondern auch in ihren Handlungen und Gesinnungen. Es herrschte überall eine alte und mächtige Tradition. Es gab vornehme Konventionen des Regierens, der Opposition, der diplomatischen und kriegerischen Beziehungen der Staaten untereinander, des Eingestehens der Niederlage und der Forderungen und Zugeständnisse bei Friedensschlüssen. Die Ehre spielte noch eine unangefochtene Rolle. Alles ging zeremoniös und höflich vor sich wie bei einem Duell.“ - Oswald Spengler[1]