Heilige Lanze
Die Heilige Lanze ist das älteste Stück der Reichskleinodien der römisch-deutschen Könige und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Sie enthält angeblich ein Stück des Nagels vom Kreuz Christi. Nach der Legende gehörte die Lanze Mauritius, dem Anführer der Thebaischen Legion, oder nach anderen Quellen dem römischen Hauptmann Longinus, der mit ihr den Tod Jesu überprüfte, so daß sie auch mit dessen Blut getränkt sein soll.
Inhaltsverzeichnis
Erläuterung
Zeitweise war die Heilige Lanze das bedeutendste Stück der Reichsinsignien, später trat an ihre Stelle die Reichskrone. Die Lanzenspitze wurde in einem Hohlraum im Inneren des Querbalkens des Reichskreuzes aufbewahrt. Ein Herrscher, der diese Lanze besaß, galt als unbesiegbar. Sie war das sichtbare Zeichen dafür, daß seine Macht von Gott ausging, daß er der Stellvertreter Christi war.
Die Lanze wurde nach dem Überfall Frankreichs auf Deutschland zusammen mit den anderen Reichskleinodien während der Napoleonischen Feldzüge von Nürnberg nach Wien gebracht, um sie vor dem Zugriff Napoléon Bonapartes zu schützen.
Die Lanze wurde dann nach mehr als hundert Jahren wieder nach Nürnberg an ihren ursprünglichen Ort zurückgebracht und 1945 von Soldaten der Alliierten erneut nach Wien verschleppt.
Aussehen
Die Heilige Lanze, von der heute nur noch der Aufsatz erhalten geblieben ist, ist eine 50,7 cm lange Flügellanze. Der hölzerne Lanzenschaft fehlt. Aus dem Lanzenblatt ist ein Teil auf einer Länge von 24 cm und einer maximalen Breite von 1,5 cm herausgestemmt. In diesem ist ein als Dorn (lat. spina) bezeichnetes Eisenstück eingepaßt, dessen unteres abgebrochenes Ende fehlt. Er ist mit vierfachem Silberdraht befestigt. Dieser Dorn gilt als der „Heilige Nagel“.
Dort, wo sich das Lanzenblatt verjüngt, ist auf jeder Seite der Lanze eine Eisenklinge angebracht, in deren Rücken zu diesem Zweck Ösen gebohrt worden sind. An diesen nachträglich angefügten Eisenblättern befinden sich ungewöhnlich tiefe Scharten. Halt und Befestigung finden diese „Messerklingen“ hauptsächlich durch die von den Manschetten weitgehend verdeckten Lederbänder und den kunstvoll verspannten Silberdraht.
Das Lanzenblatt ist gebrochen. Die Bruchstelle ist dreifach verkleidet, zuerst mit einem schmalen Eisenband, dann mit einem breiten Silberblech und zuletzt mit einem Goldblech. Die silberne Manschette trägt auf einem vergoldeten Streifen folgende lateinische Inschrift:
- CLAVVUS + HEINRICVS D(EI) GR(ATI)A TERCIVS ROMANO(RUM) IMPERATOR AVG(USTUS) HOC ARGENTUM IVSSIT FABRICARI AD CONFIRMATIONE(M) CLAVI LANCEE SANCTI MAVRICII + SANCTVS MAVRICIVS
- (deutsch: „Nagel des Herren + Heinrich von Gottes Gnaden der Dritte, Kaiser der Römer und Augustus, befahl dieses Silberstück herzustellen zur Befestigung des Nagels der Heiligen Lanze des Mauricius + Heiligen Mauricius“)
Der Auftraggeber der silbernen Manschette war Heinrich IV. Er ließ diese in der Zeit zwischen 1084 und 1105 anbringen. Die oberste goldene Manschette, die Kaiser Karl IV. anfertigen ließ, ist mit der lateinischen Inschrift +LANCEA ET CLAVUS DOMINI, (deutsch: „+ Lanze und Nagel des Herrn“) versehen.
Geschichte
Entstehung
Metallurgische Untersuchungen der Hochschule in Leoben zeigten schon 1914, daß die Heilige Lanze erst im 8. Jahrhundert n. d. Z. nach dem Muster einer karolingischen Flügellanze hergestellt worden sein kann. Auf dem Hoftag zu Worms 926 erwarb König Heinrich I. die Heilige Lanze vom burgundischen König Rudolf II., der sie 922 vom Grafen Samson samt Herrschaft über Italien erhalten hatte, im Austausch gegen die Südwestecke des Ostfrankenreiches (die Umgebung der Stadt Basel). Bald bildete sich die Legende, Heinrich I. verdanke seinen Sieg über das gefürchtete Heer der Ungarn in der Schlacht bei Riade an der Unstrut im Jahre 933 nur dem Einsatz der Heiligen Lanze. Auch bei der Schlacht auf dem Lechfeld 955, bei der die Ungarn von Kaiser Otto I. endgültig besiegt wurden, soll die Lanze zum Einsatz gekommen sein. Untersuchungen durch die Universität Wien förderten jedoch keinerlei typische Kampfspuren auf der Lanzenspitze zu Tage. Die Heilige Lanze dürfte hingegen in ihren Anfängen als Fahnenlanze in Verwendung gewesen sein.
Schon das Mitführen der Heiligen Lanze bei Kriegszügen garantierte dem Herrscher die Unbesiegbarkeit. Daher ließ auch Otto III. auf seinem Zug nach Rom 996 die Lanze dem Heer voraustragen. Otto III. schätzte die Lanze so sehr, daß er eine Kopie an den ostgermanischen König Bolsleib den Kühnen verschenkte, als er diesen zu seinem „socius et amicus“ (geschätzten Freund) ernannte. Otto III. hatte die Lanze stets bei sich gehabt, auch als er im Alter von 21 Jahren in Italien ohne direkte Nachkommen starb. Bei der Überführung seines Leichnams nach Aachen im Jahre 1002 in Begleitung des Erzbischofs Heribert von Köln brachte der spätere Kaiser Heinrich II. die Reichskleinodien in seine Gewalt, um sich die Thronfolge zu sichern. Die Heilige Lanze war jedoch schon vorausgeschickt worden, und so setzte Heinrich II. auch den Bruder Erzbischof Heriberts, den Bischof von Würzburg, gefangen, um so die Herausgabe der Lanze zu erzwingen.
Erste Erwähnungen
Eine erstmalige umfangreiche Beschreibung der Lanze findet sich um das Jahr 961 bei Liutprand von Cremona, einem Geschichtsschreiber aus der Zeit Ottos I. Er schreibt über das Aussehen der Lanze (deutsche Übersetzung):
- „Die Lanze war anders als die sonstigen Lanzen, nach Art und Gestalt etwas Neues, insofern als das Eisen beiderseits des Grates Öffnungen hat, und statt der kurzen seitwärts gerichteten Zweige erstrecken sich zwei sehr schöne Schneiden bis zum Abfall des Mittelgrates ... Und auf dem Dorn, den ich vorher den Grat nannte, trug sie Kreuze aus den Nägeln (die durch die Hände und Füße unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi geschlagen waren) ...“
Prag, Nürnberg und Wien
Kaiser Heinrich IV. ließ einen Bruch der Heiligen Lanze durch eine Silbermanschette verzieren. In der Inschrift auf dieser Manschette wird sie noch als die Lanze des Heiligen Mauritius bezeichnet, eines römischen Legionärs und Märtyrers, der zur Zeit des römischen Kaisers Maximilian, Schwiegervater des Kaisers Konstantin, hingerichtet worden war. Eine Weitergabe des Speers durch Konstantin, wie es die Überlieferung besagte, wäre damit nicht ganz unwahrscheinlich gewesen.
Kaiser Karl IV. aus dem Hause der Luxemburger entdeckte die Heilige Lanze als Machtsymbol wieder. Da sich die Kaiserkrone im Besitz seiner Widersacher aus dem Hause Wittelsbach befand, ließ Karl die Lanze zur Legitimation seiner Kaiserwürde aus dem Zisterzienserkloster Stans in Tirol auf seine Residenz nach Prag bringen. Erst ab dem beginnenden 13. Jahrhundert ist durch ein päpstliches Schreiben die Legende überliefert, bei der Heiligen Lanze handle es sich um dieselbe Lanze, die von einem römischen Legionär mit dem Namen Longinus zur Überprüfung des Todes Jesu am Kreuz verwendet wurde. Zuvor hatten die Splitter der in der Lanze verarbeiteten Nägel, die angeblich vom Kreuz Christi stammten, ausgereicht, um den Ruf der Lanze als bedeutende Reliquie zu begründen. Wurden anfangs nur die Partikel von Nägeln erwähnt, so wurde später der Dorn in der Mitte der Lanzenspitze als Nagel vom Kreuz des Herrn bezeichnet.
Karl IV. ließ sich die Bedeutung der Heiligen Lanze als doppelte Reliquie vom Papst bestätigen und richtete zu ihren Ehren einen Feiertag ein. Um 1354, zur ersten Feier des „Hochfests der Heiligen Lanze samt Kreuznagel“, ließ Karl IV. den Bruch durch eine goldene weitere Manschette, über den ersten beiden aus Eisen und Silber, weiter festigen und entsprechend beschriften. Diese Manschette enthält eine Inschrift, die die Lanze als doppelte Reliquie kennzeichnet und den Nagel vom Kreuz Jesu erwähnt: LANCEA ET CLAVUS DOMINI – Lanze und Nagel des Herrn.
Während der Hussitenkriege in Böhmen wurden die Reichsinsignien und damit auch die Heilige Lanze von Sigismund 1424 der Stadt Nürnberg zur Aufbewahrung übergeben. Die Heilige Lanze zog, besonders am Hochfest zu ihrer Verehrung, große Pilgerscharen nach Nürnberg. Erst mit der Reformation endete die Bedeutung der Lanze als Reliquie.
Im Verlauf der napoleonischen Kriege waren die Reichskleinodien neuerlich gefährdet. Kaiser Franz II. befürchtete, Napoléon könnte den Anspruch auf den römisch-deutschen Kaisertitel erheben, sollte er in den Besitz der Reichsinsignien kommen. Daher ließ er diese 1796 zusammen mit der Heiligen Lanze zuerst nach Regensburg und 1800 in seine Schatzkammer in der Hofburg in Wien bringen.
Die Lanze im Dritten Reich
Adolf Hitler schrieb in „Mein Kampf“ in bezug auf die durch den „Deutschen Krieg“ 1866 vollzogene Trennung von deutsch-österreichischer und preußisch-deutscher Geschichte:
- „Die zu Wien bewahrten Kaiserinsignien einstiger Reichsherrlichkeit scheinen als wundervoller Zauber weiter zu wirken als Unterpfand einer ewigen Gemeinschaft.“[1]
Nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich unter Adolf Hitler wurden die Reichskleinodien 1938 von Wien wieder nach Nürnberg überstellt.
Es ist festzuhalten, daß die Lanze im Dritten Reich eine intensive Diskussion um die Lanze als Herrschaftsinsignie der Ottonen, vor allem in den Händen Heinrichs I. und Ottos I., begründete. Die ersten beiden Ottonen galten seit dem 19. Jahrhundert als Vorkämpfer der deutschen Ostausdehnung und erfuhren seit 1933 besondere Hochschätzung. An der Diskussion beteiligt waren der damals renommierteste Historiker Albert Brackmann mit wiederholten Aussagen zur Lanze als Mauritiusreliquie in den Händen Ottos, für den der in Magdeburg verehrte Mauritius als „Schutzpatron des deutschen Ostens“ gegolten habe; aber vor allem auch der im „Ahnenerbe“ mitarbeitende und an den Universitäten in München und Kiel lehrende Otto Höfler, der in einem Vortrag über das „germanische Kontinuitätsproblem“ beim Historikertag 1937 in Erfurt die Lanze als den „heiligen Speer Wotans“ identifizierte. Seiner These nach ist dieser Speer in der Heiligen Lanze als Reichslanze lediglich römisch-christlich überfremdet worden.
Filmbeitrag
Die Reichsinsignien (Reichskleinodien) mit der Heiligen Lanze derzeit in Wien:
Literatur
- Walter-Jörg Langbein: Lexikon der biblischen Irrtümer. Von A wie Auferstehung Christi bis Z wie Zeugen Jehovas. Langen Müller, München 2003, ISBN 3-7844-2922-X
- Charles Kingsley Barrett / Claus-Jürgen Thornton (Hgg.): Texte zur Umwelt des Neuen Testaments. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1991 [= UTB, Bd. 1591, ISBN 3-16-145619-X]
Verweise
- Karlheinz Weißmann: … und sogleich floß Blut, Junge Freiheit, 8. April 2012