Müntefering, Franz
Franz Müntefering ( 16. Januar 1940 im damaligen Neheim, heute Stadtteil von Arnsberg/Hochsauerlandkreis, in der damaligen Preußischen Provinz Westfalen) ist ein ehemaliger Funktionär der BRD-Blockpartei SPD. Von Oktober 2008 bis November 2009 war er deren Bundesvorsitzender, eine Funktion, die er schon 2004 und 2005 innehatte. Er verwaltete zeitweise das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2005–2007). Im Jahr 2013 schied er aus dem Bundestag.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Franz Müntefering wurde am 16. Januar 1940 in Neheim-Hüsten (Sauerland) als Sohn eines Landwirts geboren. Er wuchs katholisch und in einfachen Verhältnissen in der Kleinstadt Sundern auf.
Nach der Volksschule in Sundern machte Franz Müntefering 1954–1957 eine Lehre als Industriekaufmann. Den Wehrdienst leistete er 1961-1962 ab. Er versuchte sich in seiner Jugend als Literat und beschäftigte sich mit französischen Philosophen, las Camus und Sartre oder auch Dostojewski. Er habe „lange eine Art Doppelleben“ geführt, „brav“ in der Firma gearbeitet, daneben aber als Autodidakt „wie verrückt gelesen und gelernt“[1].
Wirken
Wesen
Franz Müntefering – oft auch von ihm zugeneigten Personen – einfach „Münte“ genannt, wurde von manchen als „die Seele der SPD“ angesehen. Keiner verstehe das Befinden der Mitglieder der SPD wie der Franz, hieß es verschiedentlich. „Münte“ wurde als ehrliche Haut und treuer Diener der Partei wahrgenommen.[2]
Politische Laufbahn
1998 und 1999 war er Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, von 2002 bis 2005 Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und ab 2004 auch Bundesvorsitzender der SPD. Von 2005 bis 2007 war Müntefering Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales im Kabinett von Angela Merkel. Nach einem Jahr Pause kehrte er im September 2008 auf die politische Bühne zurück und wurde im Oktober zum Nachfolger Kurt Becks als SPD-Chef gewählt.
Heuschrecken
Müntefering verglich Anfang 2005 sogenannte Private Equity Funds (außerbörsliche Kapitalbeteiligungsgesellschaft und Wagnisfinanzierungsgesellschaft) mit Heuschrecken, die alles kahlfressen und dann weiterziehen.
Eigenartigerweise fühlten sich gleich diverse Juden – u. a. Michel Friedman und Bundeswehr-„Historiker“ Michael Wolffsohn – dazu aufgerufen, ihren Volksstamm vermeintlich darin zu erkennen, obwohl Müntefering nicht die kleinste Andeutung in diese Richtung gemacht hatte. Sie pöbelten mit den üblichen Stereotypen – der eine lauter, der andere feiner – in der Öffentlichkeit.
Ungeachtet dessen hatte Müntefering vorher, in seiner Position als Verkehrsminister die bundeseigenen Autobahn-Raststätten von „Tank & Rast“ an eben solch eine „Heuschrecke“ verkauft.
Auch wurde unter Münteferings Ägide dem US-Ganoven-Geschäftsmodell Cross-Border-Leasing (= deutsch: „Über-die-Grenze-vermieten“) durch Legalisierung Tür und Tor geöffnet. Diese Ausplünderung von kommunalem Eigentum fand statt durch den Verkauf von kommunalen Infrastrukturen durch Bürgermeister, wie etwa Schulen, Rathäuser, Versorgungs- und Verkehrsunternehmen. Danach wurden diese Einrichtungen von diesen z. B. US-Fonds wieder zurückgepachtet, meistens mit einer Laufzeit von 99 Jahren.
Im Zuge seiner Kapitalismuskritik griff Franz Müntefering außerdem den Chef der Deutschen Bank und Angeklagten im Prozeß um millionenschwere Korruption bei Abfindungszahlungen im Zuge der Mannesmann-Übernahme, Josef Ackermann (Jude), an, weil dieser trotz eines guten Unternehmensergebnisses angekündigt hatte, tausende von Arbeitsplätzen ins Ausland zu verlagern, um eine noch bessere Rendite zu erzielen.
Siehe auch:: Heuschreckendebatte
Agenda 2010, Rente mit 67
Als Vizekanzler und Arbeitsminister der Großen Koalition setzte Müntefering Reformen (Agenda 2010) fast eigenmächtig mit der „Rente mit 67“ fort. Doch im Mai 2005 mußte der SPD-Vorsitzende, der seiner Partei Verantwortung für das Regieren geradezu gepredigt hatte, den Rückzug zu Neuwahlen antreten. Schröder und Müntefering retteten die SPD in die Große Koalition. Schröder trat ab, Müntefering wurde Vizekanzler. Parteivorsitzender blieb er nicht.[3]
Erst am 9. März 2007 verabschiedete der Bundestag, entgegen den Protesten von Bürgern und Gewerkschaften, die Rente mit 67 Jahren. Das Parlament billigte in offener Abstimmung den gemeinsamen Entwurf von CDU/CSU-Union und der SPD.[4]
Bundestagswahl 2005
Nach der Bundestagswahl 2005 hatte Müntefering am 10. Oktober 2005 zusammen mit Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und Angela Merkel ausgehandelt, daß die SPD Angela Merkel in einer Großen Koalition zur Bundeskanzlerin wählen würde.
Rücktritt als Parteivorsitzender
Am 31. Oktober 2005 fand im Parteivorstand eine Kampfabstimmung um die Nominierung von Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel zum Generalsekretär der SPD statt, den Müntefering vorgeschlagen hatte. Nachdem Andrea Nahles die Abstimmung zur Nominierung zur Generalsekretärin mit 23 zu 14 Stimmen gewann, kündigte Münte an, am 15. November auf dem Parteitag der SPD nicht wieder als Parteivorsitzender zu kandidieren. Sein Nachfolger als Parteivorsitzender wurde der nur sehr kurz amtierende Matthias Platzeck.
Leistung als Arbeitsminister
Seit Novemer 2005 sorgte Franz Müntefering als Bundesarbeitsminister mit einem Grundgehalt von 13.500 Euro monatlich dafür, daß es Arbeitslosen mit 345 Euro monatlich nicht zu gutging. 2006 bestritt Müntefering, daß es in der BRD „Schichten“ gibt.[5] Außerdem setzte er die Rente mit 67 durch, obwohl er noch im Wahlkampf 2005 gesagt hatte, daß dies „Quatsch“ sei, weil das tatsächliche Renteneintrittsalter weit darunter liegen würde und es notwendig sei, dieses zu erhöhen.[6] Als Müntefering keinerlei Korrekturen an der Agenda 2010 vornehmen wollte, fiel ihm selbst Gerhard Schröder in den Rücken.[7]
Rücktritt als Arbeitsminister und Vizekanzler
Am 13. November 2007 gab Franz Müntefering seinen Rücktritt als Bundesarbeitsminister und Vizekanzler bekannt. Er begründete dies mit der Krebserkrankung seiner Frau.
Rückkehr als Parteichef
Im September 2008 wurde Franz Müntefering nach dem Rückzug von Kurt Beck wieder Parteichef der SPD.
Nur einen Tag nach dem Absturz der SPD kündigte Müntefering am 28. September 2009 seinen Rückzug vom SPD-Vorsitz an, während Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier trotz mancher Bedenken von dem ausscheidenden Peter Struck den Fraktionsvorsitz übernahm. An die Stelle der Großen Koalition trat am 28. Oktober 2010 ein schwarz-gelbes Bündnis aus CDU/CSU (33,8 %) und FDP (14,6 %). Angela Merkel blieb Kanzlerin.
Zu Münteferings Nachfolger an der Parteispitze wählte ein SPD-Bundesparteitag in Dresden am 13. November 2009 Sigmar Gabriel. Zur neuen Generalsekretärin anstelle von Hubertus Heil bestimmte man Andrea Nahles. Dem erneuerten Vorstand gehörte Müntefering nicht mehr an. Müntefering nahm sein Bundestagsmandat wahr und wurde einfacher Abgeordneter.
Nach fast vier Jahrzehnten kündigte Müntefering im September 2012 seinen Abschied aus der Politik an.
Im November 2015 wurde Müntefering als Nachfolger der 85-jährigen Ursula Lehr (CDU) zum neuen Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) gewählt. Die BAGSO ist der Dachverband von 112 Seniorenverbänden mit insgesamt 13 Mio. Mitgliedern.
Positionen
- Wahlversprechen
- Davon, daß Politiker sich an Wahlversprechen halten, hält Franz Müntefering nichts. Der Tagesspiegel schrieb am 29. August 2006: „Müntefering bezeichnete es als ‚unfair‘, daß die Koalitionsparteien an ihren Versprechen im Wahlkampf gemessen würden.“[8]
- Bundestagswahl 2009
- Die FAZ meldete am 14. September 2008, daß eine Regierung mit der Linkspartei nach der Bundestagswahl für Franz Müntefering „völlig undenkbar“ sei.
- Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering will sich Koalitionen seiner Partei mit der Linken in den Bundesländern nicht in den Weg stellen. „Wenn es uns gelingt, mehr sozialdemokratische Ministerpräsidenten zu stellen, würde uns das helfen, mehr als es schadet“. Auch rot-rote Bündnisse in Thüringen und im Saarland, wo unmittelbar vor der Bundestagswahl 2009 gewählt wird, befürwortet der SPD-Chef. „Das macht mir keine Angst“. Die Debatte über Koalitionen der SPD mit der Linken werde die Bundestagswahl nicht wesentlich entscheiden. „Das regt die Menschen nicht mehr auf“, sagte Müntefering weiter. Müntefering stellte außerdem klar, daß er für längere Zeit Parteivorsitzender bleiben möchte. „Ich habe nicht vor, eine kurze Geschichte daraus zu machen“, betonte der SPD-Politiker. Er werde im Jahr 2009 erneut für den Posten kandidieren. Müntefering war im Oktober 2008 zum zweiten Mal zum SPD-Vorsitzenden gewählt worden.[9]
Zitate
- „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. — zu Ein-Euro-Jobs und Hartz IV:[10]
- „Eigentlich war doch vorgesehen, dass es nach der Einheit eine gemeinsam erarbeitete Verfassung gibt, deshalb hat die Bundesrepublik ja nur ein Grundgesetz.“[11]
Mitgliedschaften / Ämter
Stadtrat von Sundern (1969-1979); Arbeiterwohlfahrt (seit 1977), Mitglied SPD-Bundesvorstand (ab 1991), Stiftungsbeirat Herbert-und-Greta-Wehner-Stiftung, Dresden (ab 2003), Kovorstandsvorsitzender (mit Lothar de Maizière) der Deutschen Gesellschaft e. V., Berlin, Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) Deutschland e.V, Köln (jew. seit 2013).
Familie
Franz Müntefering war seit 1995 in zweiter Ehe mit Ankepetra (geb. Rettich) verheiratet, einer früheren Mitarbeiterin der SPD-Fraktion. Aus erster Ehe hat Müntefering die beiden Töchter Beatrix (geb. 1965; Industriekauffrau) und Mirjam (geb. 1969; Schriftstellerin). Sein Ministeramt legte Müntefering im November 2007 nieder. Wenige Wochen nach dem Tod seiner Frau Ende Juli 2008 kehrte Müntefering in die Spitzenpolitik zurück. Im Dezember 2009 heiratete er die 40 Jahre jüngere, gelernte Kinderpflegerin und Journalistin Michelle Schumann. Diese stammt aus Herne, ist seit 2004 Vorstandsmitglied der SPD Nordrhein-Westfalen und arbeitete seit Ende 2008 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Münteferings Berliner Bundestagsbüro. 2013 wurde sie per Direktmandat (Wahlkreis Bochum/Herne II) in den Deutschen Bundestag gewählt.
Verweise
Alwin Gerisch (1890–1892) • Paul Singer✡ (1890–1913) • August Bebel (1892–1913) • Hugo Haase✡ (1911–1916) • Friedrich Ebert (1913–1919) • Philipp Scheidemann (1917–1919) • Hermann Müller (1919–1928) • Otto Wels (1919–1933) • Arthur Crispien (1922–1933) • Johann Vogel (1931–1933) • Kurt Schumacher (1946–1952) • Erich Ollenhauer (1952–1963) • Willy Brandt (1964–1987) • Hans-Jochen Vogel (1987–1991) • Björn Engholm (1991–1993) • Rudolf Scharping (1993–1995) • Oskar Lafontaine (1995–1999) • Gerhard Schröder (1999–2004) • Franz Müntefering (2004–2005) • Matthias Platzeck (2005–2006) • Kurt Beck (2006–2008) • Franz Müntefering (2008–2009) • Sigmar Gabriel (2009–2017) • Martin Schulz (2017/18) • Andrea Nahles (2018/19) • Saskia Esken & Norbert Walter-Borjans (2019–2021) • Saskia Esken & Lars Klingbeil (seit 2021)
Fußnoten
- Landtagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen)
- Bundestagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen)
- Generalsekretär der SPD
- Vorsitzender der SPD
- Geboren 1940
- BRD-Politiker
- Bundesarbeitsminister
- Deutscher Politiker
- Bundesverkehrsminister
- Vizekanzler (BRD)
- Mitglied im Reichsbanner
- Arbeitsminister (Nordrhein-Westfalen)
- Gesundheitsminister (Nordrhein-Westfalen)
- Sozialminister (Nordrhein-Westfalen)