Suchenwirth, Richard Mathias August

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Buch über Sterbehilfe (1990) von Richard M. A. Suchenwirth

Richard Mathias August Suchenwirth (Lebensrune.png 1. November 1927 in Wien; ?) war ein deutscher Neurologe, Universitätsprofessor und Fachbuchsutor. Er war der Sohn des deutschen Historikers Richard Suchenwirth. Im Mai 2011 schrieb der pensionierte Suchenwirth aus seinem Wohnort in Herrsching am Ammersee (Seestraße 12) als Zeitzeuge für das LeMO (Lebendiges Museum Online) über seine Erfahrungen als Flakhelfer im Zweiten Weltkrieg.

Werdegang

Richard Suchenwirth als Flakhelfer in München; Er hat dabei viele Klassenkameraden verloren, sein älterer Bruder Oberreiter Harald (Todesrune.png 4. Mai 1925 in Wien) verstarb auf dem Heimkehrer-Transport bei Siemianowitz (Oberschlesien) angeblich an Ruhr, wobei manche Quellen davon berichten, daß deutsche Kriegsgefangenen aus den Zügen gezogen und vom polnischen Mob totgeschlagen wurden. Er erlebte, wie 1943 die Hochschule in München-Pasing, in der die Familie wohnte, ausgebombt wurde, sah verbrannte Studenten und von Treppenhäusern erschlagene Nachbarn. Die Familie übersiedelte daraufhin am 10. März 1943 in das kleine, ihnen gehörende Haus am Ammersee. Der 87jährige Prof. Dr. Richard Suchenwirth (inzwischen bettlägerig und erblindet) sagte dazu 2014: „Ich habe seelisch überhaupt kein Trauma mitbekommen, nie vom Krieg geträumt, obwohl ich fürchterliche Sachen gesehen habe. Ich habe mich selbst gewundert, wie gut ich das geschafft habe.“[1]
Flakhelfer aus München

Suchenwirth studierte Medizin in München, wo er 1950 zum Dr. med. promovierte. Als Assistenzarzt war er dann in München, Freiburg und Kiel tätig, war von 1951 bis 1962 Oberarzt an einer neurologischen Klinik in Lübeck und dann von 1962 bis 1966 Oberarzt an einer neurologischen Klinik in Erlangen. Von 1967 bis 1970. Von 1970 bis 1981 war er Chefarzt und Ärztlicher Direktor der Neurologische Klinik des Städtischen Krankenhauses Kassel (Akademisches Lehrkrankenhaus). Seit 1965 war er Privatdozent an der Universität Kiel und seit 1972 Professor an der Universität Erlangen.

Mitgliedschaften (Auswahl)

  • Verband Deutscher im Ausland (1934 als siebenjähriger)
  • Hitler-Jugend
  • Präsident des Wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Gesellschaft für die Bekämpfung der Muskelkrankheiten e. V. in Freiburg im Breisgau (1972—1974)
  • Deutsche Gesellschaft für Neurologie
    • 1989 bis 1998 Präsident der Gutachtenkommission der DGN
  • Lions Clubs International

Familie

Am 12. Juli 1955 heiratete Dr. Suchenwirth seine Verlobte Gertrud Meyer zu Hörste, aus der Ehe sind sechs Kinder entsprossen:

  • Gertrud E. I. Suchenwirth
  • Leonhard O. M. J. Suchenwirth
  • Richard G. H. Suchenwirth
  • Dietlinde Suchenwirth, verheiratet Bensiek (Pfarrerin)
  • Lioba Suchenwirth (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Robotik und Mechatronik)
  • Roland Suchenwirth (Dr. med.; Niedersächsisches Landesgesundheitsamt, Abteilung Umweltmedizin/Epidemiologie, Hannover; Mitglied der Kommission „Methoden und Qualitätssicherung in der Umweltmedizin“ am Robert Koch-Institut)

Am 24. Juli 1978 heiratete der Witwer Suchenwirth in zweiter Ehe Barbara Freiin von Fürstenberg.

Werke

  • Taschenbuch der klinischen Neurologie, Fischer Verlag, Stuttgart 1975
  • Neurologische Begutachtung, Fischer Verlag, Stuttgart und Neu York 1977, ISBN 9783437104916
  • Klinische Neurologie – Ein Bildtaschenbuch, Gustav Fischer Verlag, 1981
  • Warum krank? Wege zur Bewältigung körperlicher und seelischer Leiden, Herder Verlag, 1982
  • Neurologische Begutachtung – Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen (mehrere Auflagen), Fischer Verlag, Stuttgart 1987
  • Warum krank? Krankheitserlebnis und Krankheitsbewältigung (mehrere Auflagen), Herder Verlag, 1988
  • Sterbehilfe mit oder ohne Zyankali?, Verlag Weißes Kreuz, Vellmar-Kassel 1990
  • Neurologische Untersuchung. Ein Bildtaschenbuch (mehrere Auflagen), Urban & Fischer, München 1996, ISBN 978-3437107535
  • Neurologische Begutachtung bei inadäquaten Befunden. Befund und Befinden, Urban & Fischer in Elsevier Verlag, 1997
  • Freitod oder Selbstmord. Notausstieg als letzte Lösung?, Verlag Weißes Kreuz, Kassel 2002
  • Als Herausgeber: Maria Theresia. Ein Kaiserleben, Druffel-Verlag, Leoni am Starnberger See 1978; Reprint Verlag Holzminden 2003

Richard Suchenwirth: Meine Luftwaffenhelferzeit

Quelle
Folgender Text ist eine Quellenwiedergabe. Unter Umständen können Rechtschreibfehler korrigiert oder kleinere inhaltliche Fehler kommentiert worden sein. Der Ursprung des Textes ist als Quellennachweis angegeben.

Das Gerücht war dem wochenlang vorausgegangen. Der Genosse meiner Schulbank Oskar Sturm, in der Klasse 6 a des Theresiengymnasiums, hatte mir erzählt, dass er es morgens bei der Milchfrau gehört habe, Schüler der oberen Gymnasialklassen würden zur Flak eingezogen. Mein Banknachbar hatte immer wieder solch neue Nachrichten von der Milchfrau, die sich später als erstaunlich zutreffend erwiesen. Das Eigenartige war, dass ich die gleichen Dinge am Abend vor dem Radio sitzend vom Sender Beromünster gehört hatte. In der Schule wies der Lehrer Dr. Schmid sachlich-kühl darauf hin, dass die großen Ereignisse in den letzten Monaten Stalingrad und Tunis, also die Kapitulation des Rests der deutschen Afrikaarmee waren. Es gab einen kleinen Aufschrei des Entsetzens in der Klasse, aber im Grund wusste jeder, dass der Krieg einen sehr schlechten Verlauf für Deutschland genommen hatte. So verdichteten sich unsere Vorahnungen.

Auf der Theresienwiese, 19. Februar - April 1943

Tatsächlich war es dann bald so weit. Am 19. Februar 1943 hatten wir uns mit dem nötigsten Gepäck auf dem Schulhof des Theresiengymnasiums einzufinden und in einer Marschkolonne aufzustellen. Wir waren insgesamt 40 Schüler der Klassen 6 a und 6 b des Jahrgangs 1926 und 1927. Einige Schüler hatten sich rechtzeitig irgendwie abgesetzt. Die Schüler des Jahrgangs 1925 wurden bald danach zum Reichsarbeitsdienst und dann zu Militär eingezogen und kamen nicht mehr zur Flak. Nur wenige haben den Krieg überlebt.

Ein klein gebauter Unteroffizier mit etwas herben, vernarbt wirkenden, Gesichtszügen begrüßte uns knapp und formlos. Dann hieß es "Guffa uffnehme". Der Unteroffizier Krüger stammte, was unverkennbar war, aus Sachsen. Und so marschierten wir, von einigen Eltern begleitet, ohne jede sonstige Formalitäten zur nahe gelegenen Theresienwiese, wo unser erster Einsatz stattfinden sollte. Einige Eltern gingen neben unserer kleinen Kolonne von 40 Schülern. Wir wurden schnell und ohne viel Aufhebens in eine Baracke eingewiesen, die zu besseren Zeiten, also des Oktoberfestes, zur Versorgung Angetrunkener und Verletzter ziemlich in der Mitte der Wiese lag. Von oben sah fast direkt über uns die Bavaria auf dieses Spektakel herunter.

Dann wurden wir 40 in den rund 6 Räumen der Baracke verteilt und bekamen in Doppelbetten übereinander jeweils ein Bett zugewiesen. Die Strohsäcke mussten wir uns selber füllen. Gleich danach gab es blaugraue Uniformen, die uns behagten, zusammen mit einer HJ-Armbinde, die uns weniger behagte, weil sie uns als Soldaten minderer Ordnung auswies. (Sie wurde später praktisch nur ausnahmsweise an der Ausgehuniform getragen, anfangs noch an der Wache der Batteriestellung, später überhaupt nicht mehr. Unseren Vorgesetzten war dies gleichgültig.)

Der Batteriechef, ein Leutnant Knauer, begrüßte uns, wir erhielten einen besonderen Betreuer, einen Wachtmeister Koch, der sich wohltuend zurückhaltend, herzlich wenig um uns kümmerte. An eine gezielte, gar strukturierte Ausbildung könnte ich mich nicht erinnern. Die schwere Flakbatterie 4/456 mit 6 8,8 cm - Geschützen, der wir zugeteilt worden waren, hatte als Leiteinrichtung ein Kommandogerät 42, ein wohl schon kurz vorher abgeschafftes Horchgerät, ein "FuMG", also Funkmessgerät, zur Ermittlung von Höhe- und Seitengraden, sowie der Entfernung auch sonst unsichtbarer Flugzeuge bei Nacht und Wolken, sowie ein Malsigerät in der "Umwertung", eine höchst simple Konstruktion aus Holz, etwas Blech, mechanisch geführten Zeigestäben und Bindfäden. Es diente dazu bei Ausfall des eigenen Kommandogerätes oder Funkmessgerätes Messwerte von anderen Flakbatterien zu erhalten und für unsere Position umzuwerten.

Der Beginn unserer Tätigkeit war eher idyllisch. Ich war als Flugmelder eingeteilt und sah mit dem Fernrohr auf einem Stativ in den Himmel, studierte die Silhouette von München und unterhielt mich mit den verbliebenen Flaksoldaten, die ihren Dienst auch nicht allzu schwer nahmen. Die weitere Einteilung bei der Umwertung bedeutete, dass wir lediglich Werte ablesen und mit Kehlkopfmikrophonen weitergeben mussten, dies in einem kleinen Bunker. Ein wenig Aufregung oder eigentlich mehr Abwechslung vermittelte der erste Stubendurchgang durch einen Wiener Stabswachtmeister Unger, der uns ein wenig die militärische Art der Sprache, vor allem auch durch Lautstärke beibrachte. Wir hatten bald den Eindruck, dass er einer der hellsten nicht war und auch kein gutes Gedächtnis hatte. Beim ersten Stubendurchgang, der natürlich unerträgliche, unmilitärische Zustände in den Spinden und beim Bettenbau ergab, regte er sich besonders beim Mitschüler Hillreiner auf. Als er rund 30 Minuten später auch beim Mitschüler Hilpoltsteiner nicht eben ideale Verhältnisse vorfand fauchte er: "Hilpoltsteiner, bekannte Nummer das" weil er ihn offenbar wider bessere Logik und ohne Erinnerung mit dem im Gedächtnis gespeicherten Hillreiner verwechselte.

Im Übrigen war bei halbwegs vertretbarem Bettenbau und halbwegs angepasstem Verhalten der Ton bei der "4/456" eher gemütlich. An den Geschützen und Geräten fanden nur einfache Einweisungen und gewisse Übungen statt. Der Krieg schien in weiter Ferne. Am Sonntag hatten wir Gelegenheit von unserer Baracke aus das Pferderennen auf dem hinteren Teil der Theresienwiese - gegen Sendling gelegen - zu beobachten. Die laute Marschmusik zur Unterhaltung des Publikums .besonders die "Amboss-Polka" klingt mir heute noch im Ohr. Einen Ausgang benutzte ich um ins Theater zu gehen, ich sah Ibsens "Nora" mit Anne Kersten in der Hauptrolle. Da ich, ohne äußere Anregung, damals ganz versessen auf Ibsen war, war ich sehr erfreut darüber. (In meines Vaters Bibliothek hatte ich viele Ibsen-Bändchen in Reclam vorgefunden und nach und nach geholt. Mit der "Frau vom Meer" hatte es begonnen, die meisten Dramen der späteren Zeit folgten nach und nach während der Luftwaffenhelferzeit. Mich interessierten dabei vor allem die großartig dargestellten psychologischen Entwicklungen.)

Am Sonntag war uns freigestellt, in die St. Paulskirche zu gehen, die ja in nächster Nähe zur Theresienwiese lag und in der ich gefirmt worden war. Dies haben aber wohl nur ganz wenige wahrgenommen. Auf der Theresienwiese konnten wir auch noch einmal wöchentlich im öffentlichen Bad in Nähe der Kirche zum Duschen gehen. Sonst hatten wir in der Baracke nur kaltes Wasser zur Verfügung, was der Körperpflege nicht eben förderlich war.

Dann allerdings kamen die nächtlichen Fliegerangriffe. Aus irgendeinem Grund, ohne feste Einordnung an ein Gerät, verließ ich nachts am 9.3. beim Signal "Edelweiß", dem Deckwort für schnellste Herstellung der Abwehrbereitschaft, mit dem, an einer Nebenhöhlenentzündung erkrankten Kurt Müller unsere Baracke. Wir waren reine Zuschauer. Zunächst hörte man nur das Brummen von Flugzeugen, dann kamen die Scheinwerfer, die mit ihren langen weißen Armen den Himmel absuchten, bis sie sich überkreuzten und an einem Flugobjekt hängen blieben. Danach setzte das Feuer der schweren, bald auch das Bellen der leichten Flakbatterien mit Leuchtspurmunition ein. Etwas zuvor hatten englische Flugzeuge an verschiedenen Stellen des Himmels absinkende Leuchtraketen abgesetzt, die wir "Christbäume" nannten und ein buntes Bild boten. Kurz danach hörte man die Sprengbomben. Sie schlugen relativ weit entfernt ein. Es war ein Höllenspektakel, zumal auch die eigene Batterie immer wieder schoss. Nicht lange dauerte es, da brannten rings um uns überall Häuser, so dass die ganze Theresienwiese hell erleuchtet da lag. Um uns klackerten Granatsplitter zu Boden. Ein eigenartiger Geruch teils nach Schießpulver, teils ein Brandgeruch lag in der Luft. Die Feuer ringsherum brannten noch lange weiter, auch als man längst keine Flugzeuge mehr hörte. Ich muss gestehen und möchte mich keineswegs dessen rühmen, dass wir bei alledem keinerlei Angst hatten, eher Neugierde und danach von dem Feuerwerk fasziniert waren. (Etwas beschämt dachte ich an Kaiser Nero und verstand, dass er beim Anblick des brennenden Roms in Ekstase geraten sein soll.) Es war der erste, schwere Fliegerangriff auf München, bei dem wie man später erfuhr, mehrere hundert Menschen, teilweise unter entsetzlichen Qualen (verbrannt!) gestorben sind! Über 70.000 Bomben sollen von den englischen Flugzeugen abgeworfen worden. Aber daran dachte man in diesen Stunden nicht.

Am nächsten Morgen wurden alle Luftwaffenhelfer heimgeschickt. Sie sollten nachsehen, ob zu Hause alles in Ordnung war. Ich, der damals meine Familie am Stadtrand in Pasing wusste, fuhr nicht heim, weil die Fahrt ziemlich weit war. Einige Stunden später kamen alle Klassenkameraden zufrieden zurück. Keine der Familien hatte Schaden erlitten – aber dann kam der Anruf, ich müsste sofort nach Pasing kommen, das Gebäude sei weitgehend abgebrannt.

Als ich vor der Hochschule stand, in der wir gewohnt hatten, sah ich, dass das gesamte Dach und das Obergeschoß abgebrannt war. Brandgeruch lag in der Luft Unsere Habe stand aufgetürmt auf dem Bürgersteig. Zum Glück regnete oder schneite es nicht mehr. Beim Brand der Hochschule war ein armer Student, der im Krankenzimmer gelegen hatte und nicht mehr herausgefunden hatte, ums Leben gekommen - wie auch ein Nachbar, den ich nicht gekannt hatte, der retten wollte, was zu retten war. Er war von einer zusammenstürzenden Treppe erschlagen worden. Die Familie saß vor der Ruine auf umherstehenden Möbeln. Man sprach nur das Nötigste, geklagt wurde nicht, wozu auch. Der Hausverwalter der Übungsschule versorgte uns mit Kaffee. Die Familie zog dann mit dem verbliebenen Teil der Habe noch am 10. März zum Ammersee, wo wir glücklicherweise ein kleines altes Haus hatten.

Die erste Idylle war vorbei. Wir blieben auch nicht mehr lange auf der Theresienwiese. Die Batterie wurde mit zwei anderen als Großbatterie nach Krailling, eigentlich Planegg verlegt, wo wir am Ortsrand neben der Straße nach Martinsried, schräg gegenüber der Kirche und des Friedhofs Stellung bezogen. Unsere Flakstellung lag im übrigen rund 10 Kilometer Luftlinie von der Flakstellung in Gulching entfernt, in der etwa gleichzeitig Josef Ratzinger – später Papst Benedikt der XVI. seinen Dienst als Flakhelfer tat – ähnlich wie ich später als Telefonist.

Pullach (Ende Mai bis Juli 1944)

Während meiner Luftwaffenhelferzeit blieb ich rund ein Jahr in Krailling. Dann kam die Verlegung der Batterie nach Pullach, wo kurz zuvor ein gewaltiger Luftangriff gewesen war. Ein Teil der dortigen Baracken hatte dabei gebrannt, einige waren ganz zerstört, die meisten nur leicht, aber glücklicherweise hatte keiner von der Batterie körperlich Schaden genommen. Hier erlebte ich auch einen sehr schweren Luftangriff auf die Fabrik Linde in Höllriegelskreuth. Ich war, wie gewöhnlich, im Bunker und hörte die Bomben in der Luft vor dem Aufschlag rauschen. Wiederum hatte ich - nicht geprahlt -naiverweise keinerlei Angst. Ein älterer Soldat, der mit im Bunker saß, verkroch sich unter den Tisch, worüber ich herzlich lachen musste. Wir bekamen jetzt andere Geschütze des Kalibers 10,5 cm und nannten uns Batterie 4/384. Batteriechef war ein Oberleutnant Schönberg, später ein Oberleutnant Falk. Die Granaten dieser Kanonen konnten auch höher fliegende Flugzeuge erreichen. Wo unserer 8,8 cm Geschütze abgeblieben waren weiß ich nicht.

In Pullach lag unsere Stellung gegenüber vom "Berchmann-Kolleg", der Hochschule für Jesuiten. Die wenigen Fahrten nach Hause dauerten so jetzt recht lange. Ich erinnere mich auch eines Tages den Weg zu einem Großteil zu Fuß gegangen zu sein, da die Vorortsbahn und die Straßenbahn ausgefallen waren. Beim Vorbeigehen an brennenden Häusern wurde man hier und da gebeten zu helfen Möbel herunterzutragen und ähnliches mehr.

Die Stadt München hatte sich immer mehr verändert und gewaltige Wunden erlitten. Man ging allerdings erstaunlich ruhig, fast gefühllos daran vorbei - wohl auch weil man wusste, dass es andere Städte wie Köln und Hamburg noch viel schlimmer getroffen hatte und immer noch traf. Auch lebte man nur von Tag zu Tag. Inzwischen war die Zahl der alten Klassenkameraden immer kleiner geworden. Einige waren Reserveoffiziersbewerber geworden und hatten eine silberne Kordel an der Schulterklappe tragen dürfen. So weit ich weiß ging keiner aus unseren Klassen zur Waffen-SS. Überhaupt war von einer Begeisterung, wie sie von 1914 überliefert wurde, keine Rede. Man nahm die Dinge wie ein unausweichlich auf einen zukommendes Schicksal eher fatalistisch an. Die meisten waren noch - wie ich auch - zum Luftwaffenoberhelfer ernannt worden. Wir hatten schon in Krailling Abschied gefeiert und zu dieser Gelegenheit wurde sogar eine Schülerzeitung verfasst. Die Redaktion lag vor allem bei Hans-Detlev D., Helmut S. und wohl auch Werner S.. Gelegentlich blättere ich sie heute noch wehmütig durch.

Der Unterricht wurde immer seltener und fiel begreiflicherweise immer häufiger, schließlich in Pullach, ganz aus, da die Tagesangriffe der Amerikaner mit ihren "Flying Fortress" und "Liberator" einsetzten. Sie zogen, wenn sie uns in großer Höhe überflogen lange Kondensstreifen hinter sich her. Sie – so erzählte man sich – sollen bei Foggia in Süditalien auf einem Großflughafen stationiert und so uns schon recht nahegerückt gewesen sein. Einmal konnte ich beobachten wie ein Bomber von der Flak abgeschossen wurde und einige Insassen mit dem Fallschirm absprangen. Ein amerikanischer Soldat wurde von unseren Flaksoldaten zum Batteriechef gebracht. Man raunte, dass dieser ihm eine Zigarette angeboten hatte – was einige absolut falsch fanden, andere aber durchaus verteidigten. Einmal sah ich auch, was mich empörte, dass noch einige Salven in die Luft geschossen wurden, obwohl das Flugzeug schon abstürzte. Ob die Grananten den abspringenden Piloten galten? Lange habe ich mir später überlegt, ob man dagegen etwas hätte machen können oder sollen. Vielleicht hätte man eine Ladehemmung vortäuschen können? Im Übrigen ging dies alles so schnell, dass man groß über die Moral der Handlungsweise nicht nachdenken konnte. Die Bomber hatten wieder schwere Schäden nun auch tagsüber in München verursacht und sicher auch viele Menschenleben auf dem Gewissen.

Aus unserer Klasse ist bei der Flak niemand gefallen. Einer der Gruppe (Willibald Glas) erhielt noch in Krailling das schwarze Verwundetenabzeichen, aber auch nur, weil er sich, in der Nähe seines Geschützes stehend, einen Hörschaden zugezogen hatte. Aus meiner früheren Pasinger Klasse, die im Gleisdreieck zwischen Pasing und Laim stationiert war, starb Klaus Martin und ein weiterer mir nicht bekannter Luftwaffenhelfer bei einem Fliegerangriff. Ich war bei der Beerdigung von Klaus, einem freundlichen, immer vergnügt wirkenden eher rundlichen Mitschüler, in Planegg dabei. Der Friedhof lag direkt neben unserer Flakstellung. Bei der Einäscherung des zweiten gefallenen Luftwaffenhelfers war ich als "Ehrenwache" eingesetzt.

Niemtsch (Juli - September 1944)

Im Sommer 1944 kam dann die Verlegung nach Niemtsch bei Senftenberg – ein kleines Bauerndorf im westlichsten Zipfel von Niederschlesien, dicht bei der Lausitz zum Schutz der Brabag (Braunkohlen-Benzin-AG). Wir wurden in große Güterwagen gebracht, bekamen Stroh hineingeworfen und waren dann etwa 30 Luftwaffenhelfer in einem geschlossenen Wagen. Die Fahrt dauerte sehr lange, wohl mindestens zwei Tage. Der Zug fuhr durch die Oberpfalz, das Bahnhofsschild von Marktredwitz und der Anblick zahlreicher alter Dampflokomotiven ist mir noch vom Vorbeifahren her in Erinnerung. In Niemtsch waren wir Luftwaffenhelfer anfangs noch in einem innerhalb des alten Dorfes und unter alten Linden gelegenen Gasthaus untergebracht, bis unsere Baracken neben den Geschützstellungen aufgerichtet waren. Ich wurde wieder als Fernsprecher eingesetzt, wobei wir jetzt ein großes "FuMG Würzburg Riese " neben uns stehen hatten. Die Anflüge von Bombern mit begleitenden "Lightning-'Jäger, vielleicht auch "Thunderbolts", wurden immer häufiger. Bomben wurden jedoch in unserer Nähe nicht abgeworfen.

Inzwischen war der Klassenverband weitgehend aufgelöst. Unterricht bekamen unsere Klassen – also mit den zwei unteren Klassen des Theresiengymnasiums und einer aus Kempten – zusammen, von einem Studienrat des nächstgelegenen Gymnasiums. Es war ein wunderschöner sonniger Sommer. Wir waren viel in einemecht gut angelegten Bad in der Nähe der Stellung, zumal auch die Batterie anfangs noch nicht einsatzbereit war. Einige Wochen wohnten wir dann noch in dem gegendtypischen Gasthaus der Gemeinde Niemtsch, das einen größeren teilweise schattigen Garten aufwies, in dem wir auch Sonnenbäder nehmen konnten. Wir probierten das dort übliche Bier, aber der recht süße Geschmack des dunkelbraun aussehenden Getränkes erinnerte so gar nicht an das bayerische Bier und stieß uns eher ab.

Man berichtete mir, dass der Studienrat des benachbarten Gymnasiums sich darüber sehr verärgert geäußert habe, dass die Schüler aus Oberbayern und dem Allgäu insgesamt wenig nationalsozialistisch schienen und horribile dictu mit "Grüß Gott" grüßten. In der Schule, die dann Lazarett wurde, fand ich ein Plakat, das mir doch sehr zu denken gab. Auf ihm waren Friedrich II. von Preußen, Bismarck und Hitler abgebildet - beim erstgenannten stand "Gründer des Reiches", beim zweiten "Ausbauer des Reiches", bei Hitler "Vollender des Reiches". Dies war für mich, als gebürtigen Österreicher (mit westfälischer Mutter), der respektvoll auf Heinrich I., vielleicht sogar Karl I. blickte, schwer erträglich.

Im Übrigen mussten wir zum ersten und einzigen Mal im Krieg einige Schüsse aus Karabinern auf Schießscheiben abgeben. An den häufigen schönen Sonnentagen sahen wir dann immer wieder am Himmel, aber recht hoch, die Schwärme von amerikanischen Bombenflugzeugen, meistens kaum erreichbar für unsere Geschütze. Deutsche Jagdflugzeuge, gar Luftkämpfe, konnten wir nicht beobachten. Die BRABAG (Braunkohlenbenzin AG) die wir schützen sollten, wurde weiterhin nicht angegriffen. Als Fernsprecher eingesetzt, konnte man unbeobachtet die verschiedensten Sender hören, auch etwa gelegentlich den "Soldatensender Calais" und einen Sender "Hagedorn". Sehr beeindruckt haben uns diese Sendungen nicht. Das Herankommen des Ende des Krieges war genügend an vielen anderen Zeichen erkennbar. Mit den Mitschülern Günter Baur und Hans Weber aus Kempten unterhielt ich mich viel auch darüber was wohl nach dem zu erwartenden Kriegsende wäre - und wir zogen in langen politischen Diskussionen recht naiv in Betracht, dass dann vielleicht Brüning wieder Kanzler würde. Die Ereignisse des 20. Juli 1944 nahmen wir eher mit Skepsis auf, hielten es sogar für möglich, dass diese arrangiert worden seien, um wieder einmal die Vorsehung ins Spiel zu bringen. Dazu innerlich wirklich Stellung für oder gegen die Partei, den Staat und seine Regierung zu beziehen, kamen wir gar nicht, vielleicht auch wiederum aus einem gewissen Fatalismus heraus. Zudem interessierte uns gute oder schlechte Handlungen einzelner Menschen mehr als alle Ideologien. Begeisterte Befürworter des nationalsozialistischen Systems habe ich nicht kennen gelernt, nur einmal einen Soldaten sagen hören, dass es furchtbar wäre, wenn wir den Krieg gewinnen würden. Die meisten äußerten sich nicht. An Wunderwaffen glaubten wir nicht.

Die Gegend um Niemtsch war uns ausgesprochen fremd. Dort wurde großflächig Braunkohle im Tagebau abgebaut, wozu riesige Maschinen und ein Kleinbahnsystem aufgebaut waren. Wir hörten immer wieder das Fiepen der Lokomotiven, die lange Züge von Loren, die Kohlen abtransportierten. Der Boden war absolut sandig. Ein jüngerer Mitschüler Fink hatte das Glück, einen Amethyst zu finden, was mir nicht gelang. Im Übrigen war die Landschaft großflächig zerstört, man sah keinen Wald mehr. Die Luft war schmutzig vom Staub der Braunkohlen. Gegen Morgen lag oft ein dichter feiner Kohlenstaub auf den Festerbrettern.

Von Vorkommnissen außerhalb des normalen Kriegsalltags in der Heimat merkten wir nichts. Wir waren auch mit den kleinen Alltagsproblemen im Dienst viel zu sehr eingespannt, um uns etwa herumhören zu können und mussten uns genügend Gedanken um unsere eigene Zukunft machen. Die geringe Freizeit verging schnell mit einigen wenigen Freuden und Kontakten mit Verwandten. (Nur einmal erzählte mir – später im Reservelazarett – ein Mitkranker (Rechtsanwalt Mütsch aus Freudenstadt) unter vier Augen sichtlich aufs Äußerste empört, dass man im früheren Polen, dann Warthegau, dortige polnische Bewohner nachts in Stundenfrist abgeholt und rücksichtslos über die Grenze ins sogenannte Generalgouvernement transportiert habe, ohne dass diese Menschen wussten, wo sie unterkommen sollten.)

Im Lazarett Senftenberg (5. September 1944 - 10. Februar 1945)

Der ausgesprochen heiße und schöne Sommer hinterließ also zunächst manche erfreuliche Eindrücke. Dann allerdings trat bei uns eine "epidemische Gelbsucht", also Hepatitis auf, von der ich und viele Mitschüler erfasst wurden. So kamen wir ins Reservelazarett Senftenberg, wo ich anfangs "quittegelb" bis Mitte Februar verblieb. Die Kontakte zu den anderen Klassenkameraden waren dabei weitgehend abgerissen. Im Lazarett hatte ich zunächst reichlich Muße Bücher u. a. aus der Volksschulbibliothek zu lesen, in der das Lazarett untergebracht war. Auch konnte ich bei gelegentlichem Ausgang mir unter anderem die nicht ganz vollständigen Werke von Strindberg erwerben und trug also von da an immer viele Bücher mit mir. Im Lazarett traf ich noch die Mitschüler Hermann Schnettger und von Saint George, die ebenfalls eine Hepatitis hatten. Bei letzterem imponierte mir, dass er, wie manche andere Lazarettinsassen mit großen Geschick und Fleiß aus einfachen Papierschnüren eine Tasche anfertigte, wohl in einfachster Form am Bett webte. Ich selbst bekam dann auch noch eine Lungentuberkulose und blieb fast ein halbes Jahr im Lazarett, das in der Katholischen Volksschule von Senftenberg untergebracht war.

In dem Klassenzimmer, in dem wir untergebracht waren, gab es etwa 20 Betten. Neben einigen Luftwaffenhelfern waren da viele alte Soldaten und auch ein Italiener Claudio Alvisi aus Faenza, mit dem ich mich sehr gut verstand. Mit Latein, viel Zeit Mimik und Gestik kam es auch zu sprachlichen Kontakten und er berichtete mir von seinen Ausgängen in der Stadt, auch dass er versucht hatte, für seine Familie eine Messe lesen zu lassen. Faenza lag damals mitten im Kampfgebiet. Der örtliche Pfarrer habe aber Geld gefordert und dies dann, als er keines hatte, verweigert. "Un mercante... un mercantuccio ..." klagte er erbost. Gelegentlich half ein Südtiroler Bauer beim Übersetzen. Sein hartes "certamente" ist mir heute noch in den Ohren. Das Hilfslazarett roch nach einem intensiven Desinfektionsmittel, an das man sich aber bald gewöhnte. […]

Langsam wurde es auch im Lazarett immer turbulenter, der Lazarettarzt Dr. Wieschebring aus Ochtrup, ein Internist also aus dem Münsterlande, hatte kaum mehr Zeit für den einzelnen Kranken. Das Lazarett wurde ständig um weitere Klassenräume erweitert. Man sah Soldaten mit fürchterlichen Brandverletzungen dort liegen, wie man mir erzählte, waren sie in ihren Panzern abgeschossen worden. Die Front kam immer näher. Ich musste ein wenig mithelfen, so auch im Labor bei der Untersuchung von Urin. Einmal musste ich auch helfen einen jungen toten Italiener, der an einer eitrigen Meningitis verstorben war, rund 500 m in die örtliche Pathologische Abteilung zu tragen. Ich trug die Bahre an der Beinseite und weiß mich zu erinnern, dass ich ab und an gegen seine kalten Zehen stieß. (Der junge Mann war wenige Tage zuvor in benommenem Zustand leise singend und rhythmisch den Kopf hin und her wiegend bei uns eingetroffen und nach dem damaligen Stand der Infektionskrankheitenbehandlung nicht zu retten gewesen.)

Eine der ganz prägenden Lebenserinnerungen war die Begegnung mit unserer Schwester Inge, einer blonden, etwa 40 jährigen hochgewachsenen Diakonisse aus Wuppertal. Sie war bei allen Verrichtungen zu allen die Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit selbst. Abends sang sie uns immer das Bramsche "Guten Abend, gute Nacht" bevor sie "Gute Nacht" wünschte und die Lichter löschte. Sie war allgemein beliebt und geschätzt. Einige Male kamen Frauen der NS-Frauenschaft und brachten uns kleine Geschenke, vor allem selbst Gebackenes, was gerne angenommen wurde. Die Enkelin Inge des Gastwirts, bei dem wir zuerst gewohnt hatten, kam mehrmals mich zu besuchen. Kleine sehr erwünschte Abwechslungen!

Dann ging meine Lazarettzeit zu Ende. Zur Batterie kam ich praktisch nicht mehr zurück. Ich wurde Anfang Februar 1945 als Luftwaffenhelfer entlassen. Übrigens: Als Luftwaffenhelfer bekamen wir ja nur 50 Pfennig je Tag als "Wehrsold" ausgezahlt. Die restlichen 50 Pfennig je Tag bekam ich tatsächlich bei meiner Entlassung und das war damals eine Menge Geld.

Wenige Tage vor der Dresdener Katastrophe, am 12.2., fuhr ich noch durch diese Stadt, die damals immer noch nahezu ganz vom Krieg verschont war. Der viele Umwege machende und sehr langsam fahrende Zug kam aus irgendeinem Grund auch nach Naumburg und ich erinnere mich noch genau, dass ich im Bahnhof Bilder von Herrn Eckart und Frau Ute sah. Die wollte ich immer wieder in Natur sehen wozu ich nie kam: Den Naumburger Dom habe ich bis heute nicht aufsuchen können. Der Zug fuhr sehr langsam, blieb außerhalb der Ortschaften oft stehen und war brechend voll. Wenn man einen Sitzplatz hatte hing man sein Koppel an das Gepäcknetz und konnte so dann Arme und Kopf zum Schlafen hineinlegen. Aber auch diese Reisewand ein Ende. Die Stimmung wurde in Erwartung der Heimkehr von Stunde zu Stunde Besser. Am Abend wanderte ich mit Gepäck schwer beladen durch den Wald nach Breitbrunn, wo mich auf halbem Wege meine Mutter und unsere Liesel abholten.

Ausklang

Zu Hause angekommen wurde ich von meinen Eltern noch einmal in das nahegelegene Krankenhaus (Ausweichkrankenhaus der internistischen Klinik Dr. Müller aus München) geschickt, wo ich rund 14 Tage verblieb.

Viele Monate hörte ich nichts von den Mitschülern. Ich traf sie dann nach und nach beim Studium oder anderen Ortes wieder, soweit sie den Krieg überlebt hatten. Unser Klassenbester, Karl K. und sein Freund Titus L. ("Halb- oder Viertel-Jude") waren noch in den letzten Kriegswochen gefallen, auch ein früherer Zimmergefährte Weiß, Toni S., in Südfrankreich ausgehungert, einer Lungentuberkulose erlegen, Richard Schnettger einer Blinddarmentzündung. Andere bekam man nie mehr zu Gesicht, ihr Schicksal blieb teilweise offen. Mein Theresiengymnasium, an dem ich mich sehr wohl gefühlt hatte, habe ich erstmals wieder am 18. April 1997 betreten. Das Studium unter schlechtesten Bedingungen verbunden mit weiten Fahrten vom Ammersee bis zur Universität hatte uns im Griff.

Viele ältere Klassenkameraden waren im Krieg geblieben oder verschollen. Erstaunlich ist, wie gut sich doch die meisten in veritablen Berufen eingeordnet haben, obwohl unsere Schulbildung eigentlich äußerst gering war. Rückschauend möchte ich die Zeit keineswegs missen. Zwar kamen unsere theoretischen Kenntnisse und auch der kulturelle Schliff wie erwähnt, sehr zu kurz. Aber wir hatten manches aus den Kontakten mit den meist älteren Soldaten auch an Lebensweisheiten erfahren, gelernt uns im vorgegebenen bescheidenem Rahmen zurechtzufinden, konnten uns über kleine Dinge freuen und die einfachen Aufgaben des Lebens meistern. Verglichen mit dem, was man von der Wehrzeit in anderen Ländern und wohl auch der Rekrutenzeit in Deutschland früher gehört hatte, ging es "uns noch Gold", wie Kempowski einmal formuliert hat, jedenfalls sehr human zu.

Und: Eigentlich war ich und bin ich vielleicht heute noch ein wenig stolz darüber, dass ich in dem großen Ereignis Weltkrieg, das uns wie eine furchtbare Unwetterkatastrophe überfallen hatte, nicht ganz inaktiv war, sondern mich doch bemüht hatte, auf im übrigen harmloseste Weise, meine Pflicht zu erfüllen. Abgesehen von meiner Erkrankung, die mir nach schweren Zeiten im übrigens später noch zum Vorteil gereichte, hatte ich mit großem Glück die Zeit überstanden, nie so furchtbare Dinge erlebt, wie Millionen von Menschen zu dieser Zeit. Mein nur zwei Jahre älterer Bruder, ohne jeglichen militärischen Ehrgeiz .einfacher Soldat, war, nachdem er sich selbst in amerikanische Gefangenschaft bei Altötting begeben hatte, nach Bad Freyung transportiert worden und dann mit dem gesamten Lager ohne Rücksicht auf irgendwelche Dinge an die Russen ausgeliefert worden. Er ist auf der Krim bei Feodosia zu Arbeiten eingesetzt worden, dann an Ruhr schwersterkrankt und auf der Heimfahrt in Oberschlesien gestorben und beerdigt worden. Erst 11 Jahre später erhielten wir die endgültige Nachricht von seinem Tod! Immer noch hatten meine Eltern auf seine Heimkehr gehofft, gelegentlich durch uns von Bekannten mitgeteilten Weissagungen von Pendlern u. a. darin unterstützt!

Quelle: 33-cabinet.png Abgerufen am 24. April 2019. Bei WebCite® archivieren.Prof. Dr. Richard Suchenwirth: Richard Suchenwirth: Meine LuftwaffenhelferzeitLeMO, Mai 2011


Fußnoten

  1. Andreas Kuba: Wir Kinder des Krieges – Eine Generation erzählt ihre Geschichte, Ecowin, 2014