Seemacht

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Als Seemacht wird ein Staat bezeichnet, der über eine ausgewogene Flotte und seestrategische Positionen verfügt. „Seemacht“ bzw. „Seegeltung“ beschreibt aber auch die Gesamtheit und Schlagkraft der Seestreitkräfte. Dabei ist Seemacht ein Produkt aus Flotte und seestrategischer Position. Überlegene Seemacht im Frieden impliziert eine potentielle Seeherrschaft durch Kriegsschiffe im Krieg. Seemacht (auch: Seegewalt) ist unweigerlich auch die Grundlage für Reichsmacht (auch: Reichsgewalt). Maritime Vertreter der „Macht zur See“ sind u. a. die Kaiserliche Marine, die Kriegsmarine, die Royal Navy und die United States Navy.

„Seemacht, jede Großmacht, die eine kräftige Kriegsflotte zum Schutz ihrer Seeinteressen unterhält und imstande ist, einen Seekrieg zu führen. Man rechnet zu den Seemächten die Großmächte: England, Frankreich, die Vereinigten Staaten, das Deutsche Reich, Japan, Rußland, Italien und Österreich-Ungarn.“Meyers Großes Konversations-Lexikon, 1905–1909
Das Schlachtschiff „Bismarck“ war das imposanteste Symbol deutscher See- und Reichsmacht im Zweiten Weltkrieg

Deutschland

Seegeltungsziele Wilhelms II. für die Kaiserliche Marine

Heiliges Römisches Reich

Bereits seit Karl dem Großen hat sich das Reich gegen Bedrohungen seiner Küsten wehren müssen. Zur Abwehr von Friesen, Normannen und Mauren wurden immer wieder Kriegsschiffe ausgerüstet. Im 10. Jahrhundert dehnte sich der Machtbereich der Kaiser nach Norden und Osten, vor allem in den Ostseeraum aus. In dieser Zeit verfügte das Reich über beachtliche Seestreitkräfte. Als Kaiser Otto III. 983 den Thron bestieg, tauchte auf der Liste der hohen Reichsbeamten erstmals der Titel eines „Oberst Admiral“ auf. Im 11. bis 13. Jahrhundert nahmen Schiffe, die von der Nordsee und ihren Zuflüssen stammten, an den Kreuzzügen teil.[1] Kaiser Friedrich II. ließ ab 1215 eine schlagkräftige Mittelmeerflotte aufbauen und ernannte Wilhelm Porcus zum Reichsadmiral.[2] In der Seeschlacht von Giglio besiegte Friedrichs Flotte am 3. Mai 1241 die der Seerepublik Genua. Mit der Orientierung nach Süden begann das Interesse des Heiligen Römischen Reiches an einer Flotte im Nord- und Ostseeraum zu schwinden.

Hanse

Den ersten bedeutenden Auftritt einer deutschen Seemacht unternahmen die Städte der Hanse, ein Zusammenschluß von Handelsstädten. Sie bewaffneten ihre Handelsschiffe, rüsteten diese in Kriegszeiten zu Kriegsschiffen um und wurden wie beispielsweise Lübeck zu einer politischen und militärischen Macht in Nordeuropa. Die deutsche Hanse führte auf ihren Schiffen seit dem 12. Jahrhundert sogenannte rote Flüger im Mast als Zeichen der kaiserlichen Reichsmacht.

Der Seekrieg wurde zumeist als Kaperkrieg geführt, daneben waren Seeblockaden üblich. Angesichts ihrer Überlegenheit zur See konnte die Hanse auch an Land schnell militärische Schwerpunkte bilden, indem sie mit ihren Schiffen Soldaten in den Einsatz beförderte. Den Typus des späteren Marinesoldaten gab es zu dieser Zeit noch nicht, die Besatzungsangehörigen waren Seeleute und Soldaten zugleich, die Kapitäne zudem noch Kaufleute. Im 16. Jahrhundert verfiel die Macht der Hanse.

Kaiserliche Flotten im 15. bis 17. Jahrhundert

Die Streitkräfte des römisch-deutschen Reiches bestanden aus den Truppenkontingenten der Gliedstaaten. Die Reichsheeresverfassung kannte Wehrkreise, die bestimmte Regimenter zu stellen hatten. Sie regelte nur die Aufstellung der Landstreitkräfte, eine Regelung für die Seestreitkräfte bestand nicht. Die Kaiserliche Armee stellte dennoch eine kaiserliche Marine, da im Kriegsfall die römisch-deutschen Flotten der Habsburger die kaiserliche Flagge führten. So wurden ab 1528 in Triest Schiffe unter der Flagge des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ausgerüstet, die in den verschiedenen Auseinandersetzungen mit den Türken und Venezianern siegreich zum Einsatz kamen.

Preußen

Trotz der Kurbrandenburgischen (1657/1684 bis 1701) und später Königlich Preußischen Marine (1701 bis de facto 1711 bis zur Auflösung durch Friedrich I.) waren deutsche Interessen im Ausland nur mit Eigeninitiative zu bewältigen. Weder der Soldatenkönig noch Friedrich der Große fanden Geschmack an einer eigenständigen deutschen Marine. Die deutschen Seehandelsgesellschaften waren auf den Schutz durch eigene Kriegsschiffe vor ausländischen Küsten und auf den Meeren angewiesen, da der König in Preußen sich der Idee einer preußisch-deutschen Seemacht verschloß.

„Ich glaube nicht, da Preußen sich je zur Bildung einer Kriegsmarine entschließen darf. Die Gründe sind folgende: Mehrere Staaten Europas haben große Flotten, England, Frankreich, Spanien, Dänemark und Rußland. Ihnen werden wir niemals gleichkommen können. Da wir also mit wenigen Schiffen immer hinter den anderen Nationen zurückbleiben würden, wäre die Ausgabe unnütz. [...] Außerdem führen Seeschlachten nur selten eine Entscheidung herbei. Daraus ziehe ich den Schluß, daß man besser daran tut, das erste Landheer in Europa zu halten als die schlechteste Flotte unter den Seemächten.“ — Friedrich II.

Erst ab 1848/49, insbesondere nach der Märzrevolution, gab es intensive und erfolgreiche Bestrebungen, erneut eine Preußische Marine aufzubauen, die sich im Deutsch-Dänischen Krieg bewährte. Am 9. Mai 1864 kam es in der Nordsee zum Seegefecht bei Helgoland, in dem deutscherseits ein österreichischer Flottenverband unter Linienschiffskapitän von Tegetthoff teilnahm, der durch ein kleines preußisches Geschwader unter Korvettenkapitän Klatt unterstützt wurde. Es bestand aus dem Raddampfer „Preußischer Adler“ und den in die Heimat zurückgerufenen Kanonenbooten „Blitz“ und „Basilisk“.

„Für ein wachsendes Volk kein Wohlstand ohne Ausbreitung; keine Ausbreitung ohne überseeische Politik, und keine überseeische Politik ohne Flotte“. — Admiral Adalbert Prinz von Preußen

Im Deutschen Krieg 1866 kam die preußische Marine kaum zum Einsatz. Nach dem Krieg schlossen sich die norddeutschen Staaten unter preußischer Führung zum Norddeutschen Bund zusammen. Aus der preußischen Marine wurde die Marine des Norddeutschen Bundes, die wiederum nach dem Deutsch-Französischen Krieg zur Kaiserlichen Marine einschließlich des Ostasiengeschwaders wurde.

Reichsflotte

Als Reichsflotte bezeichnet man die erste gesamtdeutsche Marine der deutschen Marinegeschichte. Sie wurde am 14. Juni 1848 von der Nationalversammlung in Frankfurt am Main gegründet. Sie sollte allgemein als deutsche Seestreitkraft deutsche Handelsschiffe schützen und konkret im Schleswig-Holsteinischen Krieg gegen Dänemark dienen. Die deutsche Zentralgewalt arbeitete eng mit den deutschen Küstenstaaten und der revolutionären Regierung Schleswig-Holsteins zusammen. Mit an den Plänen beteiligt war Prinz Adalbert von Preußen, der als Marine-Experte galt und auch Preußen beriet.

„Die Seemacht ist ausschließliche Sache des Reiches. Es ist keinem Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten oder Kaperbriefe auszugeben.“Frankfurter Reichsverfassung

Kriegsmarine der Wehrmacht

Mit der Umwandlung der Reichswehr zur Wehrmacht und somit der Reichsmarine zur Kriegsmarine stellte Adolf Hitler, nunmehr auch „Führer zur See“, fest:

„Wir aber halten die die Hoffnung fest, daß sich das deutsche Volk wieder besinnt auf die Kraft, die in seiner Geschlossenheit liegt, mit der es alle Fesseln sprengen wird, wenn es sich daran erinnert, was es leisten konnte, und wenn ihm aus der Ohnmacht dieser wehrlosen Zeit wieder der Wille zur Reichsmacht erwächst, der ihm als Leitgedanke vorschweben soll, wie das Signal ‚Ran an den Feind‘, das dem wuchtigen Vorwärtsdrängen einer Flotte Schwung und Richtung gibt. Mit Reichsmacht ist für das deutsche Volk Seemacht unlöslich verbunden, denn sie erst öffnet ihm den Weg für freien Tatendrang.“

Seeherrschaft

Seeherrschaft ist ein machtpolitischer Begriff und steht für die Beherrschung von Seeverbindungslinien. Seeherrschaft kann global, ozeanweit und/oder in Randmeeren sowie Binnenmeeren ausgeübt werden. Bei bestehender Seeherrschaft wird eigener Seeverkehr geschützt und gegnerischer Seeverkehr unterbunden. Die Aufrechterhaltung der Seeherrschaft ist abhängig vom Durchsetzungsvermögen der stärksten Seemacht. Ein wesentliches Kriterium ist die Dauer der Seeherrschaft in einem Seegebiet, das nicht wie eine Landmasse permanent besetzt werden kann.

Die Bedeutung der Seeherrschaft in der Geschichte

In der Antike war die durch die damaligen Seemächte ausgeübte Seeherrschaft im Mittelmeer eine der Voraussetzungen für die Ausbreitung von Staaten oder Bündnissen.[3] So übernahm Mykene die Rolle Kretas. Dann wurden Phönizier, Punier, klassische Hellenen, Etrusker und Römer zu Herrschern über Teilbereiche oder das gesamte Mittelmeer.

Während im Mittelalter Staaten wie Venedig (mit einer starken Kriegsmarine) oder auch Piraten bestimmte Routen oder Küstenmeere beherrschten, lösten sich mit dem Beginn der globalen Schiffahrt in der frühen Neuzeit Portugiesen (15. und 16. Jahrhundert), Spanier (16. und frühes 17. Jahrhundert), Niederländer (17. Jahrhundert), Franzosen (18. Jahrhundert) und Engländer (18. und unangefochten 19. bis frühes 20. Jahrhundert) in der Vorrangstellung auf den Meeren ab.

Siehe auch

Literatur

  • Alfred Thayer Mahan: The Influence of Sea Power upon History, 1660–1783, Little, Brown & Co, New York 1890 (Neuausgabe der 5. Auflage von 1894: Dover Publications, 1987. ISBN 0486255093) (PDF-Datei)
  • Georg Wislicenus: „Deutschlands Seemacht sonst und jetzt, nebst einem Überblick über die Geschichte der Seefahrt aller Völker. Erläutert durch 65 Bilder vom Marinemaler Willy Stöwer (1896) (PDF-Datei)
  • Otto Philipp: Die Deutschen und die See – Der Anspruch Deutschlands auf Seegeltung, E.S. Seemann, Leipzig 1937
  • Wolfgang Loeff: Deutschlands Seegeltung – Vom germanischen Einbaum und Wikingerschiff zum deutschen Schlachtschiff und Schnelldampfer, Bilder vom Marinemaler Alexander Kircher, Verlag für Volkstum, Wehr und Wirtschaft Hans Kurzeja, Berlin 1939
  • Adolf von Trotha: Seegeltung – Weltgeltung. Gedanken eines Admirals. Hrsg. vom Reichsbund Deutscher Seegeltung. Berlin, 1940
  • Felix Genzmer: Germanische Seefahrt und Seegeltung, Bruckmann-Verlag, München 1944
  • Hellmut Diwald: Der Kampf um die Weltmeere, München/Zürich, 1980
  • Elmar B. Potter / Chester W. Nimitz: Seemacht. Eine Seekriegsgeschichte von der Antike bis zur Gegenwart, ISBN 978-3881990820

Fußnoten

  1. John B. Hattendorf: Deutschland und die See: Historische Wurzeln deutscher Seestreitkräfte bis 1815. In: Werner Rahn (Hg.): Deutsche Marinen im Wandel. Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument internationaler Sicherheit. ISBN 3-486-57674-7, S. 17 ff.
  2. Köhlers Flottenkalender 1968, 56. Jahrgang. Wilhelm Köhler Verlag. Minden/Westf.
  3. Herodot bezeichnete die kretische Seeherrschaft des Minos als die erste der Geschichte.