Reichsgründung 1871

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Die Kaiserproklamation zu Versailles am Reichsgründungstag, 18. Januar 1871

Die Reichsgründung am 18. Januar 1871 durch die Proklamation Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser war der vorläufig abgeschlossene Prozeß zur Entstehung des Deutschen Reiches. Zeitgeschichtlich wurde es als das sogenannte Zweite Reich nach dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bezeichnet.

Geschichte

Die Bekanntmachung der Proklamation
„Die von Gelehrten wie Heinrich von Treitschke in den 1860er und 1870er Jahren propagierte geradlinige Version der Geschichte wird in diesem Gemälde des kaum bekannten Künstlers Paul Bürde (1819-1874) greifbar. Der borussischen Teleologie zufolge war Preußen dazu vorherbestimmt, die Geschicke Deutschland zu erfüllen. So ist hier ein preußischer Ulan zu sehen, der ein Porträt Wilhelms I. vor drei Generationen Deutscher hoch hält, die in einem ländlichen Heim um ihn versammelt sind. Jeder in dieser Szene empfindet Stolz auf Preußens jüngst errungene Militärtriumphe und die deutsche Reichseinigung. Links unten rollen zwei Knaben ein Porträt der Erzfeindes, des französischen Kaisers Napoleon III. (1808-1873), zusammen, während ein Mädchen sich anschickt, eine Girlande um das Porträt Kaiser Wilhelms zu befestigen. Im Hintergrund rechts schlägt ein weiterer Junge einen Nagel in die Wand, wodurch angezeigt wird, wohin das Porträt jeden Moment gehängt wird. Die Botschaft ist klar: Der Kaiser wird seinen rechtmäßigen Platz am Ende einer historischen Saga einnehmen, die mit Martin Luther begann, über Friedrich den Großen und den Helden von Waterloo, Feldmarschall von Blücher, fortdauerte. Ebenso wie Luther in die Personifizierung des deutschen Geistes verwandelt wurde, als er die katholische Hierarchie und Rom anprangerte, so ist Wilhelm durch seinen Sieg über den sich einmischenden Abenteurer Napoleon III. vom preußischen König zum deutschen Kaiser verwandelt worden. Somit ist es das Pantheon preußischer Helden – und nicht die des deutschen Volkes –, die der Nation im neuen Reich ihre volle und angemessene Erfüllung gebracht haben.“[1]

Die Revolution von 1848, der Deutsche Bruderkrieg gegen das Kaisertum Österreich von 1866, die Gründung des Norddeutschen Bundes, der zersetzende Deutsche Dualismus und der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 schufen die wesentlichen historischen Voraussetzungen für die Reichsgründung. Nachdem die vier süddeutschen Staaten sich 1870 zum Eintritt in den Norddeutschen Bund bereit erklärt hatten und der König von Preußen den Kaisertitel in Versailles nach anfänglichem Zögern akzeptiert hatte, konnte die Reichsverfassung am 16. April 1871 in Kraft treten.

Sie definierte das Reich als konstitutionell-monarchischen Bund aus 22 Einzelstaaten und drei freien Städten. Der Reichstag – aus zunächst 397 direkt gewählten Abgeordneten – bildete das Parlament, in welchem nach den ersten Wahlen vom 3. März 1871 die Nationalliberalen klar dominierten. Die Einzelstaaten konnten ihre Stimme im Bundesrat geltend machen, dem Otto von Bismarck als erster Reichskanzler vorstand. Darüber hinaus hatte Bismarck die Leitung über die Exekutive inne, während dem Kaiser als Staatsoberhaupt der Oberbefehl über das Militär zukam.

Proklamation

Die Kaiserproklamation erfolgte im Spiegelsaal zu Versailles, da das Schloß provisorisches Hauptquartier der Belagerungsarmee um Paris war. Die Wahl fiel durchaus beabsichtigt auf den Spiegelsaal, dessen Deckengemälde unter anderem auch französische Siege Napoleons über deutsche Länder verherrlichten. Da Frankreich zuvor erneut Deutschland überfallen hatte, erhielt der Ort durch die Wahl eine bedeutende Symbolik des deutschen Sieges, der zugleich den Beginn des Deutschen Kaiserreiches und die langersehnte Überwindung der Kleinstaaterei markierte. Die Franzosen empfanden dies als Demütigung, und dies, wie schon die zweifache Besetzung Paris' während der Befreiungskriege (1814 und 1815), als willkommenes Argument zur Aufrechterhaltung der „deutsch-französischen Erbfeindschaft“.

Noch immer toben Kämpfe zwischen deutschen und französischen Truppen. Paris ist seit Tagen von den Deutschen umstellt. Während der Belagerung wird das Versailler Schloß von den deutschen Truppen als Lazarett genutzt. Versailles am Morgen des 18. Januar 1871: Schon früh am Morgen, noch vor Sonnenaufgang, bricht Hektik aus. Die verletzten Soldaten müssen weichen – auf Befehl von ganz oben. Man brauche den Spiegelsaal des Schlosses. Ärzte und Schwestern gehorchen. Sie räumen das Schloß. Bald dringen zu ihnen auch die ersten Gerüchte für den Aufwand durch: An diesem Tag soll im Versailler Schloß die Proklamation der deutschen Einheit und des neuen deutschen Kaisertums stattfinden. Andere wollen wissen, es handele sich um eine Feierlichkeit des Hauses Hohenzollern.
Wo vor wenigen Stunden noch Verwundete versorgt wurden, laufen schon bald die Vorbereitungen für die unbekannte Feier auf Hochtouren. Jeder Anwesende weiß es und spürt es bis in die Fußspitzen in den militärischen Stiefeln: Heute wird deutsche Geschichte geschrieben! Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Keine preußische, keine bayerische, keine badische – deutsche Geschichte! Vielleicht wird dieser Tag sogar einmal als einer der bedeutendsten Tage in der deutschen Geschichte gefeiert werden. Entsprechend angespannt sind die Protagonisten an diesem trüben, aber milden Wintertag: Die deutschen Fürsten, Politiker, Generäle und hochrangigen Soldaten haben sich nach den Kämpfen gegen die Franzosen in Schale geworfen, um diesen Tag mit besonderer Würde zu begehen. Hinter ihnen liegt ein Feldzug, der im Sommer 1870 begonnen und bereits im September mit dem Sieg über Napoleon III. bei Sedan die Entscheidung gebracht hatte.
Unter den hochrangigen Politikern und Soldaten sind auch der preußische König Wilhelm und der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck, der eigentliche ‚Macher‘ dieses Tages. Für ihn, den künftigen deutschen Reichskanzler, ist dieser Tag jedenfalls der größte in der deutschen Geschichte – und sein ganz persönlicher Erfolg. Daran hat er keinen Zweifel. Seit Jahren hatte er mit diplomatischer Raffinesse und konservativer Politik auf diesen Augenblick hingearbeitet. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 1862 will Bismarck die Einigung Deutschlands herbeiführen – unter preußischer Führung! Was die Revolutionäre von 1848/49 nicht vermocht hatten, das sollte ihm gelingen.“[2]

Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen schrieb über die Proklamation in seinem Tagebuch:

„Dieser Augenblick war mächtig ergreifend, ja überwältigend und nahm sich wunderbar schön aus. Ich beugte ein Knie vor dem Kaiser und küßte ihm die Hand, worauf er mich aufhob und mit tiefer Bewegung umarmte.“

Reichsgründungstag (Ablauf)

Die Kaiserproklamation zu Versailles am Reichsgründungstag, 18. Januar 1871; nachdem Otto von Bismarck die Proklamation vollbrachte, tritt Großherzog Friedrich von Baden nach vorn und bittet Wilhelm, seinen Schwiegervater, ein Hoch auf ihn aussprechen zu dürfen. Wilhelm gewährt ihm den Wunsch, woraufhin der Großherzog der gespannt wartenden Versammlung im Spiegelsaal die Worte entgegenschmettert:

„Seine Kaiserliche und Königliche Majestät, Kaiser Wilhelm, lebe hoch!“

Dieser Ausruf ist von größter Bedeutung, denn der Großherzog umgeht damit die Problematik des Kaisertitels, denn es gab Differenzen ob „Kaiser von Deutschland“, „Kaiser der Deutschen“ oder „Deutscher Kaiser“. Nach diesem Ausruf erschallt sechsmal ein donnerndes Hoch der Anwesenden. Gleich danach – die Fahnen und Standarten der deutschen Fürstentümer wehen über dem Haupt des neuen Kaisers – stimmen die Anwesenden das „Heil Dir im Siegerkranz“ an, das die Funktion einer Nationalhymne im Kaiserreich übernehmen wird.

Gründerjahre

Überproduktion, Spekulation und eine allgemeine hektische Aktivität prägten die Gründerjahre – die Anfangsjahre des neuen Deutschen Reiches – im wirtschaftlichen Bereich.

Siehe auch

Literatur

  • Erich Brandenburg:
    • Die Reichsgründung, 1916 (PDF-Dateien: Band 1, Band 2)
    • Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung, 1916 (PDF-Datei)
  • Olaf Rose: Der ›Deutsche Sonderweg‹, in: Rolf Kosiek / Olaf Rose (Hgg.): Der Große Wendig, Bd. 4, Edition Grabert im Hohenrain-Verlag, 3. Aufl., Tübingen 2017, S. 903–909
  • Ulrich Schwarze: Die Einkreisung 1871–1914. Vom saturierten Bismarckschen bis zum konkurrierenden Wilhelminischen Reich, ISBN 978-3-89180-067-3, Band 2 des Werkes von Ulrich Schwarze: Die Deutschen und ihr Staat 800–1990. 4 Bände, Hohenrain, Veröffentlichungen der Stiftung Kulturkreis 2000, ISBN 978-3-89180-100-0, Gesamtwerk [1696 S.] (Bestellmöglichkeit)
  • Menno Aden: Staatsgründungen und Staatenreformer aus dem germanischen und deutschen Kulturraum. Eckartschrift 237, ISBN 978-3-902350-74-9 [108 S.]

Verweise

Fußnoten

  1. Paul Bürde, Die Huldigung Kaiser Wilhelms I. (1871), Deutsches Historisches Museum
  2. Die Kaiserproklamation im Spiegelsaal zu Versailles Verweis defekt, gelöscht oder zensiert!