Jungdeutscher Orden
Der Jungdeutsche Orden (Jungdo) war zeitweise der größte nationale Verband der Weimarer Republik. Fälschlicherweise wird er oft als Jugendbund der Bündischen Jugend bezeichnet. Der Jungdeutsche Orden war ein Verband, der sich durch sein staatspolitisches Ziel, seine Organisation sowie durch sein Brauchtum, das sich an den historischen Deutschen Orden anlehnte, von anderen politischen Organisationen unterschied. Die Jugendorganisation des Jungdeutschen Ordens, die „Jungdeutsche Jugend“, kann aber als bündischer Jugendverband bezeichnet werden. Wahlspruch des Ordens: „Treudeutsch allewege!“
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Der Jungdeutsche Orden wurde kurz nach dem Ersten Weltkrieg in Kassel von Oberleutnant Artur Mahraun gegründet. Die ersten Mitglieder stammten von der Offiziers-Kompanie Cassel. Fronterlebnis und Frontkameradschaft veranlaßten Mahraun, neue Kräfte, Kräfte der Ordnung, zu mobilisieren. Der Jungdeutsche Orden hatte nach der Auflösung des Bataillons Mahraun im März 1920 zunächst Freikorpscharakter. Als Organisationsform diente ihm das Vorbild des alten Heeres. Allerdings übernahm Mahraun nicht – ebensowenig wie Franz Seldte – die spezifische Disziplin des Vorkriegsheeres. Im Graben war die gewissermaßen automatische Macht der staatlichen Strafgewalt weggefallen. Hatte in der Vorkriegszeit der dauernd unter Kontrolle stehende Soldat bestimmte, ganz feststehende und von der Person seines Führers nicht immer direkt abhängige Disziplinmaßstäbe erhalten, die zu einer Selbstverständlichkeit geworden waren, so riß nun der Grabenkampf auch diese alten Vorstellungen auf.
Der Führer kam in engsten geistigen Kontakt mit der Truppe, ob er dies wollte oder nicht. Die Kampfkraft der Truppe hing nun von der Fähigkeit des Führers ab, bei allen Unterführern und einzelnen Kämpfern die Selbständigkeit im höchsten Maß auszubilden, denn der Führer hatte im Kampf den einzelnen nicht mehr im Auge, von der Initiativkraft und einsichtigen Einordnung des einzelnen hing die Stärke der Truppe ab. Der Führer mußte das Ziel klären und jedem nahebringen, „er wurde zum Schöpfer und Erhalter der dynamischen, geistigen und seelischen Kräfte der Truppe schlechthin“ (Mahraun).
Persönlichkeit und Korpsgeist, diese beiden Formen als Einheit, sah Mahraun als die Grundlagen auch der Freikorpsgründungen an. Gerade junge Grabenoffiziere seien in der Heimat eingesprungen, als die alte militärische und politische Führung versagt habe, da der alte Staat es nicht verstanden habe, die nationalen Kräfte zu organisieren. Dienst an der ganzen Nation, nicht etwa nur an seinem Stand, dem Offizierstand, habe ihm vorgeschwebt, als er sein Freikorps gründete. Dienst an der Nation sei auch die Herstellung der Ordnung gewesen.
Neben idealen Führergestalten und neben idealen Mannschaften sei sicher manche Landsknechtsnatur in den Freikorps gewesen. Außer der Sicherung der Ordnung sei aber auch das wichtigste aus ihnen gekommen: die Geburt eines neuen Gedankens, nämlich des bündischen, des Gemeinschaftsgedankens. 1920, als die Staatsgewalt sich eigene Machtmittel aufgebaut hatte und die Freikorps entbehren wollte, wurden aus der Masse der Freikorps mehr private Schutzverbände. Schutz des bürgerlichen und bäuerlichen Eigentums gegen Diebesbanden und „roten Terror“ war die Parole. Bezeichnend für diese Zeit ist, daß die Organisation Escherich, die sich von Bayern aus durch ganz Deutschland auszudehnen trachtete, die Führung übernahm. Die Organisation Escherich (Orgesch) sammelte die verschiedenen Organisationen – Einwohnerwehr, Freikorps usw. – unter einheitlichen Parolen, die sich in vier Punkte zusammenfassen lassen:
- Pflege des nationalen Gedankens
- Schutz der Ordnung
- Schutz des Besitzes
- Unterstützung der Landesverteidigung
Während aber die Jugend der Freikorps eigene, wenn auch unklare Ideale der nationalen Gestaltung hatte, hielten es die die Selbstschutzbewegung primär beeinflussenden großkapitalistischen Kreise mit materiellen Forderungen. Ihnen war Schutz des Besitzes und der Ordnung alles und das unklare Drängen der Jugend nach volklicher und staatlicher Erneuerung bis zu einem gewissen Grade lästig.
Besonders der Jungdeutsche Orden, der sich in bedingter Form der Orgesch angeschlossen hatte, geriet in Konflikt mit der „großkapitalistischen Führung der Orgesch“ (Mahraun). Ein ausschlaggebendes Moment war die Finanzierung der bündischen Organisationen. Der fortschreitende Inflationsprozeß brachte die Geldspenden des Mittelstandes zum Versiegen. Bald hingen die Organisationen völlig von den Zuschüssen des Großkapitals ab. Die Orgesch hatte es verstanden, die Spenden bei sich zu konzentrieren und durch den Verteilungsapparat die Bünde in der Hand zu halten. Bewaffnung, Pflege der Waffen, Gehälter der zahllosen militärischen Dienststellen – alles das wurde bald von den wirtschaftlichen Großorganisationen finanziert.
„Der Aktivismus nationaler Erneuerung aber war völlig in den Hintergrund gedrückt [...] Reaktion und Plutokratie schienen über das Bündische gesiegt zu haben“ schrieb Mahraun über die Zeit Mitte des Jahres 1921. Durchaus glaubhaft versichert Mahraun, daß selbst die militärische Schlagkraft der nationalen Bewegung unter diesem plutokratischen System verlorengegangen sei. „Führern“ habe man nicht vorhandene Kompanien, ja Divisionen zur Verfügung gestellt. Die Millionenorganisation der Orgesch sei in militärischer Beziehung ein Koloß auf tönernen Füßen gewesen. Die eigentliche militärische Arbeit (z. B. in Oberschlesien) sei den kleinen Bünden zugefallen. Aus der Einsicht heraus, daß diese Zustände unhaltbar seien, geriet Mahraun in Konflikt mit der „Orgesch-Bureaukratie“. Das Endergebnis war, daß ihm die geldliche Unterstützung entzogen wurde und er selbst persönlich und gesellschaftlich aufs schärfste bekämpft wurde. Das war für ihn ein Vorspiel zu dem erbitterten Kampf, der ihm später seine außen- und innenpolitische Selbständigkeit eintrug.
- „Die Anrede der Mitglieder war ‚Bruder‘ und ‚Schwester‘. Anstelle des förmlichen ‚Sie‘ trat das ‚Ihr‘. Uniformen wurden damals von rechten wie von linken Organisationen getragen. Im Orden wurde der feldgraue Soldatenrock durch die Windjacke ersetzt. Rangabzeichen gab es nicht. Die Ortsgruppe nannte man ‚Bruderschaft‘, die der Frauen ‚Schwesternschaft‘. Junge Mitglieder zwischen 10 und 15 Jahren wurden in Jungtrupps, solche zwischen 16 und 19 in Junggefolgschaften zusammengefaßt. Mehrere Bruder- und Schwesternschaften bildeten eine ‚Ballei‘, die Balleien eines Landes bzw. in Preußen einer Provinz bildeten eine ‚Großballei‘. Die Führer der vorstehend genannten Einheiten wurden gewählt, mußten aber von dem jeweils übergeordneten Führer bestätigt werden. Diesen Vorgang nannte man die ‚Kur‘. Die Führer der Bruderschaften hießen Großmeister, die der Balleien ‚Komtur‘,die der Großballeien ‚Großkomtur‘. Die Großkomture bildeten das ‚Hochkapitel‘, dem der Hochmeister vorstand. Es war das höchste Beschlußgremium des Ordens. Es ließen sich noch eine Reihe von Gebräuchen aufzählen, die von anderen Organisationen abwichen, jedoch sei in dieser Kurzfassung darauf verzichtet. […] Durch die Einrichtung von sogenannten ‚Geusenküchen‘, die kostenlos Essen an Verarmte ausgaben, leistete der Orden einen Beitrag zur Linderung der unmittelbaren Not. Als eine Dauerlösung, die produktive Arbeit an die Stelle unproduktiven Militärdienstes setzen sollte, strebte der Orden eine allgemeine gleiche Arbeitsdienstpflicht an. Eine Schrift Mahrauns hierzu erschien im März 1924. Der Orden strebte ein Volksbegehren zur Einführung an, das jedoch scheiterte. Ab 1. Juni 1924 erschien ‚Der Jungdeutsche‘ als Tageszeitung. Bis dahin gab es unter verschiedenen Namen nur eine Zeitschrift. Im Februar 1925 übersiedelte die Ordensleitung nach Berlin. […] Vom 9. bis 11.09.1928 beteiligte sich der Orden als einziger deutscher Frontkämpferverband an der internationalen Frontkämpferkonferenz in Luxemburg, die einen Jungdeutschen, Generalleutnant a. D. Fritz Salzenberg, zum Präsidenten wählte. […] Für den Osten des Reiches schlug der Jungdeutsche Orden um die gleiche Zeit die in den Folgejahren im In- und Ausland viel diskutierte ‚litauische Lösung‘ vor. Danach sollte der damalig ‚polnische Korridor‘ von Polen an Deutschland zurückgegeben werden, Polen aber international garantierte Transitrechte erhalten mit Freihafen in Danzig und weitgehenden Rechten in Gdingen. Litauen sollte sich durch die Erneuerung der ‚historischen Union‘ an Polen anschließen. Dem Vereinigten Litauisch-polnischen Staat sollte der Hafen von Memel zufallen. Schließlich sollte der neue Staat Transit- und Hafenrechte erhalten. […] Schärfster Gegner war in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre der Hugenberg-Konzern. Hugenberg, späterer Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei und Wirtschaftsminister im ersten Kabinett Hitler, hatte es verstanden, einen Medienkonzern aufzubauen, dessen verheerende Wirkungen auf die öffentliche Meinung für heutiges Verständnis am besten mit denen des Springer-Konzerns zu vergleichen sind, wenngleich die Gegenstände der Beeinflussung unvergleichbar sind. […] Mahraun selbst nennt in seiner 1949 erschienenen Schrift ‚Deutschland ruft‘ die Zahl von 37.000 Mitgliedern als Höchstzahl. Dagegen weist das jungdeutsche Liederbuch, von dem es unwahrscheinlich ist, daß es etwa von vielen Nichtmitgliedern erworben worden wäre, schon 1925 das 181. – 210. Tausend aus, und 1928 erschien eine weitere, wesentlich erweiterte Auflage. Weihnachten 1931 erschien die – soweit bekannt – letzte (9.) Auflage dieses Liederbuches.“[1]
Mahraun ging daran, seine Organisation finanziell unabhängig zu machen. Dies sei, gibt er zu, erst nach Ende der Inflation geglückt. Die Organisation Escherich wurde später auf Eingreifen des Auslandes hin verboten. Da ihr Wesen in der Millionenmasse der Mitglieder lag, konnte das Verbot leicht wirksam werden. Sie mußte als in Betracht kommende Erscheinung verschwinden – nicht so die auf Gemeinschaftsgedanken beruhenden Bünde. Sie verstanden es zu regenerieren und ein beträchtlicher Faktor für die kommende Zeit zu werden. In der Auseinandersetzung mit den Fragen der nächsten Zeit gewann der Jungdeutsche Orden sein eigentliches Gesicht. Er hielt sich von dem völkischen Gedanken Hitlers fern, in dem Mahraun zu stark das Verneinende hervorgekehrt fand. Der Orden grenzte sich weiterhin von der „Trustfront“ ab. Das gebildete Bürgertum und besonders das alte Offizierskorps sei durch die gesellschaftliche Nähe zu den Trustherren in derart „klassenkämpferischen“ Gedankengängen befangen, daß es keine ideelle Aufnahmestellung für das politisch ringende Staatsbürgertum „beider Fronten" mehr schaffen könne.
Dem Stahlhelmbund warf Mahraun vor, daß Aufmärsche und Fahnenweihen, kurz und gut Soldatenspielerei, sein hervorstechendes Merkmal seien. In dem Prozeß, die nationalen Ideale von den alten Schlacken zu befreien, entfremdete sich der Jungdeutsche Orden in wachsendem Maße den anderen Bünden. Das Bestreben, eine neue Einsicht in die gewandelte Zeit zu gewinnen, war in den meisten Bünden vorhanden. Die Gemeinsamkeit der Kampfzeit, die allgemeine Ablehnung des parlamentarischen Systems und anderes mehr gaben einen gewissen Kitt ab. Aber neben persönlich organisatorischen Zwistigkeiten, die vielleicht manchmal nichts als Führereitelkeiten waren, gab es doch eine Menge wirklicher Differenzpunkte, darunter die Verschiedenheit der landschaftlichen Herkunft der einzelnen Bünde, die bei einer auf persönlicher Gemeinschaft beruhenden Organisation ausschlaggebend sein konnte, und auch die Verschiedenheit der sozialen Struktur, die trotz aller Volksgemeinschaftsidee die soziale Zielsetzung beeinflußte.
Im Januar 1925 schlossen Seldte und Mahraun ein Bündnis. Bei Wahrung der organisatorischen Selbständigkeit wollten Stahlhelm und Jungdeutscher Orden von nun an eine gemeinsame politische Kampffront bilden. Man gründete sogar die unumgängliche gemeinsame Geschäftsstelle, die unter der Aufsicht der Leitung der großen Bünde stand. Da erklärte Seldte den Austritt aus diesem sogenannten „Nationalausschuß“. Wieder war das Feld frei für eine Bekämpfung der Bünde untereinander, die politische Stoßkraft der bündischen Front war fürs erste wieder einmal gebrochen. Bald prägte sich die Front eines jeden Bundes so scharf aus, daß an eine Gemeinsamkeit nicht mehr zu denken war. Der Stahlhelm wandte sich unter der Parole „Hinein in den Staat“ an ganz bestimmte Parteien. Die Nationalsozialisten legten ihren bündischen Charakter mehr und mehr ab und wurden zusehends parlamentarischer. Der Jungdeutsche Orden aber schuf sich nun die Ideologie, unter der er erst einige Jahre später ein Faktor der Parteipolitik werden sollte.
Aus der inneren Kampfzeit ist dem Jungdo der Bolschewismus als der Feind geblieben. War der Stahlhelm jedoch voreingenommen „antiwestlerisch", so war der Jungdo in einem viel höheren Maß „antibolschewistisch“, eine Haltung, die sich durch seine Auseinandersetzumg mit dem Stahlhelm dauernd versteifte. Mahraun allerdings wandte sich stets gegen einen überscharfen Antimarxismus.
Aus der Kampfzeit des Jungdos im Ruhrgebiet gegen die Franzosen ist ihm eine antifranzösische Linie nicht geblieben. Im Gegenteil, der Jungdo wurde zum Wortführer einer „Wiederherstellung wahren Friedens zwischen Deutschland und Frankreich“. Der Gedanke eines deutsch-französischen Bündnisses, für das die Verflechtung der beiderseitigen Industrien ein vorbildliches Beispiel gab, wurde vom Jungdo seit langem vertreten. Dabei wollte der Jungdo wesentlich berücksichtigt wissen, wie er das Bündnis gestalten wollte. Man hätte, so argumentierte man im Jungdo, die Notwendigkeit, die für Frankreich in seiner Inflationsperiode bestanden habe, eine Verflechtung mit der deutschen Industrie vorzunehmen, als nationales machtpolitisches Pfand auf deutscher Seite benutzen müssen. Diese Auswertung sei aber unterblieben. Da der Jungdo in dieser Zeit entscheidenden Einfluß nicht hatte, ist zu diesem Argument nichts zu sagen – das Verhalten in den Einzelsituationen kann zu interessanten Schlüssen auf die allgemeine Linie der ausschlaggebenden Spieler führen; bei dem Jungdo kann nur die prinzipielle Haltung untersucht werden, und diese zeigt uns die Forderung des deutsch-französischen Bündnisses. Prinzipielle Begründung dafür ist das Argument, daß die deutsch-französische Verständigung ohne Bündnis nichts ist, da Frankreich allein durch ein Bündnis die immer geforderte Sicherheit gegen einen deutschen Angriff erhielt. Das Bündnis sollte Deutschland ermöglichen, wieder wehrhaft zu werden, das liege in dem Falle in Frankreichs Interesse. In der Bundesgenossenschaft Italiens sah Mahraun im Gegensatz zu einflußreichen Kreisen des nationalen Lagers keinen Nutzen für Deutschland.
Das außenpolitische Programm des Jungdos mußte hier ausführlicher erwähnt werden, weil es zu einem der größten Streit- und Diskussionsobjekte im nationalen Lager der Weimarer Zeit war. Bei der gefühlsmäßig vorwiegend antifranzösischen Einstellung der bündischen Jugend brachte es dem Jungdo erbitterte Feinde und Opfer an Mitgliederbestand ein – auch dort, wo man das politische und soziale Staatsprogramm des Jungdos anerkennt. Im „Jungdeutschen Manifest“ entwickelte Mahraun im Dezember 1927 das Staatsideal des Jungdos, das sich aus den Erfahrungen der eigenen Organisation ergab – nicht zuletzt im Kampf gegen die „getarnten Mächte“ ergab sich für den Jungdo die Forderung, die meinungslose und beeinflußbare Masse durch eine bestimmte staatsbürgerliche Gemeinschaft zu ersetzen, durch die „Nachbarschaft“.
Die Massendemokratie sollte zur Gemeinschaftsdemokratie werden. In der Nachbarschaft sollte der unterste Führer gewählt werden, die von den verschiedenen Nachbarschaften gewählten Führer sollten die höheren Führer wählen. Sowohl der Nachbarschaftsführer wie die höheren Führer sollten von den ihnen übergeordneten Führern bestätigt werden. Dadurch sollte verhindert werden, daß ein Staatsbürger allein seiner demagogischen Fähigkeiten wegen Führer wird. Die Nachbarschaften sollten zu Bezirken, die Bezirke zu Gauen, diese zu Stammgebieten zusammengefaßt werden, die entsprechenden Führer wären die Nachbarschafts-, die Bezirks-, Gau-, Stammführer. Oberster Führer ist der Reichsführer. Das „Kapitel“ des Stammgebiets besteht aus den Gauführern, das Kapitel des Reichs aus den Stammführern.
Die Art der Organisation und die Bezeichnungen (besonders die im Orden selbst gebräuchlichen) deuten darauf hin, daß ein gut Teil mittelalterlicher Romantik in dieser Idee der Volksgemeinschaft lebendig ist. Das besagt natürlich noch nicht, daß eine derartige Organisation zur Wirkungslosigkeit verurteilt ist. Auch Romantik solcher Art kann ein konkretes Aktivum sein.
Der Orden verstand es mit großem organisatorischen Geschick, sich in der „Volksnationalen Reichsvereinigung" eine Plattform für das direkte Eingreifen ins innerpolitische Leben zu schaffen. Bei den Wahlen zum Parlament des Freistaates Sachsen stellte die Volksnationale Reichsvereinigung zum ersten Mal eine Liste auf, es gelang ihr, zwei Mandate zu erobern.
Über die Stärke des Ordens ist schwer genaues auszusagen. Jedenfalls ging die Mitgliederzahl des Ordens zurück – Außenstehende sprachen von 50.000, während die Ordensleitung nie genaue Ziffern angab, jedoch einen weit höheren Mitgliederstand andeutete –, als in der „Volksnationalen Reichsvereinigung“ die Anpassung an die neuen Zeitaufgaben erfolgte, von der ein beträchtlicher Aufstieg der Bewegung und ihrer Ideen ausgehen konnte. Der Orden unterschied die sogenannten Fernziele von den Nahzielen. Fernziele, d. h., diese erst im langen Einsatz zu verwirklichen. Jetzt, wo sich der Orden eine Form der direkten Einwirkung auf die Politik geschaffen hatte und nicht umhin kann, Nahziele aufzustellen und zu konkretisieren, mußte sich die sinngemäße Übereinstimmung von Nah- und Fernzielen zeigen. Davon würde die politische Lagerung des Ordens und seine eigentliche Bedeutung für die Erneuerung der bisherigen Parteien abhängen. Mahraun taufte das System der bisherigen Parteien „Parteiismus“. Darauf aufmerksam gemacht, wie schlecht der Klang dieses Wortes sei, antwortete er, daß der Klang nicht schlechter sei als das System. Er werde das Wort gebrauchen, solange das System bleibe. Von der realen Wirksamkeit der Volksnationalen Reichsvereinigung würde nicht zuletzt abhängen, ob das Wort „Parteiismus“ noch im Gebrauch sein würde, wenn diese Vereinigung längst eine anerkannte, starke Parlamentspartei geworden wäre.
Die programmatischen Proklamationen des Jungdeutschen Ordens fanden gerade im Lager der Mitte, in den überzeugt und auch in den lauer demokratisch empfindenden Kreisen des Bürgertums, ein freundliches Echo. Zwar wies man allenthalben auf den nicht von politischer Erfahrung zeugenden „Idealismus“ des Ordens hin, ermunterte aber den offensichtlichen guten Willen zur Erneuerung der Mitte. Wenn es der Orden also verstehen würde, durch die Aktionen der Volksnationalen Reichsvereinigung auch praktisch-politisch zu überzeugen, so wären ihm Zustimmung und Zulauf aus diesem Lager, in dem die Parteimüdigkeit besonders stark um sich griff, sicher. Besonders die Jugend des Mittelstandes, in der Vorkriegsbegriffe und Vorkriegsideale liberaldemokratischer Parlamentspolitik nicht mehr wie bei den aus jener Zeit stammenden Parteiführern eine Rolle spielten, konnte sich der neuen Politik des Ordens zuwenden.
Die Elemente, die aus Temperament und Überzeugung nicht zu radikalen Experimenten neigten, mögen von der politischen Lagerung des Ordens „zwischen den Fronten“ angezogen worden sein – in erster Linie diejenigen, die an einer Betonung der nationalen Tradition hingen und doch politisch nicht zur Rechten zählten. Obwohl die nationale Note im Reichsbanner vorhanden war, spielte sie dort nicht die Rolle, die ihr große Teile der in der Mitte stehenden Jugend zuerkannten.
Für die Kennzeichnung der sozialen Struktur des Jungdos sollte man dem Mißverständnis ausgesetzte Worte wie klein- oder mittelbürgerlich, die oft als Wertung anstatt als soziologische Standortsbezeichnung wirken, vermeiden. Die Terminologie, die im Orden gebraucht wurde, sagt darüber viel Anschaulicheres. Mahraun pflegte davon zu reden, daß sich der Orden an die Kreise des „soliden und schaffenden Bürgertums“ wende. Das „solide“ Bürgertum der Provinz, nicht so sehr das Bürgertum der bereits moralisch zersetzten Großstadt sollte Kern der Bewegung sein. Wichtig war, daß der Orden aus dem hessischen Raum kam und sich aus einem individualistischeren Menschenschlag des Handwerker- und Kleinstadtbürgertums als der Stahlhelm rekrutierte, der sich auf die straffnüchternen Menschen der preußischen Provinzen stützte.
Der Jungdo war bei seiner bürgerlichen Struktur nicht bürgerlich im Vorkriegssinn. Im Gegenteil, er war so betont „antibürgerlich“, daß es zunächst den Anschein hatte, als stieße er den „Bürger“ überhaupt ab. Die antibürgerliche Reaktion entstand aus der antiplutokratischen Stimmung des Ordens. Die Weltplutokratie und ihre deutschen Anhänger waren Feinde, die nach Mahrauns Ansicht sofort hinter dem Bolschewismus kamen, fast waren sie ebenso gefährlich. Beide Elemente förderten die Auflösung aller nationalen Werte des Deutschtums.
Der inneren deutschen Auflösung entgegenzutreten, hielt der Orden für seine Hauptaufgabe. Obwohl man nicht antikapitalistisch, obwohl man für das Privateigentum und die persönliche Initiative war, bekämpfte man aufs schärfste das Besitzbürgertum, das sich der Weltplutokratie gegenüber als nicht widerstandsfähig erwiesen und das alle staatlichen Werte diskreditiert hatte. Die Stellungnahme gegen das Besitzbürgertum führte zu programmatischen Äußerungen wie der Höhns, daß der Kampf des Jungdeutschen Ordens begriffen werden müsse als „ein Kampf gegen ein ganzes Zeitalter des bürgerlichen Menschen“. Gemeint ist aber der besitzbürgerliche Mensch, nicht der staatsbürgerliche. Der Staatsbürger des wahren Volksstaates, der erstrebt wurde, weiß sich ebenso frei von besitzbürgerlichen Instinkten wie von den klassenkämpferischen der Marxisten. Überall eine Einheit im Gebäude des Jungdos: die Mittellagerung „zwischen den Fronten“.
Großballeien
- Großballei für Brandenburg, Pommern und Grenzmark
- Großballei Braunschweig-Hannover
- Großballei Hessen-Nassau
- Großballei Hessen-Rheinfranken
- Großballei Mitteldeutschland
- Großballei Niedersachsen
- Großballei Nord
- Großballei Nordwest
- Großballei Sachsen
- Großballei Schlesien
- Ballei Niederschlesien
- Großballei Westdeutschland
- Großballei Westfalen
Der Jungdeutsche Orden beteiligte sich weder am Kapp-Aufstand im März 1920 noch am Marsch auf die Feldherrnhalle im November 1923. Als sich die Ballei Franken dennoch beteiligte, schloß Mahraun sie aus dem Orden aus. Im Süden und Südwesten Deutschlands wurde der Orden auch in Zukunft nie sehr stark.
Verbot und Auflösung
Nach dem Wahlsieg der NSDAP wurde der Jungdeutsche Orden verboten und löste sich im Juni 1933 selbst auf.
Neugründung
Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnte Artur Mahraun eine sofortige Neugründung des Jungdeutschen Ordens ab, da nach seiner Meinung die Zeit für einen „ordensartigen“ Zusammenschluß noch nicht reif war. Dies betonte Mahraun auf Versammlungen, z. B. in Langenberg, Dortmund, Hamburg oder Flensburg. In persönlichen Briefen erklärte er diese Auffassung seinen alten Mitstreitern und betonte ausdrücklich:
- „Der Jungdeutsche Orden wird in einer späteren Zeit neu erstehen. Er wird dann der Ideenträger der Jungdeutschen Lehre sein. Wer einmal mit ganzem Herzen Jungdeutscher war, der hat die Ebene gesehen, auf der die rettende Großtat geschehen muß, welche das Schicksal allen deutschen Zeitgenossen auferlegt. Er hat von weitem die politische Heimat gesehen, in der die deutschen Nomaden der geistigen Massenwanderung wieder seßhaft gemacht werden sollen.“
Bekannte Mitglieder (Auswahl)
- August Abel, Außenpolitiker des Ordens
- Otto Bornemann, geschäftsführender Leiter der Ordenskanzler
- Hans Dietrich, 1920 bis 1923 2. Komtur der Ballei Franken
- Max Otto Hellmut Körner
- Kurt Pastenaci (Eintritt: 1924)
- Hans von Tschammer und Osten, 1923 bis 1926 Großkomtur der Großballei Sachsen
Literatur
- Ernst Posse: Die Politischen Kampfbünde Deutschlands, Junker und Dünnhaupt Verlag, 2. Auflage, 1931
- Heinrich Wolf: Der Jungdeutsche Orden in seinen mittleren Jahren 1922–1925, 2 Bde., München 1972–1978
Fußnoten
Besonders lesenswerte Artikel sind außergewöhnlich gelungen und umfassend. Verbesserungen und Erweiterungen sind dennoch gern gesehen. Umfangreichere strukturelle und inhaltliche Änderungen sollten zuvor diskutiert werden. |