Schumacher, Kurt (1895)
Kurt Ernst Carl Schumacher (auch: Curt; 13. Oktober 1895 in Culm, Westpreußen; 20. August 1952 in Bonn) war ein deutscher Rechts- sowie Staatswissenschaftler und Politiker (SPD). Er war Parteivorsitzender der SPD von 1946 bis 1952 und SPD-Fraktionsvorsitzender sowie Oppositionsführer im ersten Deutschen Bundestag von 1949 bis 1952.
Kurt Schumacher war in der Zeit von 1945 bis 1949 maßgeblich am Wiederaufbau der SPD in Westdeutschland beteiligt. In den ersten Jahren der Bundesrepublik war Schumacher der große Gegenspieler Konrad Adenauers. Auch wenn Schumacher langfristig mit seinen politischen Vorstellungen zum größten Teil scheiterte, gehörte der leidenschaftliche Patriot und Antikommunist doch zu den Gründervätern der Bundesrepublik Deutschland.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Erster Weltkrieg
Kurt Schumacher, 1895 in Culm/Westpreußen geboren, meldete sich 1914, wie sein gesamter kriegsbegeisterer Jahrgang, als Kriegsfreiwilliger des Deutschen Heeres, kam nach dem Notabitur an die Kriegsfront, wurde aber am 2. Dezember 1914 an der Ostfront westlich von Lowitsch schwer verwundet, sein rechter Arm mußte amputiert werden (wofür er 1918 das Verwundetenabzeichen in Silber erhielt), am 15. Oktober 1915 wurde der Kriegsversehrte aus dem aktiven Dienst als Ritter des Eisernen Kreuzes II. Klasse mit einer monatlichen Rente von 33,75 Mark zuzüglich einer Kriegszulage von 15 Mark und der einfachen Verstümmelungszulage von 27 Mark entlassen. Besonders schmerzvoll war für ihn die Tatsache, daß seine Heimatstadt Culm (Kulm) an der Weichsel ab 1920 von den Polen gemäß dem Versailler Diktat besetzt wurde.
Studium und Politik
Nach seiner mehrmonatigen Genesung und Entlassung aus dem Deutschen Heer studierte er ab dem Wintersemester 1915/1916 bis 1919 an den Universitäten Halle, Leipzig und Berlin. 1917 trat er in den Bund der Kriegsteilnehmer und Kriegsbeschädigten, im Januar 1918 trat er der SPD bei und wurde 1919 Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Reichsarbeitsministerium. Seit 1920 betätigte er sich als politischer Publizist und promovierte 1926 mit magna cum laude zum Doktor der Staatswissenschaften an der Universität Münster. 1924 bis 1931 war er Mitglied des Württembergischen Landtages, seit 1930 bis zum Jahre 1933 war Schumacher deutscher Reichstagsabgeordneter.
Drittes Reich
Wegen seiner entschiedenen Ablehnung des Nationalsozialismus[2] war Schumacher von 1933 bis 1943 in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, überwiegend in Dachau.
Bundesrepublik Deutschland
Nach dem Krieg war Schumacher eine der bedeutendsten Figuren beim Wiederaufbau der SPD. So wurde er am 10. Mai 1946 zum Vorsitzenden der SPD gewählt und setzte sich als solcher im Sinne einer antikommunistischen Ausrichtung gegen jede Zusammenarbeit mit der KPD ein. Allerdings unterlag er bei den Bundestagswahlen am 14. August 1949 knapp der CDU/CSU unter Konrad Adenauer und verfehlte so die angestrebte Kanzlerschaft. Doch auch als Oppositionsführer im Bundestag sollte Schumacher eine wichtige Rolle als gefürchteter Gegenspieler der Regierung zukommen. Berühmtheit erlangt hat vor allem sein Zwischenruf „Der Bundeskanzler der Alliierten!“, als Adenauer seine Rede zur Ruhrbehörde hielt. Auch lehnte er die Oder-Neiße-Linie als Grenze strikt ab und verlangte, daß Deutschland im zukünftigen Europa eine ihm angemessene Rolle einnehme.
Entgegnung auf Adenauers Regierungserklärung 1949
Schumacher warf darin Adenauer u. a. vor die Opposition gegen den Nationalsozialismus mit keinem Wort erwähnt zu haben. Diese sei nach Schumacher einer der wenigen Aktivposten, auf die sich Deutschland gegenüber dem Ausland berufen könnte. Außerdem erklärte Schumacher es darin zur Pflicht eines jeden deutschen Patrioten, das Schicksal der Juden in den Vordergrund zu stellen und ihnen jede notwendige Hilfe zukommen zu lassen.[3]
Tod
Aufgrund seiner durch zwei Weltkriege und jahrelange Inhaftierung schwer geschundenen Gesundheit – zusätzlich zum rechten Arm (1914) wurde ihm im September 1948 auch noch sein linkes Bein aufgrund arterieller Durchblutungsstörungen amputiert – verstarb Schumacher bereits am 20. August 1952 im Alter von nur 56 Jahren.[4]
Bewertung
Adenauer sagte später im Gespräch mit Günter Gaus, daß Schumacher im Gegensatz zu ihm ein Nationalist gewesen sei. Außerdem habe ihm Schumacher in einem Gespräch der beiden übelgenommen, daß er die Vorrangstellung der SPD, als der deutlich älteren Partei, nicht ohne weiteres hinnehmen wollte, sondern erst das Wahlergebnis 1949 abwarten wollte.
Zitate
Zur Frage der Ostgebiete
- „Deutschland wird nie die Oder-Neiße-Linie, wie sie von den vier Siegermächten in Potsdam festgelegt wurde, als deutsche Grenze anerkennen. Wir werden um jeden Quadratmeter deutschen Boden jenseits dieser Linie mit friedlichen Mitteln kämpfen.“
- „Die Sozialdemokratie hat Nein gesagt zur Oder-Neiße-Linie. Wenn wir Nein gesagt haben, dann haben wir Ja gesagt zum freien Selbstbestimmungsrecht der Völker auch des deutschen Volkes, auch nach dem Verbrechen der zwölf Jahre. Wir haben Nein gesagt zum Verlangen der Sowjets auf Zwangsvereinigung mit den Kommunisten. Wir haben damit Ja gesagt zur Unverzichtbarkeit der persönlichen und staatsbürgerlichen Freiheit. Was wäre aus Deutschland geworden, wenn wir Ja gesagt hätten? Die Sozialdemokratie hat Nein gesagt zur rechtswidrigen, machtpolitisch eindeutigen Herauslösung des Saargebietes aus dem deutschen Staatswesen. Sie hat Ja gesagt zu dem unverzichtbaren Grundrecht und der Gleichberechtigung aller Deutschen gegenüber allen anderen Völkern, Wenn sie im Westen hier zu diesem Vorgang Ja gesagt hätte, dann wäre der Kampf im Osten entscheidend geschwächt worden.“
- „Die Regelung der deutschen Grenzen kann erst durch den Friedensvertrag erfolgen. Irgendeine Anerkennung vorher geschaffener Tatsachen ist deswegen nicht möglich, weil die Alliierten selbst den provisorischen Charakter dieser Schritte betont haben. Was die Ostgrenzen anbetrifft, so halten alle Deutschen sie für provisorisch und im Widerspruch zu den Erklärungen von Potsdam stehend ... Die Grenzfrage ist offen, und es ist ganz klar daß alle deutschen Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten, das Optimum erstreben.“
Zur deutschen Frage
- „Sie ist aber auch eine bedeutsame Frage für die Erhaltung der Freiheit in der Welt. Mit dem Kampf für die deutsche Einheit dienen wir unserem eigenen Volk. Mit dem Kampf für die deutsche Einheit dienen wir aber auch der Sache der Freiheit und der Menschlichkeit in der ganzen Welt.“
- „Aber wir wollen heute, in diesen Tagen bereits daran denken, daß wir mit Subjekt sein wollen, soweit es Deutschland angeht... Man muß jedem Volke ein gewisses Minimum seiner nationalen Selbstachtung gestatten, wenn man es zu einem Volke der Zusammenarbeit und des Friedens machen will... Nach den Äußerungen der verantwortlichen Staatsmänner in und nach dem Kriege soll das deutsche Volk weder ausgerottet noch versklavt werden, aber praktisch ergeben sich besonders an der Peripherie des deutschen Raumes heute Zustände, die der Ausrottung und Versklavung heute so ähnlich sind wie ein Ei dem anderen...“
- „Ich möchte weiter sagen: Diese Hoffnung, daß man kampflos in eine Situation kommen könne, bei der man nolens volens von irgendwelchen auswärtigen Mächten gelenkt werden könnte, ist doch keine Hoffnung, mit der ein Volk sein gleiches Recht und seine Selbstbehauptung erkämpfen kann. Ich bin der Meinung, daß man eine Politik der Selbständigkeit machen soll, frei von jedem nationalistischen Exzeß. Aber ich bin der Meinung, daß das deutsche Volk jetzt endlich und besser und mehr als bisher ein selbstverständliches, ruhiges, ausgeglichenes, aber unerschütterliches nationales Selbstbewußtsein braucht, seinetwegen, aber auch der Völker Europas wegen.“
Zu den Soldaten der Waffen-SS
- „Die Sozialdemokratische Partei ist ausgegangen und geht aus von jeder Ablehnung und Bekämpfung der Kollektivschuld. Das bedeutet nicht, daß sie damit individuelle Verbrechen entschuldigen oder gar zudecken wolle. Sie tritt für die strafrechtliche Verfolgung krimineller Delikte ein. Es wird für Sie von Bedeutung sein zu erfahren, daß sich die beiden Vertreter der früheren Waffen-SS ausdrücklich zu der Bestrafung dieser individuellen Verbrechen bekannt haben. Es besteht also gerade von dieser Seite gar nicht der Wunsch, an die Stelle der Kollektivschuld eine ebenso unmögliche Kollektivunschuld zu setzen. (...) Die Waffen-SS als Massenformation ist kriegsbedingt gewesen und nur für Kriegszwecke geschaffen worden. Die Mehrzahl dieser 900.000 Menschen ist in eine ausgesprochene Pariarolle geraten. Sie sind kollektiv haftbar für die Verbrechen des SD und der Menschenvernichtungsaktionen gemacht worden, trotzdem sie als Waffen-SS kaum nähere Berührung damit hatten als manche andere Wehrmachtsteile. Zu jedem totalitären System hat es gehört, mit allen Methoden der Verstrickung ein Ergebnis von Mitschuld aller zu erzeugen. Im Falle der Waffen-SS hat man im Bewußtsein der Welt eine totale Komplizität herbeizuführen sich ziemlich erfolgreich bemüht. Uns scheint es eine menschliche und staatsbürgerliche Notwendigkeit zu sein, diesen Ring zu sprengen und der großen Masse der früheren Angehörigen der Waffen-SS den Weg zu Lebensaussicht und Staatsbürgertum freizumachen...“
Zum geschichtlichen Handeln
- „Vergeßt in der Politik, in einer so dramatischen Umgestaltung unseres Kontinents und der ganzen Welt, das Eine nicht. Wenn heute manche von uns lau und matt werden, dann ist das ja menschlich alles erklärlich, aber die Geschichte fragt ja nicht, warum ihr lau und matt geworden seid, die Geschichte fragt nur danach, wieviel Verstand, wieviel Mut und wieviel Sehnen habt ihr, um Eure Ideale durchzusetzen.“
Zu den Kirchen
Schumacher attackierte bei einer Rede in Gelsenkirchen die Kirchen an sich: „Wir wollen den Frieden und die Zusammenarbeit mit allen kirchlichen Institutionen. Aber wir denken gar nicht daran, das deutsche Volk einer fünften Besatzungsmacht zu unterwerfen.“
Über Schumacher
- „Auch im Dritten Reich, vor allem während des Zweiten Weltkrieges, gehörten Sozis zu den Helfershelfern der Feinde unseres Volkes. Wie im November 1918, so standen sie auch im Mai 1945 wieder bereit, den Siegerwillen zu vollziehen gegen ihre eigenen Volksgenossen. Der Wahrheit wegen muß erwähnt werden, daß zu den wenigen Sozialdemokraten, die nationale Ziele verfolgten, der damalige Vorsitzende Dr. Kurt Schumacher gehörte.“ — Friedrich Christian Prinz zu Schaumburg-Lippe[5]
Filmbeiträge
Am 25. September 1949 hielt Konrad Adenauer jene Rede, die vom berühmten Zwischenruf Kurt Schumachers „Sie sind der Kanzler der Alliierten!“ unterbrochen wurde:
Literatur
- Harold Hurwitz: Zwangsvereinigung und Widerstand der Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und Berlin, Verlag Wissenschaft und Kritik, Köln 1990 [Sonderdruck ohne ISBN für den Verein für politische Bildung und soziale Demokratie e.V. (DDR), 173 S.]
Verweise
Fußnoten
Alwin Gerisch (1890–1892) • Paul Singer✡ (1890–1913) • August Bebel (1892–1913) • Hugo Haase✡ (1911–1916) • Friedrich Ebert (1913–1919) • Philipp Scheidemann (1917–1919) • Hermann Müller (1919–1928) • Otto Wels (1919–1933) • Arthur Crispien (1922–1933) • Johann Vogel (1931–1933) • Kurt Schumacher (1946–1952) • Erich Ollenhauer (1952–1963) • Willy Brandt (1964–1987) • Hans-Jochen Vogel (1987–1991) • Björn Engholm (1991–1993) • Rudolf Scharping (1993–1995) • Oskar Lafontaine (1995–1999) • Gerhard Schröder (1999–2004) • Franz Müntefering (2004–2005) • Matthias Platzeck (2005–2006) • Kurt Beck (2006–2008) • Franz Müntefering (2008–2009) • Sigmar Gabriel (2009–2017) • Martin Schulz (2017/18) • Andrea Nahles (2018/19) • Saskia Esken & Norbert Walter-Borjans (2019–2021) • Saskia Esken & Lars Klingbeil (seit 2021)
- Geboren 1895
- Gestorben 1952
- Deutscher Politiker
- Vorsitzender der SPD
- Reichstagsabgeordneter (Weimarer Republik)
- Bundestagsabgeordneter (Niedersachsen)
- Person in der Weimarer Republik
- Opposition gegen den Nationalsozialismus
- Person im Ersten Weltkrieg (Deutsches Reich)
- Landtagsabgeordneter (Volksstaat Württemberg)
- Mitglied im Reichsbanner
- Häftling im Dritten Reich