Ultra-Bewegung

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„Ist doch nicht wichtig... Hansa ist wichtig!“ — Spruchband der Suptras Rostock mit simplen Inhalt, aber deren Bedeutung in aller Deutlichkeit das Wesen sämtlicher Ultragruppen widerspiegelt. Zur Erläuterung: Hansa Rostock spielte am 1. September 2018 auswärts in Meppen; zeitgleich gab es aber in Rostock ein Marteria-Konzert. So zogen es Tausende Anhänger Hansa Rostocks vor, dieses Konzert zu konsumieren, anstatt ihren FCH im „öden, uninteressanten und unwichtigen Meppen“ zu unterstützen. Für Ultras ein absolutes Unding. Für Ultras heißt Fandasein, ihren Verein immer und überall bestmöglich zu unterstützen und zu repräsentieren. Ultras bezeichnen es als „ewigen, unbändigen Kampf für das eigene Emblen“.

Die Ultra-Bewegung (auch: Ultra-Kultur, Ultra-Szene und Fanszene) entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten zu einer der bedeutendsten Subkulturen weltweit. Dabei unterstützen die Ultras ihre Fußballvereine in verschiedener Art und Weise. Jede Gruppierung vertritt eigene Wertvorstellungen.

Die historischen Ursprünge liegen in Italien, wo sich in den 1950er Jahren erste Ultra-Gruppen formierten. Von dort aus sprang die Ultra-Bewegung ab den 1980er Jahren in andere süd- und westeuropäische Länder über, so auch ab Mitte der 1980er Jahre in die BRD. In den ehemaligen Ostblockstaaten wurden erst um die Jahrtausendwende ultraorientierte Gruppen gegründet, die jedoch einen anderen Stil in bezug auf Stimmung, Gewalt und Politik gegenüber den „südländischen“ Ultras pflegen.

Ultra-Gruppen in der BRD sind Bestandteil der sogenannten aktiven Fanszene, die innerhalb eines Vereins, meist über Jahrzehnte hinweg, aus Kutten, Hooligans und normalen Fanclubs gewachsen ist. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (FC St. Pauli), vermeiden Fanszenen als Ganzes politische Bekenntnisse. Kommen mit der Zeit linksextreme, neobolschewistische Ultra-Gruppen in einem Verein auf, entstehen innerhalb der Kurve chaotische Zustände, die dann in Konflikten untereinander sowie dem Aufkommen unzähliger Splittergruppen enden – mit der Folge einer uneinheitlichen, unorganisierten und somit geschwächten Fanszene. Prominentestes Beispiel einer solchen Entwicklung ist derzeit Werder Bremen.

Ultrakultur

In der südeuropäischen Ultra-Kultur wird vor allem auf optische Unterstützung mittels Schwenkfahnen und Doppelhalter gesetzt ...
... während die osteuropäische Ultra-Kultur einen höheren Fokus auf lautstarke akustische Unterstützung legt.
Ein antideutsches Spruchband der linksextremen Ultra-Gruppe Caillera (Werder Bremen). „Lichtenhagen, Hoyerswerda, Heidenau, Connewitz und Chemnitz – Der Nazimob wuetet, der Staat spielt mit – Deutschland du mieses Stueck Scheisze!“ Gezeigt am 1. September 2018 in Frankfurt, bezüglich patriotischer Trauerkundgebungen nach dem Messermord in Chemnitz.
Neomarxistische Ultras des FC St. Pauli nutzen Fußballspiele für die Verbreitung antideutscher Propaganda.
Die „Kriegserklärung“ der Ultras Dynamo an den DFB
Fußballanhänger in Bulgarien (Lokomotive Plowdiw und ZSKA Sofia) nehmen 2020 Stellung zu Black Lives Matter

Selbstverständnis

Die Ultra-Bewegung ist in Deutschland sehr heterogen, so daß es „die deutsche Ultra-Kultur“ nicht gibt. Vorstellungen darüber, was unter „Ultra“ zu verstehen ist, gehen je nach Stadt, Verein oder Kurve auseinander. Deutsche Ultra-Gruppen entstanden erst Mitte der 1980er bzw. Ende der 1990er Jahre. Dabei ließen sie sich von Gruppierungen aus anderen Ländern, in denen die Ultra-Kultur schon etabliert war, inspirieren. Es kristallisierten sich daraus grob zwei Richtungen: der „südeuropäische Stil“ sowie der „osteuropäische Stil.“ Im folgenden zwei Selbstdarstellungen unterschiedlich geprägter Fanszenen:

Brigade Nord 1999 – Hannover 96 (südeuropäischer Stil):

„Ultrà ist [...] unsere Art zu leben. [...] Der ‚Freiraum Stadion‘ muß von uns erhalten werden, dazu gehört ein differenziertes und lebendiges Bewußtsein jedes einzelnen. [...] Ultrà ist vor allem ein Reifungsprozeß der Fankultur. Sozusagen die Weiterentwicklung vom kleinen Kind, das viele Regeln akzeptiert und einfach so hinnimmt; zum rebellischen, selbstbewußten Erwachsenden, der sagt, was er will und was nicht. Ultrà ist eine Welt, in der wir bestimmen, wo es lang geht, wie die Regeln aussehen und was wir tun. Eine Welt, die sich abhebt von der konservativen, oberflächlichen, ideenlosen und stereotypischen (gleichgeschalteten) Gesellschaft. Unser Ziel ist es, durch unsere eigenen Ideen und Ideale die Richtung zu bestimmen. [...] Wir haben die Ehre unserer Stadt, unseres Vereins und auch unserer Gruppe zu verteidigen, egal wie viele und wo wir sind. [...] Ein Ultrà lebt sein Leben für die Kurve, die Gruppe und den Verein. Ein Ultrà sieht den Fußball nicht als abgesondertes Freizeitangebot, sondern als Berufung, als Bestimmung seines Lebens, als seinen Wegweiser aus der Not, als den Lebensinhalt für den es sich zu leben lohnt.“[1]

Block U – 1. FC Magdeburg (osteuropäischer Stil):

„Wir sind Ultras. Wir sind der Stadionrausch, daß durchdrehende Delirium. Wir sind die Unbequemen, die Unaussprechlichen. Wir sind die Opposition. Wir sind Dagegen. Wir sind der singende und tanzende Abschaum dieser Welt. Wir sind die Äußersten, die Andersdenkenden, von den Medien unweigerlich in den Mittelpunkt gestellten. Wir sind der Blitzableiter der Gesellschaft. Die Güllegrube der Bourgeoisie. Wir sind das Rätsel, Mysterium und Mythos der ganzen Welt. Wir sind die Operationen der Halbwelt. Wir sind die immer wieder auftauchenden und in den Schatten der Stadt, verschwindenden Städteguerillas. Wir sind die Schizophrenie von ausufernder Stadiongewalt und Sinne vernebelnder Kurvenshows. Wir sind die generationsüberlebende Jugendkultur. Wir sind immer an der Grenze und etwas darüber. Wir kämpfen nur für das Emblen, die Farben, die Stadt und um das Ganze. Wir sind Fußballromantiker und Stadionterroristen. ABER: Wir sind keine Dienstleister. Keine Affen in der Manege. Keine gedrillten Stimmungsroboter. Wir sind Ultras und wir zelebrieren den Fußball so wie wir es wollen. Wir sind Ultras, nicht ignorant, anders als ihr von uns denkt.“[2]

Elemente der Ultra-Kultur

Ultras unterstützen ihre Vereine und ihre Mannschaften mittels:

  • Stimmung,
  • Choreographien,
  • Pyrotechnik,
  • Zaunfahnen,
  • Spruchbändern,
  • Fanmärschen und
  • Straßenkunst.

Kritik

Kritiker werfen den Ultra-Gruppen vor, aus den Kurven gut gedrillte Männerchöre mit strengen Hierarchien und einfallslosem Dauersupport gemacht zu haben. Choreographien seien den Huldigungen und Inszenierungen eines nordkoreanischen Diktators ähnlich.[3]

Ultras in der BRD

Entwicklung der Ultraszene

Die ersten Ultra-orientierten Gruppen entstanden Mitte der 1980er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Als älteste noch bestehende Gruppe gilt die Gruppierung Fortuna Eagles (Gründungsjahr: 1986, Fortuna Köln). In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich die Ultra-Szene in Westdeutschland weiter. Vorreiter in Sachen Stimmung, Choreographien und Einsatz von Pyrotechnik waren die Ultras Frankfurt (Eintracht Frankfurt) und die Ultras Nürnberg (1. FC Nürnberg). Bis Anfang der 2000er Jahre wurden in jedem westdeutschen Profiverein Ultragruppierungen gebildet, die sich ausnahmslos an dem südeuropäischen Stil orientierten.

In Mitteldeutschland entstanden erst Ende der 1990er / Anfang der 2000er Jahre die ersten Ultra-Gruppen, u. a. Ultras Dynamo (Dynamo Dresden), Blue Generation (1. FC Magdeburg) und Suptras (FC Hansa Rostock). Anders als die westdeutschen Ultra-Gruppen orientierte man sich an dem osteuropäischen Stil.

Politische Ausrichtung deutscher Ultras

Die Ultra-Kultur gibt keine politische Ausrichtung vor und ist somit als Ganzes keiner Ideologie zuzuordnen. Die meisten deutschen Fanszenen und Ultra-Gruppen sind unpolitisch und vermeiden jegliche Art von politischen Äußerungen, um sich Konflikten innerhalb der Kurve zu entziehen. Trotzdem gibt es Ultra-Gruppen, die sich deutlich zu politischen Haltungen bekennen. Diese reichen von neomarxistisch bis hin zu national gesinnt.

In den vergangenen Jahren wurden in der Bundesrepublik Deutschland deutlich mehr linke Ultra-Gruppen gebildet, die stetig versuchen, ihren Einfluß innerhalb der Kurve und des Vereins zu vergrößern. So kämpfen linksextreme Ultras gegen vermeintlichen Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus im Fußball. Exemplarisch dafür stehen die linksextremen Vereine

Weitere einflußreiche linke Ultra-Gruppen sind u. a. die

Größere national gesinnte Ultra-Gruppierungen gibt es u. a. beim

Verhältnis zum DFB

Während des Gastspiels im Mai 2017 der SG Dynamo Dresden beim Karlsruher SC erklärten die Ultras Dynamo dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) „den Krieg“. Dem schlossen sich zahlreiche Ultra-Gruppen aus der gesamten BRD an. Im Kern geht es den Ultras um die Stärkung von Fanrechten, Abschaffung von Kollektivstrafen, Aufhebung von Stadionverboten, fanfreundlichere Anstoßzeiten sowie allgemein um „weniger Kommerz in deutschen Stadien“.[4]

Ultras und Hooligans

Verhältnis

Grundsätzlich sind sowohl Ultras als auch Hooligans in erster Linie Anhänger ihres Fußballvereins und wollen diesen unterstützen. Beide Gruppierungen sind feste Bestandteile der „aktiven Fanszene“ und prägen diese erheblich. Es handelt sich dennoch um zwei verschiedene Subkulturen, da beide ihr „Fandasein“ anders ausleben. Während für die Ultras die lautstarke und kreative Unterstützung (Stimmung, Choreographien und Einsatz von Pyrotechnik) im Vordergrund steht, suchen die Hooligans aktiv die Konfrontation mit den Anhängern der gegnerischen Vereine. Einige Ultra-Gruppen weisen Elemente der Hooligangruppen auf. Diese Mischform wird als „Hooltras“ bezeichnet.

Vor Entstehung der Ultra-Gruppen prägten Hooligans die Kurven in der Bundesrepublik Deutschland. Da die Anzahl und die Größe von Ultra-Gruppen in den letzten Jahrzehnten erheblich zunahmen und die der Hooligangruppen kontinuierlich abnahmen, übernahmen die Ultras die Vorherrschaft innerhalb der Kurve. In vielen Fanszenen wurde ein Umgang miteinander gefunden, so daß sowohl Hooligans als auch Ultras im Stadion koexistieren (z. B. beim 1. FC Kaiserslautern).

In anderen Fanszenen hingegen versuchen Ultras – auch aus politischen Gründen – die Hooligans aus dem Stadion zu drängen, so beispielsweise bei Werder Bremen oder Borussia Dortmund. Bei den mitteldeutschen Vereinen (z. B. Dynamo Dresden, 1. FC Magdeburg und FC Hansa Rostock) entwickelten sich neben den Ultra- und Hooligangruppierungen auch mehrere Mischgruppen aus Ultras und Hooligans (→ Hooltras).

Siehe auch

Verweise

Fußnoten

  1. MentalitätBrigade Nord 1999
  2. Planet MD (Ausgabe 241 vom Spiel 1.FC Magdeburg – Kieler SV Holstein am 20. März 2016), Stadionheft „Block U – 1.FC Magdeburg“
  3. Wie Ultras die Stimmung kaputt machen11 Freunde, 12. November 2008
  4. Konkrete Forderungen der Fanszene an DFB & DFLFaszination Fankurve, 12. Dezember 2017