Witzig, Rudolf
Rudolf Albert „Ralf“ Witzig ( 14. August 1916 in Röhlinghausen, Wanne-Eickel; 3. Oktober 2001 in Oberschleißheim) war ein deutscher Offizier der Wehrmacht, zuletzt Major, Luftlandepionier, Fallschirmjäger der Luftwaffe, maßgeblich an der Eroberung des belgischen Forts Eben Emael am 10. Mai 1940 beteiligt und Eichenlaubträger im Zweiten Weltkrieg sowie Oberst der neu geründeten Bundeswehr.
Inhaltsverzeichnis
Militärischer Werdegang
Nach seinem Abitur in Kiel, in den Fächern Latein und Französisch, trat Rudolf Witzig am 1. April 1935 als Offiziersanwärter und Fahnenjunker in das Pionier-Bataillon 16 ein und wurde 1937 zum Leutnant befördert. Als Zugführer übernahm er im August 1938 den Pionierzug eines Fallschirminfanteriebataillons der Luftwaffe, mit dem er zu Beginn des Zweiten Weltkrieges am Polenfeldzug teilnahm.
Zweiter Weltkrieg
Als Oberleutnant wurde er mit seinem Pionierzug (PiZg/II./FJR.1) zur Sturm-Abteilung „Koch“ nach Friedrichshafen abkommandiert. Zur Vorbereitung der Einnahme von Eben-Emael fuhr er in die Tschechoslowakei, besichtigte dort den Tschechoslowakischen Wall und die Beschußübungen und Bombardierungstests, die die Wehrmacht dort machte, um daraus für die Eroberung der Maginot-Linie zu lernen.
Witzigs aus Fallschirmpionieren bestehender Zug („Kampfgruppe Granit“) startete am 10. Mai 1940 vor dem Morgengrauen mit elf Schlepp-Gespannen (je eine Ju 52/3m zog einen Lastensegler „DFS 230“) auf dem Flughafen Köln-Ostheim. Das Schleppgespann (Flugzeug plus Lastensegler in dem Witzig saß) hatte einen Defekt (das Schleppseil riß); das Gespann landete in Deutschland. Witzig erreichte deshalb erst nach dem Ende der eigentlichen Kampfhandlungen den Ort des Geschehens. Die anderen neun Lastensegler landeten auf dem Plateau des Forts Eben-Emael; die mit etwa 750 belgischen Soldaten besetzte Festung kapitulierte um 11.30 Uhr des nächsten Tages. Witzig war maßgeblich für Planung und Ausbildung dieses schwierigen und für den Erfolg des Westfeldzuges wichtigen Unternehmens verantwortlich. Daß diese Operation trotz des frühen Ausfalls des Zugführers erfolgreich durchgeführt wurde, gilt als ein Paradebeispiel der Überlegenheit der deutschen Auftragstaktik. Nach diesem Erfolg wurde er mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet und zum Hauptmann befördert.
Bei Gefechten nach dem Absprung über Kreta (bei Maleme) im Rahmen des Unternehmens „Merkur“ (20. Mai 1941) wurde Witzig schwer verwundet. Er verbrachte lange Zeit im Lazarett, erhebliche Teile seines verwundeten Beines mußten herausgeschnitten werde. Ein zweiter Schlag traf ihn während der Rehabilitationszeit, als im Januar 1942 seine Verlobte an einer schweren Infektion starb.
Nach seiner Genesung (die Wunde sollte ihn ein Leben lang belasten, wenn auch nicht behindern) stand er ab dem 10. Mai 1942 als Bataillonskommandeur beim Korps Fallschirm-Pionier-Bataillon (XI. Flieger-Korps) bei den blutigen Kämpfen um Tunesien (→ Afrikafeldzug)[2] und an der Ostfront (Litauen und anschließend in Ostpreußen) im Einsatz, wofür ihm wegen Tapferkeit vor dem Feind am 25. November 1944 das Eichenlaub zum Ritterkreuz verliehen wurde.
Endkampf
Das Kriegsende erlebte Major Witzig als Kommandeur des Fallschirmjäger-Regiments 18[3] im Westen, er geriet in Kriegsgefangenschaft, aus der er im September 1945 entlassen wurde.
- „Die Wiederaufstellung der Division erfolgte im September 1944 aus den noch verbleibenden Resten der Division in Nordholland im Raum Meppel. Nach beendeter Ausbildung wurde die Division in den Raum zwischen Antwerpen und den Albert-Kanal verlegt. Hier geriet die Division in das alliierte Luftlande-Unternehmen „Market Garden“. Es gelang dem britischen XXX. Armeekorps, zwischen der 85. Infanterie-Division und der 6. Fallschirmjäger-Division durchzustoßen und auf Eindhoven vorzustoßen. Die 6. Fallschirmjäger-Division kämpfte anschließend im Raum 20 km südostwärts Eindhoven, bis die Schlacht um Arnheim ein Ende fand. Bis Februar 1945 stand die Division anschließend in der Maas-Stellung. Anschließend machte die Division den Rückzug im Rahmen des II. Fallschirmjäger-Korps über Gennep, Kleve, Xanten und Hochwald weiter nach Enschede und Hengeleo mit. Letzte Reste der Division erreichten im April 1945 noch den Raum Oldenburg, wo sie in Gefangenschaft gerieten.“ — Lexikon der Wehrmacht
Erwähnungen in den Wehrmachtberichten
Datum | Wortlaut im Wehrmachtbericht |
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11. Mai 1940 | (Sondermeldung) Das stärkste Fort der Festung Lüttich, Eben-Emael, das die Übergänge über die Maas und den Albert-Kanal bei und westlich Maastricht beherrscht, hat sich Sonnabendnachmittag ergeben. Der Kommandant und 1000 Mann wurden gefangen genommen. Das Fort wurde schon am 10. Mai durch eine ausgesuchte Abteilung der Luftwaffe unter Führung von Oberleutnant Witzig und unter Einsatz neuartiger Angriffsmittel kampfunfähig gemacht und die Besatzung niedergehalten. Als es einem von Norden angreifenden Verband des Heeres nach hartem Kampf gelungen war, die Verbindung mit der Abteilung Witzig herzustellen, hat die Besatzung ihre Waffen gestreckt.[4] |
8. August 1944 | Im Kampfraum westlich Kauen hat sich das 1. Bataillon des Fallschirm-Pionierregiments 21 unter Major Witzig durch beispielhaften Kampfgeist hervorragend bewährt. Das Bataillon vernichtete an einem Tag 27 feindliche Panzer im Nahkampf[5] |
Nachkriegszeit
Nach dem Krieg und Studium arbeitete Witzig als Ingenieur im Straßenbau. 1949 haben die Franzosen ihn bei den Briten als Ingenieur angefordert, allerdings hatte er Wind davon bekommen, daß die Franzosen ihn entführen wollten und in Frankreich als Kriegsverbrecher verurteilen wollten. Nach eine Gespräch mit Kurt Student, der damals in der Nähe von Hamburg wohnte, wandte er sich an den zuständigen britischen Kommandeur, der wiederum das Begehren der Franzosen ablehnte. Später wurde Witzig in Frankreich in Abwesenheit verurteilt. Ihm wurde aufgetragen, das Land und die französische Besatzungszone in Zukunft zu meiden. 1979 ermittelte die BRD-Justiz erneut auf Verlangen der Franzosen, allerdings wurde das Verfahren eingestellt. In Frankreich blieb er ein Verfolgter und Verurteilter, auch als Offizier der Bundeswehr und trotz der Tatsache, daß der Verband französischer Fallschirmjäger sich für ihn dort einsetzte.
Jedes Jahr, sobald es für Deutsche möglich war, reiste Witzig mit Kameraden und ihren Ehefrauen am 10. Mai zu den Ruinen von Eben Emael. Ein Tag galt dem Gedenken dort, ein Tag dem Gedenken auf der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn, wo die Lebenden sich mit dem Angehörigen der gefallenen Kameraden trafen, und ein Tag war für die Freizeit gedacht. Jürgen Witzig berichtete, daß sein Vater noch 2000 diese Gedenkfahrt auf sich nahm, im Jahr vor seinem Tode.
Bundeswehr
Witzig wurde am 16. Januar 1956 in die neu gegründete Bundeswehr aufgenommen. Unter anderem war er dort Kommandeur des Pionier-Bataillons 7 in Holzminden[6] und diente bis 30. September 1974, zuletzt im Dienstgrad eines Oberst (seit 1965). Außerdem war Witzig jahrelang 1. Vorsitzender des Bundes Deutscher Fallschirmjäger e. V. sowie später deren Ehrenmitglied.
Familie
Rudolf wurde als Sohn von Rudolf Friedrich Witzig (1876–1927) und dessen Gemahlin Amanda Henriette Adolfine, geb. Ziehn (1885–1983), geboren. Er war der Dritte von vier Geschwistern. Er hatte zwei ältere Schwestern und einen jüngerer Bruder, Leutnant zur See Ernst Georg Witzig, der am 27. März 1943 mit 19 Jahren fiel, als die U 469 (3. Unterseeboots-Flottille) mit 47 Mann Besatzung von einer Boeing B-17 der Royal Air Force getroffen wurde und zwischen Island und die Färöer sank.
1941 wurde Witzig verlobt, seine große Liebe war Dr. med. Gerda Remmers, die er in Höxter kennenlernte und die nun in Münster als Ärztin tätig war. Gerda Remmers verstarb am 12. Januar 1942, als sich die 24jährige im Berufsleben eine schwere Infektion einfing, die nicht zu heilen war.
Noch während der Ardennenoffensive fand Witzig Zeit, sich erneut zu verloben, und er erhielt im Januar 1945 ein paar Tage Heimaturlaub für die Kriegshochzeit. Er heiratete Hanna Remmers, Medizinstudentin und Rote-Kreuz-Schwester, die jüngere Schwester seiner verstorbenen Verlobten. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Jürgen, Hans, Elisabeth und Angela. Witzigs Sohn Jürgen war Oberst im Personalamt der Bundeswehr und Vorsitzender des Bundes Deutscher Pioniere e. V. Vater Rudolf scherzte mit seinem Sohn Jürgen, als dieser zum Oberst der Pioniertruppe der Bundeswehr befördert wurde, ob dieser denn noch Kontakt mit einem Kriegsverbrecher pflegen darf.
Bildergalerie
Walter Koch (links) und Rudolf Witzig (2. v. l.) mit Adolf Hitler bei der Verleihung des Ritterkreuzes nach der Eroberung des belgischen Forts Eben-Emael, 16. Mai 1940. U. a. erhielt Leutnant Martin Schächter ebenfalls das Ritterkreuz, konnte aber aufgrund seiner Verletzungen nicht an der Verleihungszeremonie teilnehmen.
V. l. n. r.: Adolf Hitler, Joachim Meißner, Rudolf Witzig und Walter Koch im lockeren Gespräch. Die vielen Bilder des ehrwürdigen Tages verdeutlichen, daß das EK 2, EK 1 und das RK am selben Tag zur Verleihung kamen.
Lastensegler DFS 230 mit Fallschirmjägern – die im Jahre 1940 noch geheime Waffe bewährte sich auf beeindruckende Weise beim Kommandounternehmen Eben Emael
Auszeichnungen (Auszug)
- Wehrmacht-Dienstauszeichnung, IV. Klasse
- Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938 mit Spange „Prager Burg“
- Eisernes Kreuz (1939) 2. und 1. Klasse im Mai 1940[7][8]
- Verwundetenabzeichen (1939) in Schwarz am 18. Oktober 1941
- Ärmelband „Kreta“ am 12. November 1942
- Medaille für den italienisch-deutschen Feldzug in Afrika
- Ärmelband „Afrika“ am 6. Januar 1943
- Erdkampfabzeichen der Luftwaffe am 1. August 1943
- Deutsches Kreuz in Gold am 17. Oktober 1943 als Major
- Nennung im Ehrenblatt der Luftwaffe am 7. Mai 1945
- zweimalige namentliche Nennung im Wehrmachtbericht am 11. Mai 1940 und am 8. August 1944
- Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub[9]
- Ritterkreuz am 10. Mai 1940 als Oberleutnant und Sonderführer der Sturmgruppe „Granit“ beim Sturm auf Eben-Emael
- Eichenlaub am 25. November 1944 (662. Verleihung) als Major und Kommandeur des I./Fallschirm-Pionier-Regiment 21 (ab 15. März 1945 in Pionier-Bataillon z. b. V. „Hermann Göring“ umbenannt)
Literatur
- Janusz Piekalkiewicz: Der Zweite Weltkrieg, KOMET Verlag, Köln, S. 236 f, ISBN 3-89836-472-0
- Franz Kurowski: Major Rudolf Witzig. Als Fallschirmjäger an den Brennpunkten der Front und Eroberer von Eben Emael, Weidlich und Flechsig, Würzburg 2007, ISBN 978-3-88189-739-6[10]
- Franz Thomas / Günter Wegmann: Die Ritterkreuzträger der Deutschen Wehrmacht 1939-1945 Teil II: Fallschirmjäger, ISBN 3-7648-1461-6
- Gilberto Villahermosa: Hitler's Paratrooper: The Life and Battles of Rudolf Witzig, Frontline Books, 2010
Verweise
- Major Witzig, Rudolf, Das-Ritterkreuz.de
- Witzig, Rudolf, ww2awards.com (englischsprachig)