Mussert, Anton Adriaan
Anton Adriaan Mussert ( 11. Mai 1894 in Werkendam, Niederlande; 7. Mai 1946 in Den Haag) war ein niederländischer Wasserbauingenieur und Politiker sowie Begründer und Leiter der niederländischen Nationalsozialisten (NSB). Während des Zweiten Weltkrieges wurde ihm von reichsdeutscher Seite der Ehrentitel „Führer des niederländischen Volkes“ verliehen.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Mussert wuchs als Sohn des Schullehrers Joannes Leonardus Mussert und dessen Frau Frederika Witlam in der niederländischen Provinz Nord-Brabant auf. Nach dem Schulbesuch in Gorinchem studierte er an der Technischen Hochschule in Delft 1918 und schloß sein Studium der Straßen- und Wasserbaukunde mit der Ingenieursprüfung ab. Sein älterer Brüder Jo wurde Offizier im niederländischen Heer.
Am 19. September 1917 heiratete Mussert seine 18 Jahre ältere Halbtante Maria Witlam. Die Ehe blieb kinderlos. Seine erste Arbeitsstelle war bei der Niederländischen Obersten Straßen- und Wasserbaubehörde (ndl.: Rijkswaterstaat), anschließend fand er eine Anstellung bei der Wasserbaubehörde der Provinz Utrecht, wo er eine steile Karriere machte und ab 1927 Leitender Ingenieur war. Der Entwurf des Amsterdam-Rhein-Kanals (ndl.: Amsterdam-Rijnkanaal) entstammte seiner Feder.
Politik
Seit 1920 betätigte er sich in verschiedenen nationalen Organisationen, wie dem Dietsche Bond, der den Anschluß Flanderns an die Groß-Niederlande forderte. Gemeinsam mit Cornelis van Geelkerken und zehn weiteren Personen gründete Mussert am 14. Dezember 1931 in Utrecht die sich an der NSDAP orientierende National-Sozialistische Bewegung (NSB) mit ihm als Leiter. Als Pendant zur SA wurde eine uniformierte „Weerafdeling“ aufgebaut. Mussert gab seine Karriere als Tiefbauingenieur auf, um sich ganz der politischen Tätigkeit zu widmen. Er wurde schnell zum prominentesten Nationalsozialisten der Niederlande und traf Adolf Hitler im November 1936 zum ersten Mal; drei weitere Treffen sollten folgen. Sogar Papst Pius XI. empfing ihn am 16. Juni 1936.
Während des NSB-Parteitages in Amsterdam im Jahre 1935 sprach er zu den versammelten, üblicherweise als Kameraden bezeichneten Mitgliedern:[1]
- „Die nächsten zehn Jahre werden entscheiden über das Sein oder das Nichtsein des niederländischen Volkes, des Volkes und der Bewegung. Einträchtig, unverzagt zu dienen, mit allen Kräften, über welche wir verfügen; alleine vermögen wir diese Sache nicht, zusammen sind wir unüberwindlich. Meine Kameraden, ich verlasse mich auf eure Disziplin, dann werdet ihr erleben, daß eure Treue und euer Idealismus eure Leben geläutert haben werden. Houzee, meine Kameraden!“
Die NSB wuchs auf über 50.000 Mitglieder und erhielt Mitte der 1930er Jahre bei den Provinzialwahlen landesweit knapp 8 Prozent der Stimmen. Sie war damit zu einem ernstzunehmenden politischen Faktor geworden. So konnte sie einige Sitze in der Kammer erringen. 1937 allerdings hatte die Partei viele Sympathisanten verloren und erreichte bei den Parlamentswahlen nur 4 Prozent. Die politische Nähe der Partei zum Dritten Reich war in der niederländischen Gesellschaft zu unpopulär, was durch den Staat, die etablierten Parteien und die Kirchen nachdrücklich bekräftigt wurde. Schon 1934 war niederländischen Beamten der Beitritt zur NSB untersagt worden; ein Jahr später wurde auch die „Weerbaarheidsafdeling“ verboten und damit aufgelöst. Bis April 1940 arbeitete die NSB unter starkem Widerstand von außen weiter.
Zweiter Weltkrieg
Ab Mai 1940 setzte sich die NSB mit der Sicherung deutscher Truppen in den Niederlanden wieder durch. Mussert und seine Partei gewann wieder an Bedeutung. Er begrüßte die Neuordnung Europas unter deutscher Führung und hoffte, Regent oder niederländischer Ministerpräsident nach dem Vorbild des Norwegers Vidkun Quisling zu werden, was ausblieb. Seine Bewegung erhielt jedoch später durch den deutschen Reichskommissar in den Niederlanden, Arthur Seyß-Inquart, die gleiche politische Monopolstellung wie die NSDAP in Deutschland.
Im Jahre 1942 ernannte ihn der Reichskommissar zum „Führer des niederländischen Volkes“. 1941 gründete Mussert die SS-Freiwilligen-Legion Niederlande, die zahlreichen Freiwilligen beteiligten sich am Kampf um Europa. Mit dem Vormarsch der Alliierten wurde Mussert festgenommen und wegen „Kollaboration mit dem Feind“ im November vor Gericht gestellt und wegen Landesverrats zum Tode durch Erschießen verurteilt. Auf ein Gnadengesuch verzichtete Mussert, aber seine Familie stellte es trotzdem für ihn, Königin Wilhelmina lehnte jedoch ab.
Inhaftierung und Hinrichtung
Mussert verbrachte ein Jahr im Scheveninger Gefängnis, in dem er mit anderen inhaftierten Parteimitgliedern dem wöchentlich diese Einrichtung besuchenden Publikum zur Schau gestellt wurde. Auf Papierfetzchen, die von seinen Schicksalsgenossen aufbewahrt und später aus das Gefängnis mit hinausgebracht werden konnten, schrieb der NSB-Führer seine Nachgelassene Bekenntnisse (ndl.: Nagelaten Bekentenissen) sowie mehrere Briefe.
In den Briefen zu seiner in einem Lager bei Amersfoort ebenfalls internierten Frau Rie Mussert zeigte er sich um ihr Wohlbefinden und ob ihrer mangelhaften Gesundheit besorgt. Weitere Briefe gingen an einen Anwalt, verfolgte Familienangehörige und an den Ministerpräsidenten Schermerhorn, einen ehemaligen Jugendfreund, im Jahre 1945 jedoch Verantwortlichen für die Verurteilung des NSB-Parteivorsitzenden. In den Bekentnissen nannte er die NSB die größte sich öffentlich gegen die SS auflehnende Bewegung der Niederlande, neben den Partisanen des Niederländischen Widerstandes. Meinoud Rost van Tonningen und Johannes Hendrik Feldmeijer hielt er für mögliche Eindringlinge der Reichsdeutschen. Sie wären Verräter, weil sie eine Einverleibung der Niederlande ins Deutsche Reich mit vorangetrieben hätten. Adolf Hitler habe rechtzeitig die Drahtzieher solcher Unternehmungen, Hermann Göring und Heinrich Himmler, entlassen. Der Person des Führers blieb Mussert auch weiterhin verschrieben. Er verweigerte ein Gnadengesuch, da er dann seiner Überzeugung nach anerkennen würde, daß er schuldig sei. Er hätte dann sinnlos die niederländischen Freiwilligen an die Ostfront geschickt dort sterben lassen.
In seinem letzten Brief vom 6. Mai 1946 schrieb er:
- „Wir haben unser Bestes getan. Gott hat ein anderes Ergebnis gewollt als wir gehofft hatten. Es möge sein: alles für unser Vaterland. Einmal wird man unser Leiden und Streiten anerkennen. Lebt wohl.“
Mussert wurde am 7. Mai 1946, vier Tage vor seinem 52. Geburtstag, auf der Wahlsdorfer Fläche in Den Haag hingerichtet. Sein Grab war nicht gekennzeichnet und nur engsten Angehörigen bekannt. Dennoch wurden die sterblichen Überreste Musserts im Juni 1956 von Unbekannten ausgegraben und verschleppt. Gerüchten innerhalb niederländischer nationalistischer Kreise zu Beginn des 21. Jahrhunderts zufolge soll sein Leichnam von flämischen Kameraden an einem geheimen Ort in der Nähe der belgisch-niederländischen Grenze erneut begraben worden sein. Solche Gerüchte konnten jedoch nicht bestätigt werden[2]. Nicht so sehr seine Beschwerden über die niederdeutschen SS-Verbände oder seine Freundschaft zu den Juden, sondern vor allem sein einnehmender Charakter und seine Entscheidung, mit seinen an der Ostfront ums Leben gekommenen Untergeordneten in die Tod zu gehen, machten Anton Mussert bleibend beliebt und geehrt in nationalen Kreisen.
Zitate
- „Mussert war mehr ein Faschist als ein Nationalsozialist, er wollte nur sein Volk glücklich sehen, ihm bessere Lebensverhältnisse bescheren.“ — Florentine Rost van Tonningen in einem Fragegespräch mit Paul Verhoeven zum niederländischsprachigen Film „Portret van Anton Adriaan Mussert“ im Jahre 1968