Neurath, Konstantin von
Konstantin Hermann Karl Freiherr von Neurath ( 2. Februar 1873 in Kleinglattbach, Königreich Württemberg; 14. August 1956 im Leinfelder Hof bei Enzweihingen, Baden-Württemberg) war ein deutscher Offizier, Jurist, Diplomat und Politiker. Er war von 1932 bis 1938 Außenminister und zwischen 1939 und 1941 Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Neurath gehörte zu den 24 vor dem Nürnberger Tribunal angeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 zu 15 Jahren Haft verurteilt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Ausbildung
Konstantin Freiherr von Neurath entstammt einer alten württembergischen Adelsfamilie. Sein Vater war Oberkammerherr des Königs von Württemberg. Er selbst wurde am 2. Februar 1873 in Kleinglattbach in Württemberg geboren. Neurath trat 1892 nach einem Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und Berlin in den Dienst der württembergischen Justiz und 1897 in den württembergischen Staatsdienst ein.
Der kleine Raum seines Wirkungskreises beengte ihn, und so setzte er es schließlich durch, daß er 1901 in den diplomatischen Dienst wechselte und nahm eine Stelle als Assessor im Auswärtigen Amt in Berlin ein. Er erhielt 1903 eine Stelle als Vizekonsul in London, die er bis 1908 behielt. 1909 wurde er dort zum Legationsrat befördert. Dann erhielt er die verschiedensten Sonderaufträge, und 1914 ging er als Botschaftsrat ins „Morgenland“ nach Konstantinopel, allerdings trat er diesen Posten erst im Frühjahr 1915 an, da er zuvor als Reserveoffizier im Krieg diente.
Erster Weltkrieg
Bei Ausbruch des Krieges ging Freiherr von Neurath als Hauptmann der Reserve und Kompaniechef mit dem Grenadier-Regiment „Königin Olga“ (1. Württembergisches) Nr. 119 an die Front.
Die weitere Entwicklung der politischen Verhältnisse auf dem Balkan und die engere Gestaltung der Verbindung mit der Türkei machten es notwendig, mit den Verhältnissen vertraute Männer nach Konstantinopel zu senden. Und so wurde Freiherr von Neurath schon nach einen halben Jahr erneut nach Konstantinopel geschickt.
Ende 1917 hatten sich die Verhältnisse in der Heimat bereits erheblich zugespitzt. Der Marxismus wütete, und es gab in der Führung des Reiches und der Länder niemanden, der ihm ernstlich entgegenzutreten wagte.
1917 zog sich von Neurath auf eigenen Wunsch aus dem diplomatischen Dienst zurück und war 1917/18 Chef des Zivilkabinetts bei Wilhelm II., König von Württemberg. Er erhielt den Titel eines Königlich Württembergischen Kammerherrn.
Weimarer Republik
Am 13. Dezember 1919 kehrte er mit Genehmigung des Reichspräsidenten Friedrich Ebert in den diplomatischen Dienst zurück und wurde Gesandter in Kopenhagen.
Inzwischen hatte in Italien der Faschismus die Macht erlangt, eine neue Ära brach an, und das schon fast dem Bolschewismus verfallene Land raffte sich unter Benito Mussolinis straffer Führung wieder auf. Man brauchte jetzt einen Mann als Botschafter in Rom, der eine innere Verbundenheit mit dem neuen Werden in Italien hatte und so dem Reiche besonders dienstbar sein konnte. So ging denn 1922 Freiherr von Neurath als Botschafter nach Rom. Bis 1930 hatte er diesen wichtigen diplomatischen Posten inne, und zweifellos war es sein Verdienst, daß von Jahr zu Jahr die Beziehungen zwischen Deutschland und Italien besser wurden. Es gelang ihm oft, bei Streitfragen zu schlichten und Gegensätze zu überbrücken zum Nutzen und Wohle beider Völker. Man fühlte in Italien, was man in Deutschland wußte: daß Freiherr Konstantin von Neurath im scharfen Gegensatz zu den Regierungen des Systems stand und daß seine Sympathien den politischen Bewegungen galten, die dem deutschen Volk sein nationales Bewußtsein wieder zurückgeben wollten. Von Neurath sah das Werden des faschistischen Staates und nicht zuletzt aus dieser eigenen Anschauung fühlte er große Sympathien für den Nationalsozialismus, der zwar dem Faschismus nicht gleichzusetzen, ihm aber eng verwandt ist.
1930 wurde er nach London versetzt, weil man hoffte, sein großes diplomatisches Geschick auch hier für eine Besserung der Beziehung zwischen beiden Völkern einsetzen zu können.
Reichsaußenminister
Bereits nach dem Tod Gustav Stresemanns 1929 favorisierte Reichspräsident Paul von Hindenburg von Neurath als neuen Außenminister, seine Berufung auf diesen Posten war allerdings zu diesem Zeitpunkt aufgrund fehlender parlamentarischer Unterstützung nicht möglich. Erst als Hindenburg im Juni 1932 ein nicht mehr auf den Reichstag gestütztes „Präsidialkabinett“ unter Franz von Papen bildete, wurde von Neurath Außenminister. Er behielt sein Ministeramt auch in den folgenden Kabinetten Kurt von Schleichers und Adolf Hitlers als Exponent einer konservativen Fachbeamtenschaft bei.
Von Neurath stand für eine konservativ-revisionistische deutsche Außenpolitik. Hitler beabsichtigte durch den anerkannten Diplomaten von Neurath seinem unerfahrenen Kabinett auf internationalem Parkett mehr Ansehen zu geben. Dessen Bewegungsfreiheit wurde jedoch durch die Konkurrenz des im Hintergrund agierenden Joachim von Ribbentrop und dessen „Büro Ribbentrop“ ab etwa 1936 immer stärker eingeschränkt.
1937 trat von Neurath der NSDAP bei und erhielt den Ehrenrang eines SS-Gruppenführers. Am 4. Februar 1938 wurde er im Zuge der Blomberg-Fritsch-Affäre als Außenminister abgelöst und durch Ribbentrop ersetzt. Hitler ernannte von Neurath im Februar 1938 zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich, als welcher er bis zum 30. April 1945 in der Regierung vertreten blieb. Zugleich wurde er Präsident des Reichskriegsrates.
Reichsprotektor von Böhmen und Mähren
Nach der Besetzung der Rest-Tschechei durch deutsche Truppen am 15. März 1939 wurde von Neurath Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. Hitler beurlaubte ihn jedoch im September 1941 zunächst dauerhaft, um seine Vollmachten an den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich bzw. nach dessen Ermordung durch tschechische Attentäter Mitte 1942 an Kurt Daluege zu übertragen. Neurath reichte erst im August 1943 seinen formellen Rücktritt als Reichsprotektor ein und wurde durch den bisherigen Reichsinnenminister Wilhelm Frick ersetzt. Gleichzeitig wurde von Neurath zum SS-Obergruppenführer befördert.
Angeklagt in Nürnberg
Am 6. Mai 1945 wurde von Neurath durch französische Truppen in seinem Landhaus im Brandnertal (Vorarlberg) gefangengenommen und dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg überstellt. Dort wurde er 1946 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Schlußwort
Schlußwort vor dem Nürnberger Tribunal 216. Tag. Die Stellungnahme im Wortlaut:[1]
- „Getragen von der Überzeugung, daß auch vor diesem Hohen Gericht die Wahrheit und die Gerechtigkeit trotz allen Hasses, der Verleumdung und der Verdrehung sich durchsetzen wird, glaube ich, den Ausführungen meines Verteidigers nur das eine noch hinzufügen zu müssen, daß mein Leben geweiht war der Wahrhaftigkeit, der Ehrenhaftigkeit, der Erhaltung des Friedens und der Völkerversöhnung, der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit und daß ich hier stehe mit gutem Gewissen nicht nur vor mir selbst, sondern vor der Geschichte und vor dem deutschen Volk.
- Und wenn trotzdem der Spruch dieses Gerichts mich schuldig erkennen würde, so werde ich auch das zu tragen wissen und auf mich nehmen als ein letztes Opfer für mein Volk, dem zu dienen der Inhalt und der Sinn meines Daseins war.“
Aus gesundheitlichen Gründen wurde er am 6. November 1954 aus dem Kriegsverbrechergefängnis Spandau entlassen, seine Tochter, die Witwe Winifried von Mackensen, holte ihn ab.
Familie
Freiherr von Neurath war der Sohn von Konstantin Karl Sebastian Ludwig Peter Julius Freiherr von Neurath (1847–1912), Königlich Württembergischer Oberstkammerherr sowie Mitglied des Reichstages und dessen Gemahlin Mathilde Berta Clementine Sophie Wilhelmine Auguste, geb. Freiin von Gemmingen-Hornberg (1847–1924). Sein Großvater war der Jurist du Diplomat Konstantin Franz von Neurath.
Am 30. Mai 1901 heiratete er die Bankierstochter Marie Auguste Moser von Filseck (1875–1960) in Stuttgart. Aus der Ehe sind drei Kinder entsprossen: Konstantin Alexander Freiherr von Neurath (1902–1981), der zunächst die Diplomatenlaufbahn einschlug und nach dem Zweiten Weltkrieg zur deutschen Wirtschaft wechselte, Winifred Mathilde Christine Helene Freiin von Neurath (1904–1985), die 1926 den Politiker Hans Georg von Mackensen heiratete und Dorothee ( 1910), die kurz nach der Geburt verstarb.
Konstantin Alexander Freiherr von Neurath
- Jurastudium (Dr. jur.)
- 1925 bis 1926 Ausbildung an der Botschaft Rom (Privatsekretär seines Vaters, des Botschafters und späteren Außenministers Konstantin von Neurath)
- ∞ I. Meesow 26.12.1928 Charlotte-Helene („Lottelene“) von Dewitz (1895–1950), Tochter des Königlich preußischen Hauptmanns und Landschaftsdirektors a. D. Oskar von Dewitz auf Meesow und der Lisbeth, geb. von Loeper.
- 1931 bis 1933 wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im AA
- 1933 Eintritt in den Auswärtigen Dienst
- 1934 bis 1936 als Attaché an der Botschaft in Rom
- 1934 Eintritt in die NSDAP
- 1936 bis 1940 Gesandtschaft Brüssel, zunächst als Legationssekretär, ab 1938 als Gesandtschaftsrat
- 1940 bis 1941 beim Generalkonsulat Mailand
- 1941 bis 1943 als Sonderführer Vertreter des Auswärtigen Vertreters des Auswärtigen Amtes beim Afrikakorps
- Leiter des Konsulats Lugano 1943 und Vertreter des Auswärtigen Amts beim Stabe von Generalfeldmarschall Rommel, Siegfried Westphal unterstellt
- 1944 Konsul in Lugano
- Ab Ende Februar 1945 fiel er durch Redseligkeit und Treffen mit hohen deutschen Militärs in der Schweiz sowie in Süddeutschland auf, die, beabsichtigt oder nicht, der OSS zugetragen werden, und wo es darum geht, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Laut den Aufzeichnungen soll Generalfeldmarschall Kesselring von Neurath beauftragt haben, mit Johannes Blaskowitz und Siegfried Westphal zu erörtern, ob eine Öffnung der Westfront für die Briten und Amerikaner, um dann ggf. gemeinsam gegen die Rote Armee vorgehen zu können.[2]
- Nachkriegszeit: Direktor bei der Siemens-Argentina Buenos Aires, Geschäftsführender Vorstand und Direktor
- ∞ II. (standesamtlich) Enzweihingen 28.8.1951, (kirchlich) Dänischenhagen bei Kiel 4.9.1951 Irmgard Gertrud Leonie Charlotte von Dewitz ( 18.12.1915 in Braunschweig)
Mitgliedschaften
- 1894 des Corps Suevia Tübingen (später Ehrenmitglied)
- 1933 Akademie für Deutsches Recht
- 30. Januar 1937 NSDAP (Mitgliedsnummer 3.805.229)
- 18. September 1937 Allgemeine SS (SS-Nr. 287.680),
- 1939 Reichsverteidigungsrates
Auszeichnungen und Ehrungen (Auszug)
- Ehrenritter des Großkreuzes des Royal Victorian Order am 28. April 1904 als Vizekonsul in London
- Wurttembergische Silberne Hochzeitsmedaille 1911
- Friedrichs-Orden, I. Klasse
- Roter Adlerorden, IV. Klasse (nach anderen Quellen III. Klasse)[3]
- Kronenorden (Belgien), Kommandeurskreuz
Erster Weltkrieg
- Eisernes Kreuz II. und I. Klasse
- II. Klasse am 16. Oktober 1914
- I. Klasse im Januar 1915
- Militärverdienstorden (Württemberg), Ritterkreuz
- Komturkreuz des österreichischen Franz-Josephs-Ordens, 1915 (nach anderen Quellen Großkreuz)
- Eiserner Halbmond
- Osmanje-Orden, II. Klasse
- Ritterkreuz I. Klasse des Albrecht-Ordens mit Schwertern (nach anderen Quellen Offizierskreuz)
- Bulgarischer Alexander-Orden, I. Klasse mit Schwertern
- Wilhelmskreuz (Württemberg) ohne Schwerter
- Verwundetenabzeichen (1918) in Schwarz
- Württembergische Landwehr-Dienstauszeichnung, I. Klasse
Drittes Reich
- Ehrenkreuz für Frontkämpfer
- Herzoglich Sachsen-Ernestinischer Hausorden, Komturkreuz I. Klasse mit Schwertern am Ring, 1935
- SS-Ehrendegen
- SS-Ehrenring
- Goldenes Parteiabzeichen am 30. November 1937
- Großkreuz des italienischen Mauritius-Ordens
- Dannebrogorden, Großkreuz mit Brillanten, Insignien und der zum Großkreuz gehörenden Ordenskette, 1938
- Goldenes Treudienst-Ehrenzeichen für 40jährige Dienstzeit am 2. Februar 1938
- Medaille zur Erinnerung an den 13. März 1938
- Medaille zur Erinnerung an den 1. Oktober 1938 mit Spange „Prager Burg“
- Verdienstorden vom Deutschen Adler, Goldenes Großkreuz (Sonderklasse) am 22. April 1939
- Kriegsverdienstkreuz (1939), II. und I. Klasse
- I. Klasse ohne Schwerter am 22. September 1940
Ehrungen
- Dr. jur. h. c. der Universität Camerino
- Ehrenbürger von Kleinglattbach, 1933
- Ehrenbürger von Stuttgart, 1938
Siehe auch
- Nicht schuldig in Nürnberg: Konstantin von Neurath
- Schlußwort im Nürnberger Prozeß: Konstantin von Neurath
Literatur
- John L. Heineman: Hitler’s first foreign minister. Constantin Freiherr von Neurath, diplomat and statesman, University of California Press, Berkeley 1979, ISBN 0-520-03442-2
Verweise
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Fußnoten
- Geboren 1873
- Gestorben 1956
- Deutscher Politiker
- Deutscher Botschafter
- Deutscher Verwaltungsjurist
- Deutscher SS-Obergruppenführer
- Person im Ersten Weltkrieg (Deutsches Reich)
- Nationalsozialismus
- NSDAP-Mitglied
- Außenminister (Deutsches Reich)
- Politiker (Deutsches Reich 1933–1945)
- Person der deutschen Außenpolitik 1933–1945
- Freiherr
- Corpsstudent
- Reichsminister (Weimarer Republik)
- Akademie für Deutsches Recht
- Träger des Eisernen Kreuzes I. Klasse (1914)
- Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP
- Politiker (Württemberg)
- Knight Grand Cross des Royal Victorian Order