Genscher, Hans-Dietrich
Hans-Dietrich Genscher ( 21. März 1927 in Reideburg, Saalkreis, seit 1950 Ortsteil von Halle (Saale); 31. März 2016 in Wachtberg-Pech[1]) war ein deutscher Politiker und langjähriger Parteivorsitzender der BRD-Blockpartei FDP. Er war Bundesaußenminister und Vizekanzler (1974–1992). 1990 verhinderte Genscher zusammen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl in hoch- und landesverräterischer Weise einen Friedensvertrag, somit die Wiederherstellung der deutschen Einheit und die souveräne Staatshoheit zumindest in den von den alliierten Siegermächten festgelegten Grenzen vom 31.12.1937.[2] Er ist einer der Hauptverantwortlichen dafür, daß es 1990 nur zu einem Beitritt der fünf neuen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes für die BRD kam und die deutsche Wiedervereinigung bis heute (2018) noch immer nicht erfolgt ist. Von der Staatssicherheit der DDR (MfS) wurde Genscher als IM Tulpe geführt.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Herkunft
Hans-Dietrich Genscher, evangelisch, wurde am 21. März 1927 in Reideburg/Saalkreis geboren. Sein Vater war Syndikus beim Landwirtschaftsverband. 1933 zog die Familie nach Halle. Seinen Vater verlor Genscher 1937, seine Mutter starb im Oktober 1988.
Schule und Kriegsdienst
Genscher besuchte in Halle die Friedrich-Nietzsche-Oberschule. Noch vor dem Abitur wurde er ab 1943 im Zweiten Weltkrieg als Flakhelfer eingesetzt. 1944 zum Reichsarbeitsdienst (RAD) eingezogen, leistete er ab Januar 1945 noch Kriegsdienst an der Kriegsfront.[3]
NSDAP
1944 wurde Hans-Dietrich Genscher im Alter von 17 Jahren Mitglied der NSDAP, was er später selbst viele Jahre leugnete. Er behauptete, dafür zu jung gewesen zu sein und im Krieg nur als Pionier gedient zu haben. Als im Sommer 1994 das VS-amerikanische „Berlin Document Center“ der Bundesregierung nach Jahren der Rückgabeverhandlungen übergeben wurde, war Genschers NSDAP-Mitgliedskarte eine der ersten, die dort entdeckt und publik gemacht wurde.
Unterlagen aus dem Bundesarchiv Berlin belegten zudem, daß auch der Rhetoriker Walter Jens, der Kabarettist Dieter Hildebrandt, die Sozialdemokraten Horst Ehmke und Erhard Eppler, die Christdemokraten Walther Leisler Kiep und Friedrich Zimmermann, der Philosoph Hermann Lübbe oder die Schriftsteller Martin Walser, Siegfried Lenz und Tankred Dorst Parteigenossen gewesen waren. Und natürlich Günter Grass, der zwar nicht zur NSDAP gehörte, aber in den Reihen der Waffen-SS gekämpft hatte.
Nachkriegszeit
Nach kurzer VS-amerikanischer und britischer Kriegsgefangenschaft kehrte er im Juli 1945 nach Halle zurück und arbeitete dort als Bauhilfsarbeiter. Von Dezember 1945 bis März 1946 besuchte er einen Ergänzungslehrgang an seiner alten Schule. Dort legte er im April 1946 das Ergänzungsabitur ab. An Tuberkulose erkrankt, mußte Genscher von 1946 bis 1957 insgesamt dreieinhalb Jahre in Krankenhäusern und Lungenheilstätten verbringen. Ab 1946 studierte er an den Universitäten Halle und Leipzig Rechtswissenschaften.
Politisches Wirken
In der sowjetischen Besatzungszone schloß er sich der liberaldemokratischen Partei an. 1952 wechselte er in die damalige West-BRD. Seit 1965 saß er für die FDP im Bundestag. 1969 wurde er im Kabinett Brandt Innenminister, 1974 im Kabinett Schmidt Außenminister. Dieses Amt behielt er auch nach dem Kanzlerwechsel zum CDU-Mann Kohl. Seit 1974 war er FDP-Bundesvorsitzender. Trotz gewaltiger ex- und interner Schwierigkeiten, gelang es ihm, die FDP 1982 von der Bindung an die SPD zu lösen. Zunächst schienen verheerende Landtagswahlergebnisse das Ende der FDP anzukündigen. Doch die Bundestagswahl 1983 fiel mit 7,0 Prozent weitaus besser aus als erwartet. Damit war Genschers Position vorerst gesichert. Zwischenzeitlich kündigte er sein Ausscheiden als FDP-Chef für Anfang 1985 an.
Bundesminister
Hans-Dietrich Genscher war von 1969 bis 1974 Bundesminister des Innern sowie von 1974 bis 1992 fast ununterbrochen Bundesminister des Auswärtigen und Stellvertreter des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland. Von 1974 bis 1985 war er außerdem Bundesvorsitzender der FDP.
Genscher holte 2013 den amnestierten Ostjuden, Michail Chodorkowskij, aus Rußland ab. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am 20. Dezember 2013 den 2003 festgenommenen und 2005 verurteilten ehemaligen Oligarchen und Kreml-Kritiker Michail Chodorkowskij✡ begnadigt. Chodorkowskij, der in seinem Gnadengesuch zugesichert hat, sich nicht mehr politisch engagieren und auch nicht um seine früheren Anteile am Ölunternehmen Yukos kämpfen zu wollen, aber kein Schuldeingeständnis abgibt, reist unmittelbar nach seiner Freilassung nach Berlin.
An seiner Freilassung hat Außenminister a. D. Hans-Dietrich Genscher intensiv mitgewirkt. Im Rahmen einer vom russischen Parlament am 18. Dezember 2013 beschlossenen Massenamnestie kamen auch die zwei inhaftierten Mitglieder der Punkgruppe „Pussy Riot“ frei. Auch die wegen Rowdytums angeklagten Aktivisten der Umweltschutz-Organisation Greenpeace✡ fielen unter den Gnadenakt und dürften das Land verlassen.
Mitgliedschaften/Ämter
Genscher war Vizepräsident des OSZE-Vergleichs- und Schiedsgerichtshofs, Genf, Ehrenvorsitzender (Kuratorium) der Franckeschen Stiftungen, Halle, sowie Mitgründer und Ehrenpräsident Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik (1999). Er war Botschafter für die Expo-Weltausstellung in Hannover (2000), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP; 2001–2003) später Ehrenmitglied[4] und Vorsitzender der Berliner Staatsopern-Freunde (1992–2004).
- Consultum Communications, Lobbyismus-Agentur (Arbeitsverhältnis)
- WMP Eurocom AG (Arbeitsverhältnis)
Gesundheit
Im Jahr 2000, 2002 und erneut im Februar 2005 mußte sich Genscher in Bonn jeweils Darmoperationen unterziehen.
Tod
Hans-Dietrich Genscher erlag im Alter von 89 Jahren in der Nacht zum Freitag, 1. April 2016, im Kreise seiner Familie in seinem Haus in Wachtberg-Pech einem Herz-Kreislauf-Versagen.
Familie
Genscher war seit 1969 in zweiter Ehe mit seiner früheren Sekretärin Barbara, geb. Schmidt, verheiratet. Sie übernahm im Dezember 1987 die Schirmherrschaft der „Deutschen Herzstiftung e. V.“, Frankfurt, außerdem ist sie Ehrenvorsitzende des „Frauen- und Familiendienstes im Auswärtigen Amt“. Aus erster Ehe (1958) mit Luise Schweizer hatte Genscher eine Tochter Martina ( 1961), die ihn im April 1991 zum Großvater machte.
Zitate
- von Genscher
- „Scowcroft fragte, ob wir, wenn ich von der Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrechts spreche, an einen Friedensvertrag denken würden oder an eine Konferenz der vier Mächte. Die Idee eines Friedensvertrags wies ich zurück. Sie sei durch die Entwicklung längst überholt, da wir ja Partner und Freunde von drei der vier Mächte wie überhaupt der meisten Teilnehmerstaaten des Zweiten Weltkrieges seien. Auch zur Sowjetunion unterhielten wir gute Beziehungen“.[5] [6]
- über Genscher
- „Er war einer der ganz großen Politiker der Bundesrepublik.“[7] — Björn Höcke
Filmbeiträge
Wilhelm von Gottberg – Ostgebiete, Ostpreußen, Rückgabeangebot der Sowjetunion 1989, Genscher und Helmut Kohl lehnten ab:
Auszeichnungen
Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Halle (Saale) und der Stadt Berlin.
- 1975 – Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband
- 1977 – Bambi
- 1979 – Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik
- 1979 – Orden wider den tierischen Ernst
- 1982 – Karl-Valentin-Orden der Narrhalla München
- 1986 – Großkreuz der französischen Ehrenlegion
- 1988 – Radi-Orden von 1898 der Karnevalsgesellschaft Narragonia Regensburg 1848 e.V.
- 1990 – Theodor-Heuss-Preis, Prinz-von-Asturien-Preis
- 1991 – Erster Preisträger des Kasseler Bürgerpreises „Das Glas der Vernunft“
- 1991 – Goldenes Lot, Ehrung des Verbandes Deutscher Vermessungsingenieure
- 1992 – Verleihung des Großen Verdienstkreuzes Polens und Ungarns
- 1992 – „Närrisches Steckenpferd“ der Prinzengarde Krefeld
- 1992 – Goldenes Schlitzohr
- 1992 – Ehrendoktorwürde der Schlesischen Universität in Kattowitz
- 1992 – Wartburgpreis, für herausragende Verdienste um die europäische Einigung (5.000 Euro dotiert)
- 1993 – Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Leipzig
- 1994 – Ehrensenator der Hochschule Bremerhaven
- 1998 – Ehrenring der Stadt Wuppertal
- 2000 – Courage-Preis
- 2002 – Ehrendoktorwürde der Universität Stettin
- 2002 – Ehrensenator der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- 2003 – Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig
- 2003 – Ehrenmitglied des „Club of Budapest“
- 2004 – Erich-Kästner-Preis des Presseclubs Dresden e.V.
- 2005 – KulturPreis Europa
- 2006 – Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung[8]
- 2006 – Saumagen-Orden der Karneval- und Tanzsport-Gesellschaft Schlotte e.V. Schifferstadt
- 2006 – Toleranzpreis der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste[9]
- 2007 – Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen
- 2008 – Carlo-Schmid-Preis der Carlo-Schmid-Stiftung Mannheim
- 2008 – Rathenau-Preis des Walther-Rathenau-Instituts Berlin[10]
- 2009 – Urania-Medaille
- 2009 – Johann-Heinrich-Voß-Preis der Stadt Otterndorf
- 2009 – Ehrendoktorwürde der Universität Leipzig
- 2009 – Ehrenmitgliedschaft im Alumni Facultatis Iuristarum Lipsiensis e.V. der Universität Leipzig
- 2009 – Goldene Henne (Ehrenpreis Lebenswerk Mauerfall)
- 2010 – Deutscher Rednerpreis
- 2010 – Verdienstorden des Landes Sachsen-Anhalt
- 2010 – „Millenniums-Bambi“[11]
- 2012 – Apollonia-Preis
- 2012 – Bremer Stadtmusikantenpreis
- 2012 – Europaschulpreis des Bundes-Netzwerk Europaschule
- 2013 – Orden des Weißen Doppelkreuzes 2. Klasse
- 2013 – Georg-Meistermann-Preis der Stiftung Stadt Wittlich
- 2013 – Viadrina-Preis des Kuratoriums des Förderkreises der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) für seine Verdienste um die deutsch-polnische Verständigung
- 2014 – Internationaler Mendelssohn-Preis zu Leipzig[12]
- 2014 – Marion Dönhoff Preis[13]
- 2015 – Europäischer Kulturpreis
Literatur
- Manfred Kleine-Hartlage: Die liberale Gesellschaft und ihr Ende. Über den Selbstmord eines Systems. Verlag Antaios, Schnellroda 2013, ISBN 978-3-944422-30-5
- Walter Krämer: Kalte Enteignung — Wie die Euro-Rettung uns um Wohlstand und Renten bringt. Campus-Verlag, Frankfurt a.M., New York 2013, ISBN 978-3-593-39924-9
- Udo Ulfkotte: Raus aus dem Euro — rein in den Knast. Das üble Spiel von Politik und Medien gegen Kritiker der EU-Einheitswährung. Kopp-Verlag, Rottenburg 2013, ISBN 978-3-864-45062-4
Verweise
- Genscher der beste Außenminister, den Polen je hatte, deutscherosten.de
- Der Verrat des Herrn Genscher Der Spiegel
- Kohl und Genscher verhindern Friedensvertrag
- Genscher alias IM Tulpe DerSpiegel.de
Fußnoten
Theodor Heuss (1948–1949) • Franz Blücher (1949–1954) • Thomas Dehler (1954–1957) • Reinhold Maier (1957–1960) • Erich Mende (1960–1968) • Walter Scheel (1968–1974) • Hans-Dietrich Genscher (1974–1985) • Martin Bangemann (1985–1988) • Otto Graf Lambsdorff (1988–1993) • Klaus Kinkel (1993–1995) • Wolfgang Gerhardt (1995–2001) • Guido Westerwelle (2001–2011) • Philipp Rösler (2011–2013) • Christian Lindner (seit 2013)
- Geboren 1927
- Gestorben 2016
- Deutscher Jurist
- Deutscher Hochschullehrer
- Bundesaußenminister
- Bundestagsabgeordneter (Nordrhein-Westfalen)
- Hochschullehrer (Freie Universität Berlin)
- FDP-Mitglied
- LDPD-Mitglied
- NSDAP-Mitglied
- Prinz-von-Asturien-Preisträger
- IM des MfS
- BRD-Politiker
- Bundesinnenminister
- Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern und Schulterband
- Rechtsanwalt (BRD)
- Vizekanzler (BRD)
- Volksverräter
- Träger des Verdienstordens des Landes Nordrhein-Westfalen
- Träger des Verdienstordens der Republik Ungarn (Großkreuz)
- Träger des Verdienstordens der Italienischen Republik (Großkreuz)
- Mitglied der Ehrenlegion (Großkreuz)
- Mitglied der Jungdemokraten
- Ritter des Ordens wider den tierischen Ernst
- Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
- Träger des Marion Dönhoff Preises
- Träger des portugiesischen Ordens für Verdienst (Großkreuz)
- Träger des Ordens des Fürsten Jaroslaw des Weisen (II. Klasse)
- Träger des Ordens des heiligen Jakob vom Schwert (Großkreuz)
- Träger des Drei-Sterne-Ordens (Großoffizier)
- Träger des Theodor-Heuss-Preises
- Träger des Ordens des Weißen Doppelkreuzes 2. Klasse
- Träger des Goldenen Ehrenrings der Stadt Bayreuth
- Träger des litauischen Großfürst-Gediminas-Ordens (Großkreuz)
- Träger des Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich
- Träger des portugiesischen Christusordens (Großkreuz)
- Ehrendoktor der Universität Leipzig
- Ehrenringträger der Stadt Wuppertal
- Ehrensenator der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
- Ehrendoktor der Universität Stettin
- Ehrendoktor des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen