Rall, Günther
Günther Rall ( 10. März 1918 in Gaggenau; 4. Oktober 2009 in Bad Reichenhall) war ein deutscher Offizier der Wehrmacht, zuletzt Major der Luftwaffe und Schwerterträger des Zweiten Weltkrieges sowie Generalleutnant[1] der Bundeswehr. Mit 275 bestätigten Luftsiegen bei 621 Feindflügen ist das Flieger-As nach Erich Hartmann und Gerhard Barkhorn der dritterfolgreichste Jagdflieger in der Geschichte der Militärluftfahrt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Günther Rall wurde im großherzoglich badischen Gaggenau (heute Kreis Rastatt) als Sohn eines Kaufmanns geboren. Nach Volksschulbesuch in Stuttgart und Abitur an einem humanistischen Gymnasium im württembergischen Backnang trat er im Dezember 1936 als Offiziersanwärter beim Infanterie-Regiment 13 in Ludwigsburg ein, zur Fliegerei stieß er erst als Oberfähnrich an der Kriegsschule Dresden. Nach einem Antrag auf Versetzung zur Luftwaffe wurde er im Sommer 1938 nach Neubiberg (Bayern) zur Ausbildung als Flugzeugführer kommandiert, am 1. September 1938 nach erfolgreicher Absolvierung aller hierfür erforderlichen Lehrgänge mit zwanzig Jahren zum Leutnant befördert, um dann auf der Jagdfliegerschule Werneuchen eine zusätzliche Spezialausbildung zu erhalten.
Zweiter Weltkrieg
Im August 1939 wurde Leutnant Rall zur 4. Staffel des Jagdgeschwaders 52 nach Böblingen bei Stuttgart versetzt, beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das JG 52 zunächst nur zu Patrouillenflügen entlang der deutsch-französischen Grenze eingesetzt, wobei Verletzungen des französischen Luftraumes ausdrücklich verboten waren. Rall wurde dann zur 8. Staffel der neu aufgestellten III. Gruppe des JG 52 versetzt, die während des Frankreichfeldzuges im Mai 1940 von Mannheim aus zum Einsatz kam.
In dieser Zeit erzielte er am 18. Mai 1940 seinen ersten Luftsieg. Einschlägige Erfahrungen sammelte er über Frankreich und bei den harten Einsätzen während des Unternehmens „Adlerangriff“, die dem JG 52 empfindliche Flugzeugführerverluste zufügte. Das war auch der Grund dafür, daß Leutnant Rall schon mit einundzwanzig Jahren eine Staffel führen durfte. Zur personellen Auffüllung wurde die III./JG 52 im Oktober 1940 zurückgezogen und kehrte nicht mehr in den Westen zurück. Statt dessen wurde die Staffel über die Station Wien in das damals noch neutrale Rumänien verlegt, wo Ralls Staffel den Auftrag hatte, Bohrtürme, Raffinerien, Ölfelder, Donaubrücken und die Hafenanlagen von Constanza zu schützen.
Es folgten im Mai 1941 Einsätze zur Unterstützung des Kampfes um Kreta und schließlich, nach der verlustreichen Eroberung der Insel durch deutsche Fallschirm- und Gebirgsjäger, wieder die Rückkehr zum Luftraum über Rumänien. Dort hatte er erste Begegnungen mit sowjetischen Bombern, die es auf die rumänischen Ölfelder abgesehen hatten, und wenig später folgte der Einsatz im Jagdschutz während des deutschen Vormarsches im südlichen Rußland beim Vorstoß auf die Krim und in Richtung Asowsches Meer sowie während der Schlacht um Rostow. Bis zum November 1941 konnte der nunmehrige Oberleutnant Rall bereits 36 bestätigte Luftsiege für sich verbuchen. Ein für ihn unglücklich verlaufener Luftkampf mit sowjetischen Jägern am 28. November 1941 schien fast schon das Ende seiner fliegerischen Karriere zu bedeuten, denn seine Me 109 stürzte nach Abschuß eines Gegners brennend zu Boden und schlitterte gegen einen Hang. Rall konnte seine Beine nicht mehr bewegen, denn sein Rückgrat war an drei Stellen gebrochen. Die ärztliche Diagnose:
- „Mit Fliegen ist es aus!“
Er wurde von einem Lazarett ins andere verlegt, steckte wochenlang im Körpergips und bedurfte spezieller neurologischer Behandlung. Die ärztliche Kunst, zäher Lebenswille und die im Lazarett geschlossene Bekanntschaft mit einer attraktiven Wiener Ärztin brachten ihn nach neunmonatigem Krankenlager schließlich doch wieder auf die Beine, und so gelang es ihm im August 1942 durch Überlistung der Bürokratie, doch wieder zu seinem alten Geschwader an die Ostfront zu kommen. Nachdem er seit dem 20. Dezember 1941 bereits das Deutsche Kreuz in Gold besessen hatte, erhielt er am 3. September 1942 nach 52 Abschüssen, 72 Tiefangriffen und insgesamt 300 Feindflügen das Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Schon am 26. Oktober 1942 wurde ihm – nach dem 100. Abschuß – auch noch dazu das 134. Eichenlaub verliehen.
Nach einem kurzen Hochzeitsurlaub setzte Rall seine Erfolgsserie über dem Kuban-Gebiet und bei Noworossijsk fort. Nun als Hauptmann wurde er mit der Führung der III. Gruppe seines Geschwaders beauftragt, die damals als „erfolgreichste Jagdfliegergruppe der deutschen Luftwaffe“ galt, nachdem sie nahezu 3.000 Abschüsse hatte erzielen können und aus der bis dahin 17 Ritterkreuzträger hervorgegangen waren.
Am 29. August 1943 meldete der Wehrmachtbericht: „Hauptmann Rall, Führer einer Jagdfliegergruppe, errang am 28. August seinen 200. Luftsieg.“ Damit war er nach den Majoren Hermann Graf (1912–1988) und Hans Philipp (1917–1943) der dritte deutsche Jagdflieger, der diese zuvor kaum denkbare Abschußzahl erreichte, denn die 80 Luftsiege des Rittmeisters Freiherr Manfred von Richthofen (1892–1918) im Ersten Weltkrieg galten seinerzeit schon als sensationell.
Darauf wurden Hauptmann Rall am 13. September 1943 die 34. Schwerter zum Eichenlaub des Ritterkreuzes verliehen; es folgte am 15. September 1943 seine Beförderung zum Major – und das im Alter von nur 25 Jahren. Am letzten Novembertag des Jahres 1943 war sein Name schon wieder im OKW-Bericht zu hören und zu lesen, darin hieß es nämlich:
- „In Luftkämpfen wurden am gestrigen Tage – bei zwei eigenen Verlusten – 49 Sowjetflugzeuge vernichtet. Major Rall, Gruppenkommandeur in einem Jagdgeschwader, errang am 28. November an der Ostfront seinen 250. Luftsieg.“
Wie der OKW-Bericht vom 30. November 1943 meldete, hat Major Rall, Träger des Eichenlaubes mit Schwertern zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes seinen 250. Luftsieg errungen. Nach Hauptmann Walter Nowotny ist Major Rall der zweite deutsche Jagdflieger, der eine so hohe Anzahl von Luftsiegen errang.
Endkampf
Bei Kriegsende war Rall Kommodore des Jagdgeschwaders 300 im Rahmen der Reichsluftverteidigung, hatte insgesamt 275 Luftsiege aufzuweisen, rund 800 Einsätze geflogen und etwa 600 Luftkämpfe erlebt, wurde selbst achtmal abgeschossen und drei- bzw., je nach Quelle, viermal verwundet worden, dabei hatte er so ziemlich alle deutschen Jagdflugzeugtypen des Zweiten Weltkrieges selbst geflogen (Me 109, FW 190 und den Düsenjäger Me 262), aber auch erbeutete gegnerische Maschinen wie die Lockheed P-38 „Lightning“, die P-47 „Thunderbolt“, die P-51 „Mustang“ und verschiedene Modelle der britischen „Spitfire“ und „Hurricane“.
Nachkriegszeit
Im Mai 1945 löste er sein damals auf einem Flugplatz bei Salzburg stationiertes Geschwader selbst auf und versuchte, sich nach Hause durchzuschlagen. Daraus wurde nichts, statt dessen landete er in einem Kriegsgefangenenlager der VS-Amerikaner, doch aufgrund seiner schweren Verwundungen wurde er ziemlich bald von Cherbourg aus in die Obhut seiner Frau entlassen, mit der er nun ein völlig neues gemeinsames Leben begann.
Medizinstudium
Dieser Neuanfang wurde ihm nicht leichtgemacht, denn als er sich an der Universität Tübingen immatrikulieren lassen wollte, um Medizin zu studieren, wurde ihm dies als „Militaristen“ verweigert. Im Jahre 1947 fand ein – ihn sehr befriedigendes – Aufgabengebiet als Leiter des Sekretariats der bekannten Internatsschule Schloß Salem am Bodensee.
Amt „Blank“ und Bundeswehr
Nachdem er gehört hatte, daß seine früheren Fliegerkameraden Dietrich Hrabak und Johannes Steinhoff im sogenannten Amt „Blank“ mit an der Vorbereitung eines deutschen Verteidigungsbeitrages im Rahmen des westlichen Verteidigungsbündnisses beteiligt waren, bewarb auch er sich um soldatische Wiederverwendung.
Als Major wurde er am 1. Januar 1956 in die Bundeswehr eingestellt und bald darauf zum Oberstleutnant befördert, er stellte eine erste Gruppe von Kampfflieger zusammen, die als Führer der neu aufzustellenden Geschwader der Bundesluftwaffe vorgesehen waren, mit ihnen schulte er in den VSA auf modernen Jagd- und Jagdbomber-Flugzeugen – darunter dem „Starfighter“, danach wurde er Inspizient der Jagdflieger im Führungsstab der Luftwaffe und war als Oberst von (1959 bis 1964) der erste Leiter des Arbeitsstabes F-104 (des von Günther Josten abgelehnten „Starfighter“), es folgten ein Truppenkommando als Kommodore des Jagdbombergeschwaders 34 im bayerischen Memmingen, die Teilnahme an einem Lehrgang des damaligen NATO-Defense-College in Paris und alsbald eine Tätigkeit als Inspizient für die fliegenden Verbände der Bundesluftwaffe.
Nach der Beförderung zum Brigadegeneral – einem Rang, der dem des Generalmajors in der früheren Reichsluftwaffe entspricht – wurde er zum Kommandeur der 3. Luftwaffendivision in Münster ernannt (als solcher gehörte er zum Großen militärischen Ehrengeleit für Konrad Adenauer, ggf. auch zur „Großen Totenwache“), als Generalmajor seit 15. November 1967 – wechselte er am 1. April 1968 zur 1. Luftwaffendivision nach Meßstetten/Allgäu, 1969 wurde er Chef des Stabes der 4. Alliierten Taktischen Luftflotte (ATAF) in Ramstein/Rheinland-Pfalz, mit der Beförderung zum Generalleutnant wurde Günther Rall am 1. Oktober 1970 Kommandierender General des Luftflottenkommandos. Als Steinhoff als Vorsitzender des NATO-Militärausschusses nach Brüssel ging, wurde Generalleutnant Rall – auf Steinhoffs Vorschlag – dessen Nachfolger als „Inspekteur der Luftwaffe“. Damit war er vom 1. April 1971 bis zum 31. März 1974 für die militärische Führung und Ausbildung dieser Teilstreitkraft der Bundeswehr verantwortlich. Am 1. April 1974 wurde er Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im NATO-Militärausschuß.
Dienststellungen
- 1966/67: Inspizient „Fliegende Verbände der Luftwaffe“ im Luftwaffenamt, Köln-Wahn
- 1967/68: Kommandeur 3. Luftwaffendivision, Kalkar
- 1968/69: Kommandeur 1. Luftwaffendivision, Meßstetten
- 1969/70: Chef des Stabes der 2. Allied Tactical Air Force (ATAF), Rheindahlen
- 1970: Kommandierender General Luftflotte, Köln-Wahn
- 1971–1974: Inspekteur der Luftwaffe, Bonn
- 1974–1975: Deutscher Militärischer Bevollmächtigter im NATO-Militärausschuß, Brüssel
Außer Dienst
Nach seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr im Jahre 1975 war Günther Rall bei verschiedenen Industriefirmen tätig. Der hochdekorierte ehemalige Jagdflieger des Zweiten Weltkrieges hatte neben dem Fliegen auch Golf und Segeln als Hobby. Im Jahre 2004 erschienen seine Memoiren. Er lebte zuletzt in Bad Reichenhall.
Tod
Generalleutnant a. D. Günther Rall verstarb 2009 an den Folgen eines Herzinfarktes. Er war der letzte noch lebende Jagdflieger mit den höchsten deutschen Auszeichnungen und der höchsten Anzahl an Luftsiegen – und dies weltweit. Er war nie mehr in seinem Geburtsort.
Familie
Während der Kämpfe wurde Rall viermal schwer verwundet und verbrachte insgesamt 15 Monate im Lazarett. Bei einem längeren Krankenhausaufenthalt 1941/42 in Wien wurde er von der Ärztin Hertha Schön behandelt, die er 1943 heiratete. Aus dieser Ehe sind vier Kinder entsprossen, von denen zwei als Kleinkinder starben. Seit dem 4. Juli 1985 war Günther Rall verwitwet.
Auszeichnungen (Auszug)
Drittes Reich
- Wehrmacht-Dienstauszeichnung, IV. Klasse
- Flugzeugführer- und Beobachterabzeichen
- Eisernes Kreuz (1939) 2. und 1. Klasse
- Ehrenpokal für besondere Leistung im Luftkrieg
- Verwundetenabzeichen (1939) in Schwarz, Silber und Gold
- Deutsches Kreuz in Gold am 5. Dezember 1941 als Oberleutnant in der 8./Jagdgeschwader 52
- Ärmelband „Kreta“
- Frontflugspange für Jäger in Gold
- Anhänger zur goldenen Frontflugspange (Sternenanhänger)
- Anhänger zur goldenen Frontflugspange mit Einsatzzahl „600“
- zweimalige namentliche Nennung im Wehrmachtbericht
- Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub und Schwertern
- Ritterkreuz am 4. September 1942 als Oberleutnant und Staffelkapitän der 8./JG 52
- Eichenlaub am 26. Oktober 1942 als Oberleutnant und Staffelkapitän der 8./JG 52
- Schwerter am 12. September 1943 als Hauptmann und Gruppenkommandeur der III. Gruppe/JG 52
Bundesrepublik Deutschland
- „Honorary Fellow“ der Society of Experimental Test Pilots (SETP)
- Legion of Merit (VSA)
- Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (1973)
Bildergalerie
Oberst a. D. Eduard Neumann (links), Colin Heaton und Generalleutnant a. D. Günther Rall (rechts), Treffen der „Gemeinschaft der Jagdflieger“, 1999
Werk
- Mein Flugbuch. Erinnerungen 1938–2004, NeunundzwanzigSechs, Moosburg 2004, ISBN 978-3-9807935-3-7
Fußnoten
- Geboren 1918
- Gestorben 2009
- Deutscher Autor
- Deutsches Flieger-As
- Deutscher Generalleutnant
- Major (Luftwaffe der Wehrmacht)
- Angehöriger der Bundeswehr
- Träger des Deutschen Kreuzes in Gold
- Träger der Frontflugspange in Gold
- Träger des Ritterkreuzes des Eisernen Kreuzes mit Eichenlaub und Schwertern
- Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern
- Erwähnung im Wehrmachtbericht
- Ritterkreuzträger der Bundeswehr