Oder-Neiße-Linie
Die Oder-Neiße-Linie (auch Oder-Neiße-Grenze) ist die östliche, künstlich gezogene Demarkationslinie des bundesdeutschen Besatzungskonstrukts zum größtenteils polnisch besetzten Ostdeutschland und verläuft fast vollständig entlang der Oder und ihrem linken Nebenfluß Lausitzer Neiße. Sie wurde im Rahmen der Potsdamer Konferenz am 2. August 1945 von den Dreimächten bis zum Abschluß eines endgültigen Friedensvertrages mit dem Deutschen Reich vorübergehend festgelegt. Die deutschen Gebiete Ost-Brandenburg, Hinterpommern, Ostpreußen sowie Schlesien und ein kleiner Teil Sachsens stehen seitdem unter Fremdherrschaft. Die deutschen Einwohner wurden fast vollständig aus ihrer Heimat vertrieben oder ermordet. Das deutsche Eigentum an Immobilien, Fabriken und Infrastruktur wurde unter vorübergehende polnische Verwaltung gestellt.
– Kurt Schumacher, 17. Juni 1951Die deutsche Sozialdemokratie hat 1945 als erster Faktor Deutschland und der Welt erklärt: Die Oder-Neiße-Linie ist unannehmbar als Grenze!
Polen annektierte zusätzlich noch die pommersche Stadt Stettin, obwohl diese westlich der Oder-Neiße-Linie liegt.
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte und Ursprung der Linie
Französische Idee
Erstmals in der Geschichte taucht die Oder-Neiße-Linie in der Geschichte 1915 auf einer Karte der „Action française“ auf, die diese als deutsch-russische Grenze haben wollte.
Bereits 1915 geplante Zerstückelungs- und Zerstörungspläne gegen Deutschland[1]
Polnische und panslawistische Grenzvorstellungen vor dem Zweiten Weltkrieg
Die Idee der Oder-Neiße-Linie stammt jedoch nicht aus der Kriegszeit, sondern schon aus der Zeit davor. Bereits zu Beginn der 1930er Jahre forderten polnische Nationalisten diese Linie als Grenze des polnischen Lebensraums im Westen. Bereits 1929, also 10 Jahre vor dem Polenfeldzug, forderte der „Illustrowany Kurjer Codzienny“, eine der größten polnischen Zeitungen, die Vertreibung der Deutschen aus Ostdeutschland und die Oder als feste deutsch-polnische Grenze: „Weg mit den Deutschen hinter ihre natürliche Grenze! Fort mit ihnen hinter die Oder!“[2]
Nach den Teilungen Polens hofften nicht wenige polnische Intellektuelle, darunter der Schriftsteller Adam Mickiewicz, auf den „großen Krieg“ zwischen den Teilungsmächten[3], der vielleicht die Unabhängigkeit bringen könnte. 1908 fand in Prag ein Panslawistischer Kongreß statt, auf dem die seit dem Mittelalter im Rahmen der Christianisierung erfolgte Völkervermischung in Mittel- und Osteuropa weitgehend ignoriert und unter anderem die Meinung vertreten wurde, große Teile Mitteleuropas seien den Slawen „weggenommen“ worden und müßten „zurückgegeben“ werden. Diese Meinung vertrat auch der nationalistische polnische Politiker Roman Dmowski in einem 1908 veröffentlichten Buch[4], das 1909 auch in französischer Sprache erschien.[5] Nach dem Ersten Weltkrieg konnte Dmowski als Leiter einer polnischen Delegation während der Friedensverhandlungen von Versailles durchsetzen, daß vom Reichsgebiet Deutschlands große Teile amputiert wurden.
Unter Panslawisten bestand zudem die Forderung, daß die Linie von Stettin bis Triest die Grenze des Lebensraums der sogenannten „slawischen Völker“ sein sollte.
Stalins Grenzziehung
Die Vorstellungen der VS-Amerikaner gingen zuerst von weniger Gebietsabtretungen aus, so wurde 1943 bei der Konferenz von Teheran davon ausgegangen, daß Deutschland in mehrere Einzelstaaten zerlegt werden sollte, die Grundlage waren die Grenzen von 1937. Hierbei sollte nur Ostpreußen an die Polen abgetreten werden, Schlesien, Hinterpommern sowie Ost-Brandenburg wären Teil eines preußischen Staates geblieben. Selbst der berüchtigte Morgenthau-Plan sah vor, nur Oberschlesien und Ostpreußen Polen einzuverleiben. Der Beschluß zur Oder-Neiße-Grenze kam jedoch von Stalin, der diese Linie 1944 bevorzugte.
Der polnisch-deutsche Historiker Bogdan Musial über die zentrale Rolle Stalins bei der Gestaltung der Nachkriegsgrenzen:
- Stalin hatte einen Grenzverlauf entlang der Linie der Flüsse Oder und Ohlau auf einer Karte eingezeichnet. Erst später favorisierte er die 200 Kilometer weiter westlich gelegene Oder-Neiße-Linie. Die Folge: 14 Millionen Deutsche verloren ihre Heimat. „Ich habe gesehen, daß es eine Deutschlandkarte ohne Datum gibt" sagt Bogdan Musial. „Ich habe sie dann bestellt. Und als ich sie geöffnet habe, konnte ich es erst gar nicht glauben. Ich dachte, es kann nicht sein, daß es Stalin gewesen ist. Das war Wunschdenken.“
- Es ist eine russische Deutschlandkarte, auf der Stalin im Sommer 1944 den Verlauf der sowjetisch-polnischen und der polnisch-deutschen Grenzen mit einem blauen Stift neu gestaltet. Die Schrift Stalins ist von Fachleuten bestätigt worden. Der sowjetische Diktator machte die gewaltigen Grenzverschiebungen zur Chefsache. „Der Kartenfund beweist die entscheidende Rolle Stalins bei der Gestaltung der Grenzen Ost- und Mitteleuropas, besonders der Grenze Polens und auch der deutsch-polnischen Grenze“, erklärt Musial. „Es gab schon die Vorstellung, daß die Westmächte und Stalin es gemeinsam getan hätten, aber man wusste es nicht so richtig.“
- „Stalin wollte so weit wie möglich die polnische Grenze nach Westen verschieben, um so Polen zur Geisel des großen Bruders zu machen.“ Die polnische Exilregierung in London war bis zuletzt gegen die Westausbreitung Polens. Sie befürchtete nicht nur die Abhängigkeit Polens von der Sowjetunion, sondern wußte, daß damit neues Konfliktpotential für die Zukunft der Nachbarn Deutschland und Polen entstehen würde. „Der Plan Stalins ging auf“, sagte Musial. „Lange bestimmte die offene Grenzfrage beide Länder. Bis heute liegen Polen und Deutschland im Clinch.“ Stalin hat der deutsch-polnischen Nachbarschaft mit der willkürlichen Grenzziehung eine schwere Hypothek hinterlassen.[6]
Zu späte englische Einsicht
Am 16. August 1945 erklärte Winston Churchill im britischen Unterhaus:
- „Ich muß meine Meinung zu Protokoll bringen, daß die provisorische Westgrenze, die Polen zugebilligt worden ist, und die ein Viertel des pflügbaren Landes von Deutschland in sich schließt, keine gute Vorbedeutung für die Zukunft Europas hat. Hier ist, glaube ich, ein Fehler gemacht worden, wobei die provisorische polnische Regierung ein hitziger Verhandlungspartner gewesen ist, indem sie weit über das hinausging, was Notwendigkeit und Gleichwertigkeit erfordert. Es gibt wenig Tugenden, die die Polen nicht besitzen, aber auch wenig Fehler, die die Polen nicht gemacht haben.“[7]
Potsdamer Konferenz
- „Auf ihrer ersten Konferenz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges einigten sich die Vertreter der drei Siegermächte, Stalin, Truman (USA) und Churchill (Großbritannien) vom 17.7. bis zum 2.8.1945 im Potsdamer Cäcilienhof u. a. über die Entmilitarisierung und wirtschaftliche Schwächung Deutschlands. Ein besonderer Streitpunkt bildete dabei aber auch die Festlegung der deutschen Ostgrenze. Stalin trat für die Oder-Neiße-Grenze (Linie A) ein, wobei der Westteil von Stettin zunächst noch deutsch bleiben sollte. Churchill wollte die ‚polnische Gans nicht übermästen‘ und verlangte eine Linie D, nach der Hinterpommern, Ostbrandenburg und Niederschlesien bei Deutschland verblieben wären. Er vertrat damit eine Grenzziehung, die angelsächsische Geheimzirkel schon im Jahr 1888 vorgesehen hatten, was nicht uninteressant ist im Hinblick auf die angebliche deutsche Kriegsschuld am ersten Weltkrieg. Damit wären nach Churchill, dem Erfinder der Westverschiebung Polens, mit Danzig, dem südlichen Ostpreußen und Oberschlesien ‚nur‘ 37.400 qkm zu Polen gekommen, ein Gebiet, das für die Aufnahme der 2,5 Millionen Polen völlig ausgereicht hätte, die aus dem sowjetischen Gebiet östlich des heutigen Polens nach Westen umgesiedelt wurden (zusammen mit 1,3 Millionen Volksdeutschen aus dem polnischen Staatsgebiet von 1939 wurden aus dem Gebiet ostwärts der D-Linie noch ca. 3 Millionen Deutsche vertrieben). Churchill wurde nach einem Wahlsieg der Labour-Partei von Attlee abgelöst. Truman war ebenfalls neu im internationalen Geschäft. Und so setzte sich Stalin mit seiner A-Linie durch. Von der Vertreibung aus dem heutigen Polen waren daher rund 8 Millionen Deutsche betroffen, eine schwere Verletzung der Menschenrechte, für die es in der europäischen Geschichte kein Beispiel gibt, um so mehr, als zu den eben erwähnten 8 Millionen ja noch weitere 4 Millionen Vertriebene aus der Tschechoslowakei und Südosteuropa dazu kamen.“[8]
In der Schweizer Wochenschrift „Die Weltwoche“ konnte man am 16. November 1946 lesen:
- „Es gibt nicht nur einen Eisernen Vorhang in Europa. Es gibt deren zwei. Der zweite, von dem niemand spricht und den nur wenige kennen, trennt die russische Zone Deutschlands von den Ostgebieten, welche auf Grund des Potsdamer Abkommens [Anm.: Es gab kein Potsdamer Abkommen, sondern nur ein Potsdamer Protokoll] Polen gegeben wurden und die außerhalb der alliierten Kontrolle stehen [...] ein Land der Gesetzlosigkeit und der Toten. Jeder, der die polnische Zone verläßt und in die russische Zone kommt, atmet erleichtert auf. Nach zuverlässigen Berichten ist in weiten Teilen Schlesiens kein Kind unter einem Jahr lebend geblieben. Es ist eine Tatsache, daß in Oberschlesien alle Frauen, welche von Geschlechtskrankheiten befallen sind, durch Kopfschuß getötet werden.“
Das Verbrechen
Am 31. Januar 1957 gab der damalige BRD-Außenminister Heinrich von Brentano eine Regierungserklärung vor dem BRD-Bundestag ab. Sie enthielt eine ausdrückliche Bezugnahme auf den völkerrechtlichen Fortbestand der Grenzen Deutschlands von 1937 und die erneute Festlegung, „daß das deutsche Volk die Oder-Neiße-Linie nicht als gegenwärtige oder künftige Grenze Deutschlands akzeptieren kann!“[9]
Im Görlitzer Vertrag von 1950 erkannte die DDR den neu entstandenen Grenzverlauf an, anders als die westdeutsche Bundesrepublik, die erst im Warschauer Vertrag die Oder-Neiße-Linie als unverletzliche, jedoch nicht unantastbare vorübergehende Westgrenze Polens anerkannte, mit dem Vorbehalt einer Änderung im Rahmen eines Friedensvertrages.
Als nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik in Polen die Erkenntnis wuchs, die Bundesrepublik Deutschland könne eine friedliche Revision der gegenwärtigen Grenzen fordern, verlangten die vier Siegermächte die Anerkennung der polnischen Westgrenze durch das Besatzungskonstrukt BRD als Voraussetzung für ihre Zustimmung zur Zusammenlegung der beiden deutschen Teil-Staaten Westdeutschlands und Mitteldeutschlands. Mit dem Deutsch-Polnischen Grenzvertrag erfolgte 14. November 1990 die weitere Bestätigung der Unverletzlichkeit (jedoch nicht Unantastbarkeit) der Oder-Neiße-Linie.
Zur völkerrechtswidrigen Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ostdeutschland sagte der spätere Vorsitzende der Deutschen Partei, Heinrich Hellwege, am Vorabend der Moskauer Außenministerkonferenz am 10. März 1947:
- „Es bleibt nun noch im Rahmen der Gebietsforderungen einen Punkt zu erwähnen, der über unsere Existenz als Nation entscheidet!
Ich meine die Regelung der deutschen Ostgrenze. Die Rechtslage ist klar! Auch durch das Potsdamer Abkommen ist die deutsche Ostgrenze nicht festgelegt worden. - Die Überlassung des dortigen Gebietes an Polen bedeutet keine Übertragung der Gebietshoheit, sondern nur eine vorläufige Übertragung der Verwaltung! Auch nicht der Schatten eines historischen Rechtes steht für den polnischen Anspruch. Polen ist auch nicht in der Lage, diese Gebiete so zu besiedeln und zu nutzen, wie sie von Deutschland besiedelt und genutzt waren.
- Polen kann auch ohne diese Gebiete leben, Deutschland aber kann es nicht!“[10]
Bestätigung der Vorläufigkeit
Daß die Potsdamer Konferenz mitnichten irgendeinen endgültigen Status der deutschen Ostgebiete festgelegt hatte, bestätigte sich auch noch danach in Form mehrerer Bekräftigungen von seiten beider Alliierten, der westlichen wie des östlichen.
Westliche Bekräftigung der Vorläufigkeit auf der Marshall-Plan-Konferenz
Der Status Ostdeutschlands als unbestritten integralem Bestandteil Deutschlands wurde im Juli 1947 auf einer Konferenz um den Marshall-Plan nochmals bestätigt, indem es hieß:
- „[...] Die Konferenz war kaum mehr als ein Schlagabtausch, bei dem Molotow den Amerikanern und Briten vorwarf, sie wollten Deutschland mit Hilfe des Marshall-Plans wirtschaftlich versklaven und politisch spalten; die Außenminister Amerikas und Großbritanniens machten dagegen auf die Vorläufigkeit der Grenzen im Osten Deutschlands, insbesondere auf das Provisorium der ‚polnischen Verwaltung‘ der deutschen Ostgebiete, aufmerksam.“[11]
Östliche Bekräftigung der Vorläufigkeit in Ost-Berlin
Nach Äußerungen des russischen Hochkommissars Wladimir Semjonow in Gesprächen mit bürgerlichen Politikern der damaligen DDR ist von russischer Seite über die künftige Ostgrenze Deutschlands das letzte Wort noch nicht gesprochen:
- „Verblüfft beobachteten die SED-Genossen, daß sich der Sonderbotschafter Semjonow zunehmend mit Leuten umgab, die nie die Vorherrschaft der Sozialistischen Einheitspartei in der DDR anerkannt hatten. Meist waren es Politiker der bürgerlichen DDR-Parteien, die mit Stalins verständnisvollem Vertreter erörterten, wie man den Ulbricht-Staat liberalisieren und verbürgerlichen könne. Fleißig kolportierten sie dann das Semjonow-Wort vom ‚großen Deutschland‘, das wieder zusammengehöre, und genüßlich wurde weitergegeben, daß der Sowjetmensch auch gesagt habe, über die Oder-Neiße-Grenze sei noch nicht das letzte Wort gefallen.“[12]
Völkerrechtliche Unmöglichkeit
- „In der in den Vereinigten Staaten von Nordamerika in Winona erscheinenden ‚Sonntagspost‘ wandte sich Prinz Hubertus zu Löwenstein gegen die Bezeichnung der Oder-Neiße-Linie als ‚Friedensgrenze‘. Es sei eine große Lüge, denjenigen, der sein Recht verlange, als ‚Nationalisten‘ und ‚Kriegshetzer‘ zu bezeichnen. Das sei genauso unsinnig, als wenn man jemandem, dem das Werk seiner Hände geraubt und der aus seinem Hause verdrängt wurde, als ‚Räuber‘ bezeichne, wenn er sein Eigentum zurückfordere. Die Oder-Neiße-Linie aber sei keine „Friedensgrenze“, sondern vielmehr die ‚Friedhofslinie für die Ermordeten und für die, die in Elend und Verzweiflung umgekommen sind.‘ “[13]
Zustand seit dem Anschluß Mitteldeutschlands an die BRD
Nach dem Beitritt Mitteldeutschlands zum Geltungsbereich des Grundgesetzes für die BRD wurde in hochverräterischer Weise bewußt darauf verzichtet, auf eine Rückgabe des völkerrechtswidrig annektierten Gebietes von Ostdeutschland zu drängen:
- „Das Argument, man habe die Oder-Neiße Linie aufgrund der Interessenlagen nicht zum Verhandlungsgegenstand machen können, ist hinfällig. Genschers beflissener Versuch, nachträglich die Spuren der Nötigung zu verwischen, indem man argumentiert, die Abtretung Ostdeutschlands sei freiwillig erfolgt, ist scheinheilig. 1990 verwies man noch darauf, daß der Anschluß der DDR an die BRD nur möglich sei, wenn man auf Ostdeutschland verzichte. Jede Siegermacht hätte verstanden, wenn Deutsche über 114.000 Quadratkilometer ihres Territoriums verhandelt hätten. Doch die Bundesregierung hat auch dies unterlassen. Dieses Versäumnis jetzt als Verdienst hinzustellen ist beispiellos.“[14]
Damit kam es zur Fünften Teilung Preußens. Acht der 15 Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die am 21. Juni 1990 nicht für die Entschließung zur Oder-Neiße-Frage gestimmt haben, entwickelten gemeinsam eine argumentative Grundlage:
- „Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist zwingendes Völkerrecht. Träger ist nach allgemeinem Völkerrecht das ganze deutsche Staatsvolk auf seinem Staatsgebiet. Nach Art. 25 GG geht diese Norm allen Gesetzen vor. Das Grundgesetz für die BRD schrieb die gemeinsame politische Auffassung, daß Deutschland in den Grenzen von 1937 als Staat fortbesteht, mit rechtlicher Verbindlichkeit für das Handeln der deutschen ‚Verfassungs‘organe fest. (so auch BVerfGE; it. Blumenwitz darüber weitgehende Einigkeit der Staats- und Völkerrechtslehre). Dieses Deutschland besteht nicht nur aus der Bundesrepublik Deutschland und der DDR; dazu gehören Berlin und die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße – bis zu einer völkerrechtlich unanfechtbaren neuen Lage, die durch einen Friedensschluß zwischen den ehemaligen Kriegsparteien herbeigeführt werden kann.“ — Willi Geiger
Verlauf
- 2. August 1945: Bestimmung der Oder-Neiße-Linie als vorläufige Westgrenze Polens durch die Alliierten auf der Potsdamer Konferenz
- Polen lehnt die Grenzlinie ab und besetzt Stettin.
- Auch die SBZ lehnt die Grenzlinie vorerst ab.
- März/April 1947: Offizielle Bezeichnung der Oder-Neiße-Linie als „Friedensgrenze“ durch die Moskauer Außenministerkonferenz
- Absetzung des opponierenden Ost-CDU-Vorsitzenden, Jakob Kaiser, durch die SMAD
- 18. Oktober 1949: Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Polen und der DDR. Präsident Pieck bekundet gegenüber Staatspräsident Bierut die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie.
- 11. Januar 1949: Eingliederung der durch die Grenzziehung gewonnenen Gebiete in die polnische Staatsverwaltung
- 6. Juni 1950: Görlitzer Abkommen durch DDR-Ministerpräsident Grotewohl und Polen durch Präsident Józef Cyrankiewicz zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze Warschau unterzeichnet. Sie sei „unantastbare Friedens- und Freundschaftsgrenze, die die beiden Völker nicht trennt, sondern einigt“. Sie verläuft „von der Ostsee entlang der Linie [...] Swinoujscie, [...] Oder bis zur [...] Lausitzer Neiße [...] entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze“, womit sie „die Staatsgrenze zwischen Deutschland und Polen bildet.“ Das Stettiner Gebiet wurde nicht erwähnt, ebensowenig die in Potsdam getroffene Feststellung, die Grenzbeschreibung gelte nur bis zur „endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens“ in einer kommenden Friedensregelung.
- 7. Juni 1950: Anerkennung des deutschen Staatsgebietes durch Frankreich „in den Grenzen von 1937“
- 8. Juni 1950: Einspruch der VSA und Großbritanniens gegen den Görlitzer Vertrag
- 9. Juni 1950: Das Regierungsabkommen wird seitens der Bundesrepublik für „null und nichtig“ erklärt. Die Bundesregierung beruft sich eben auf die im Görlitzer Vertrag fehlende Bedingung, daß die Entscheidung über die gegenwärtig polnisch und sowjetisch verwalteten deutschen Ostgebiete erst in einem späteren Friedensvertrag gefällt werde.
- Abtretung eines DDR-Gebietsteiles auf der Insel Usedom an Polen
- 6. Juli 1950: Förmlicher Abschluß des Görlitzer Vertrages
- 27. September 1951: Abkommen über Grenzmarkierung in Frankfurt/Oder
- 1963: Willy Brandt formuliert Bedenken gegen die Festschreibung der Oder-Neiße-Grenze.
- 1968: Als erster deutscher Politiker votiert Außenminister Willy Brandt für eine „Anerkennung bzw. Respektierung der Oder-Neiße-Linie bis zur friedensvertraglichen Regelung“.
- 7. Dezember 1970: Warschauer Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen. Beide Seiten bekunden, daß die aus den Potsdamer Beschlüssen herrührende bestehende Grenzlinie „die westliche Staatsgrenze der Volksrepublik Polen bildet“. Man habe „gegeneinander keine Gebietsansprüche“ und werde solche „auch in Zukunft nicht erheben“.
- 10. Mai 1972: Auf Drängen der CDU/CSU bekräftigt der Bundestag die Vorläufigkeit des Vertrages. Er bilde „keine Rechtsgrundlage für die heute bestehenden Grenzen“.
- 1985: Ausdehnung der DDR-Hoheitsgewässer in der Stettiner Bucht führt zu Zwistigkeiten mit Polen.
- 27. September 1989: Außenminister Genscher versichert vor der UNO-Vollversammlung dem polnischen Volk, „daß sein Recht, in sicheren Grenzen zu leben, von uns Deutschen weder jetzt noch in Zukunft durch Gebietsansprüche in Frage gestellt wird“.
- 21. Juni 1990: Bundeskanzler Kohl kündigt die völkerrechtliche Anerkennung der Grenze Polens zu Deutschland an, „so wie sie heute verläuft“.
- 12. September 1990: Bestätigung der bestehenden Grenzen zwischen der erweiterten BRD (Groß-BRD) und Polen im Zwei-plus-vier-Vertrag
- 14. November 1990: Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze: „Der Verlauf der Grenze bestimmt sich nach dem Görlitzer Abkommen [...] sowie dem Warschauer Vertrag.“
Zitate
- „Wir haben immer wieder festgestellt, Deutschland ist das ganze Gebiet, das seinerzeit durch die Weimarer Verfassung als deutsches Staatsgebiet errichtet worden ist.” — Carlo Schmid[15]
- „Die Rechtslage ist klar! Auch durch das Potsdamer Abkommen ist die deutsche Ostgrenze nicht festgelegt worden. Die Überlassung des dortigen Gebietes an Polen bedeutet keine Übertragung der Gebietshoheit, sondern nur eine vorläufige Übertragung der Verwaltung. Auch nicht der Schatten eines historischen Rechtes steht für den polnischen Anspruch!” — Heinrich Hellwege[16]
- „Die polnische Propaganda hat versucht, für diese Annexion deutscher Gebiete durch Polen historische Argumente zu finden. Es ist überflüssig, sich mit einer Erörterung der Vorgeschichte aufzuhalten. Der frei zum Ausdruck gebrachte Wille der Einwohner ist der einzige gewichtige Grund in den Augen des Völkerrechts, so wie es von den zivilisierten Ländern verstanden und gelehrt wird. Niemals haben die Einwohner Königsbergs gefordert, Russen zu werden; niemals haben weder die Bauern, noch die Städter in Ostpreußen, Pommern und Schlesien [...] gefordert, Polen zu werden. Die Annexionen von 1945 stellen – sofern sie endgültig werden – ein Attentat auf das Selbstbestimmungsrecht dar, das für alle zivilisierten Länder unantastbar sein sollte.“ — René Pinon, Professor an der École des Sciences Politiques[17]
Siehe auch
- Londoner Protokoll über die Besatzungszonen in Deutschland
- Regierung Dönitz
- Deutschland ist größer als die BRD
- Rechtslage des Deutschen Reiches nach 1945
- Oder-Neiße-Grenze nie
- Trennungslinie zwischen dem mittleren und südlichen Ostpreußen seit 1945
- Ex iniuria ius non oritur
- US-Gericht: Deutsches Reich besteht noch
- Vertreibung
- Sudetenland
- Umerziehung
Literatur
- Heinz Nawratil: Schwarzbuch der Vertreibung 1945–1948: Das letzte Kapitel unbewältigter Vergangenheit, Universitas Verlag, ISBN 978-3800414741
- Rolf Kosiek: Adenauer und die Oder-Neiße-Linie, in: Rolf Kosiek / Olaf Rose (Hgg.): Der Große Wendig, Band 2, Grabert Verlag, Tübingen 2006, S. 644–647
- Der Tod sprach polnisch, Dokumente polnischer Grausamkeiten an Deutschen 1919–1949, Arndt-Verlag, ISBN 13 978-3-88741-154-1
- Manfred Weinhold: Deutschlands Gebietsverluste 1919–1945, Handbuch und Atlas, Arndt-Verlag, ISBN 978-3-88741-197-8 (Klappentext)
- Joachim Nolywaika: Polen – nicht nur Opfer. Die Verschwörung des Verschweigens, Deutsche Stimme, 2006
- David Irving: Deutschlands Ostgrenze, Weder Oder noch Neiße: Die Rückkehr des deutschen Ostens (Klappentext)
- Herbert Czaja: Nein zur Preisgabe! In: „Das Ostpreußenblatt“, 30. Juni 1990 (PDF-Datei)
Verweise
- FAZ.net: Stalins Pläne: Niederschlesien wäre deutsch geblieben
- Interview mit Prof. Dr. Christoph Koch, Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der BRD über die Frage der polnischen Westgrenze
- Der polnische Imperialismus und die Oder-Neiße-Linie
- Völkerrechtliche Überlegungen zur sogenannten Oder-Neiße-Linie und ihrer Problematik von Dr. jur. Hannes Kuschkat