Luftangriffe auf Kassel

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Kassel nach dem Feuersturm vom Oktober 1943

Kassel gehört neben Dresden, Hamburg, Pforzheim und Darmstadt zu den deutschen Städten mit den höchsten Opferzahlen durch alliierte Luftangriffe. Den schwersten Luftangriff erlebte die Stadt am 22. Oktober 1943 im Rahmen der britischen Area Bombing Directive.

Angriffsziel

Die dichte Fachwerkbebauung wurde leicht Raub der Flammen. Hier Haus Klosterstraße 11

Während des Zweiten Weltkrieges bildete Kassel mit den dort ansässigen Henschel-Werken ein wichtiges Rüstungszentrum, insbesondere für Lokomotiven (BR 52), Panzer („Tiger") und Lastwagen. Die 1936 gegründete Henschel-Tochterfirma Henschel Flugmotorenbau G.m.b.H. (HFM) stellte im Lohwald bei Altenbauna (heutiges Volkswagenwerk Kassel in Baunatal) Flugmotoren her. Die Gerhard-Fieseler-Werke waren an drei Standorten am Rande der Stadt im Flugzeugbau tätig. Bei den Luftangriffen des 22. Oktober 1943 wurden allerdings nicht Techniken des gezielten Angriffs auf Rüstungsbetriebe, sondern die Technik des Flächenbombardements der Stadt angewandt. Durch die dichte Bebauung im Altstadtbereich mit den leicht Feuer fangenden Fachwerkhäusern rückte Kassel bereits früh in die Liste der Städte, für die ein Brandbombenangriff besonders geeignet erschien.

Der Bombenterror vom 22. auf den 23. Oktober 1943

Der Soldat, Ehemann und Vater Frey kämpfte mit dem Panzer-Regiment 2 an der Kriegsfront, als sein Kommandeur ihm Schreckliches mitteilen mußte: Seine geliebte Frau Mathilde und die beiden Söhne (11 und 2 Jahre) wurden in der Kasseler Jägerstraße 5 durch den Terrorfliegerangriff vom 22. Oktober 1943 getötet. Über 14 Monate mußte er den Schmerz, die Einsamkeit und den unvorstellbaren Seelenleid ertragen. Erst im Januar 1945 hatten die Qualen ein Ende, er war an der Ostfront gefallen.

Bei einem ersten Angriff am 3. Oktober 1943 trafen die anfliegenden Bomberverbände auf eine geschlossene Wolkendecke. Außerdem herrschte starker Westwind, so daß die Leuchtmarkierungen nach Osten abgetrieben wurden und nur die nördlichen Außenbezirke sowie die Fieseler-Werke getroffen wurden. Die umliegenden Gemeinden Kassels erlitten teils gewaltige Schäden (u.a. Vellmar, Heckershausen, Sandershausen). Am Nachmittag des 22. Oktober starteten erneut 569 Bomber in England und erreichten nach 20 Uhr die Stadt. Aufgrund von Ablenkungsmanövern wie dem Abwurf von Markierungsbomben über Frankfurt und dem Setzen von sogenannten Christbäumen über Köln wurde in Kassel erst sehr spät Luftalarm ausgelöst.

Wie etwa ein Jahr später beim Luftangriff auf Darmstadt kam eine Fächertaktik zum Einsatz. Dabei markierten die Bomberverbände das Zielgebiet rund um den Martinsplatz in Form eines Viertelkreises, um so ein präziseres Bombardement zu erreichen und somit die Zerstörungen zu maximieren. Nach diesem Setzen der Leuchtmarkierungen (im Volksmund „Christbäume“ genannt) begann dann der eigentliche Angriff, dem innerhalb von 22 Minuten die gesamte mittelalterliche Altstadt zum Opfer fallen sollte. Zuerst wurden tausende Sprengbomben sowie hunderte schwerer Luftminen abgeworfen. Durch die Druckwellen der Explosionen wurden Dächer, Fenster und Türen aufgerissen. Danach wurden mehr als 420.000 Stabbrandbomben über dem Stadtgebiet abgeworfen, die nun in die aufgerissen Dachstühle der zumeist aus Fachwerk bestehenden Häuser fielen und diese innerhalb kürzester Zeit in Vollbrand versetzten. Da Kassel etwa 150 Kilometer von der nächstgrößeren Stadt entfernt liegt, waren die auf sich selbst gestellten eigenen Feuerwehren viel zu schwach, um ordentlich löschen zu können und völlig überfordert. Statistiken folgend wurden auf jeden Quadratmeter zwei Brandbomben abgeworfen, was zu einem Feuersturm führte. Erst 45 Minuten nach dem Angriff erreichte dieser seinen Höhepunkt und wurde für viele Bewohner in den Kellern zur tödlichen Falle.

Durch die Zerstörung der Befehlsstelle des Luftwarndienstes konnte keine Entwarnung gegeben werden. Der Nachrichtenverkehr zwischen den Stadtteilen war bereits eine halbe Stunde nach Angriffsbeginn zusammengebrochen. Die Menschen blieben so in ihren Kellerräumen sitzen. Weil vorsorglich Verbindungen mittels Mauerdurchbrüchen zwischen allen Kasseler Innenstadtgebäuden geschaffen worden waren, verblieben noch letzte Fluchtmöglichkeiten. Da allerdings die gesamte Altstadt in Brand gesetzt wurde, entkamen die meisten Altstadtbewohner dem Inferno nicht mehr. 25 Lancaster-Bomber und 18 Halifax-Bomber kehrten nicht mehr zu ihren Stützpunkten zurück.

„Es war ein Ereignis geradezu apokalyptischen Ausmaßes, das Kassel im Zweiten Weltkrieg heimsuchte: das Flächenbombardement vom 22. Oktober 1943. Um 20.17 Uhr warnten die Sirenen die rund 225.000 Menschen in der Stadt, nur wenige Minuten später griffen die alliierten Fliegerverbände an. Binnen eineinhalb Stunden warfen etwa 500 Flugzeuge mehr als 400.000 Brandbomben ab – das waren in bestimmten Arealen der Altstadt zwei pro Quadratmeter. Der riesige nächtliche Feuerschein war noch aus über 50 Kilometer Entfernung zu sehen. In den Überresten brannte es noch tagelang. Kassel war nach diesem Angriff nicht mehr dieselbe Stadt: 85 Prozent der Wohnungen und 65 Prozent der Industrieanlagen waren zerstört. In der mittelalterlichen Altstadt war ein Feuersturm entfacht worden, der 97 Prozent der größtenteils aus Fachwerk bestehenden Häuser vernichtete. Die Opferzahlen wurden mit bis zu 10.000 Toten angegeben, hinzu kamen unzählige Verletzte. Das Ausmaß des körperlichen und seelischen Leides in jener Bombennacht ist aus heutiger Sicht unvorstellbar. Fast jeder, der die Bombardierung überlebte, hat Angehörige oder Freunde verloren. Für einen Großteil der Einwohnerinnen und Einwohner haben die Bomben zudem nichts mehr übrig gelassen vom einstigen Hab und Gut. Die Stadt war ein Trümmerhaufen und vieles, was die Menschen an Kassel liebten, nicht mehr da. […] Ihre teilweise traumatischen Erlebnisse in der Bombennacht und danach haben viele Menschen nicht losgelassen. Manchem erging es bei der Rückkehr wie Hans Germandi: Als der damals junge Soldat – heute als Kasseler Historiker bekannt – kurz nach der Bombennacht nach Kassel kam, fand er dort, wo sein Elternhaus gestanden hatte, nur Trümmer und einen Balken mit drei Worten: ‚Familie Germandi tot‘. Manchen Begebenheiten gaben den Menschen aber auch Kraft: So wurde das berühmte Kasseler Friedrichsgymnasium – dort gingen unter anderem die Gebrüder Grimm zur Schule – zwar fast vollständig zerstört, aber das Portal mit zwei Statuen blieb erhalten. Sie verkörperten das alte christliche Lebensmotto ‚Ora et labora‘ – bete und arbeite. Fast unbeschadet erhob sich auch der Lutherkirchturm über die Trümmer der Stadt und wurde ein Symbol der Hoffnung. Am Morgen nach der Bombennacht traf sich dort eine kleine Gruppe unter der Leitung des damaligen Pfarrers Preger zu einer Andacht zur Liedstrophe ‚Morgenglanz der Ewigkeit‘.“[1]

Ausmaß der Zerstörung

Beim Angriff auf Kassel kamen nach ersten Schätzungen über 10.000 Menschen ums Leben. Diese Zahl wurde später auf rund 7000 gesenkt. Während in den äußeren Stadtbezirken 80 Prozent aller Wohnhäuser zerstört waren, wurde die Altstadt mit rund 97-prozentiger Zerstörung geradezu eingeäschert. Auf Luftbildaufnahmen brannte die Stadt nach weiteren sieben Tagen immer noch. Auf jeden Einwohner kamen 48 Kubikmeter Schutt.

Die zuständige Gaubehörde für Kassel hatte die Bevölkerung völlig unzureichend informiert und bereits vor dem Angriff baupolitische Fehler begangen. Am deutlichsten zeigte sich dies an der hohen Anzahl von Menschen, die in ihren Kellern nicht erschlagen wurden, sondern erstickten. Durch das durchgehende Kellersystem unter der Stadt war es zu chaotischen Zuständen gekommen, da viele Bewohner keine Ausgänge zur Oberfläche fanden und sich in den engen Räumen und Gängen verirrten. Weiterhin sollten sie sich selbst an der Brandbekämpfung beteiligen, obwohl die in der Stadt Zurückgebliebenen, zumeist Frauen und Kinder, größtenteils noch nie eine Einführung in Krisenfälle wie einen Luftangriff erhalten hatten.

Auch die Industrieanlagen hatten schwere Produktionsausfälle zu verzeichnen. So fiel beispielsweise im Fieseler-Flugzeugwerk eine komplette Monatsproduktion an Flugzeugen aus, im Flakmunitionswerk rund ein Drittel der gesamten Produktionsmenge über die nächsten Monate. Die Industrie erreichte erst im März 1944 wieder ihren alten Auslieferungsplan.

Wiederaufbau

Die ersten Pläne zum Wiederaufbau Kassels nach dem Krieg fußten unverständlicherweise auf Plänen zur Umgestaltung Kassels zur nationalsozialistischen Gauhauptstadt Hessen-Nassaus aus den 1930er Jahren. Die Ausstellung „Kassel baut auf“ führte 1946 zu einem Eklat, nachdem der zur SPD gewechselte Stadtbaurat in der Ausstellung alte Pläne zum Umbau zur Gauhauptstadt präsentierte, wobei der Begriff „Gauhauptstadt" nur überklebt war.

Im Jahr 1947 wurde ein Wettbewerb „Bebauungsvorschlag zum Wiederaufbau der Stadt Kassel“ durchgeführt. Den ersten Preis erhielt Hans Högg, dessen Plan den weitgehenden Erhalt der bisherigen städtischen Strukturen vorsah. Dazu kam es jedoch nicht, sondern die verbleibenden Reste der historischen Bebauung wurden weitestgehend abgeräumt. Unter dem Schlagwort „Autogerechte Stadt“ sollte Kassel, das einstmals als eine der schönsten Städte Europas beschrieben wurde, zu einer modernen Metropole ausgebaut werden. Es gab kaum Bemühungen, historische Bausubstanz zu konservieren oder zu rekonstruieren. Dies hatte seinen Ursprung auch in den Bestrebungen der Moderne, welche die aus dem Mittelalter stammenden Stadtstrukturen, und damit auch die hygienischen und sozialen Zustände in den Altstädten der Jahrhundertwende durch Konzepte wie die Gartenstadt zu überwinden suchten. Die Trümmer der Innenstadt wurden am Rosenhang an der Karlsaue aufgeschüttet, wodurch sich sein Profil deutlich veränderte. Abgesehen von den hölzernen Fachwerkhäusern der Altstadt wurden viele Baudenkmäler erst ein Opfer des Wiederaufbaus und nicht der Kriegshandlungen, die sie beschädigt aber nicht vollständig vernichtet hatten. Dies betrifft vor allem das Staatstheater und das klassizistische Nahl'sche Haus, dessen Wiederaufbau bereits begonnen hatte, dann aber dem Bau der Treppenstraße doch noch weichen mußte.

Siehe auch

Literatur

  • Werner Dettmar: Die Zerstörung Kassels im Oktober 1943. Hesse, Fuldabrück 1983, ISBN 3-924259-00-3
  • Claus Nordbruch: Bombenterror: todsichere Methode des Ethnic cleansing, in: ders.: Der deutsche Aderlaß – Alliierte Kriegspolitik gegen Deutschland nach 1945. Veröffentlichungen des Instituts für Deutsche Nachkriegsgeschichte, Bd. 28, 3. Aufl., Grabert-Verlag, Tübingen 2012, S. 106–121
  • Günter Zemella: Warum mußten Deutschlands Städte sterben?: Eine chronologische Dokumentation des Luftkrieges gegen Deutschland 1940–1945, Kloster-Buchhandlung und Klosterhaus-Versand, 2014, ISBN 978-3941730106 [704 S.]
  • Thomas Goodrich: Höllensturm – Die Vernichtung Deutschlands, 1944–1947, Createspace Independent Publishing, 2015, ISBN 978-1517540241 [475 S.]
  • Jan von Flocken: Verbrechen an Deutschen – Vertreibung, Bombenterror, Massenvergewaltigungen. Compact Geschichte Nr. 8, 2019 [82 S.], Bezugsnachweis
  • A. C. Grayling: Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen? Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. C. Bertelsmann, München 2007[2] – Der Autor ist ein britischer Philosoph (geb. 1949)
  • Pit Pietersen: Kriegsverbrechen der alliierten Siegermächte: Terroristische Bombenangriffe auf Deutschland und Europa 1939–1945, Norderstedt (BoD) 2006 (eingeschränkte Voransicht auf Google-Bücher)
  • Karsten Kriwat: Alliierter Luftterror von Dresden bis Bagdad (Klappentext)
  • Hans-Joachim von Leesen: Bombenterror. Der Luftkrieg über Deutschland (Klappentext)
  • Sven Felix Kellerhoff: So zerstörten Bomben deutsche Städte – eine Bilanz. welt.de, 10. Mai 2015
  • Christine Kluge: Die geplante Vernichtung. Entwicklung 1648–1948 und danach, und „Rechtfertigung des Bombenkrieges“ aus englischer Sicht (Klappentext)
  • Maximilian Czesany: Allierter Bombenterror, Druffel-Verlag, 1986
  • Gebhard Aders: Bombenkrieg – Strategien der Zerstörung. licoverlag 2004

Verweise


  1. Stadt Kassel, documenta‐Stadt, Oktober 2021
  2. Bert Hoppe: War die alliierte Bombardierung deutscher Städte ein Kriegsverbrechen?, Berliner Zeitung, 20. März 2007 – Rezension