Rußlanddeutsche

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Rußlanddeutsche ist ein Sammelbegriff für die deutsche Minderheit in Rußland. In der Regel werden auch die deutschen Einwohner der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken als Rußlanddeutsche bezeichnet. Die Bezeichnung Ukrainedeutsche, Kasachstandeutsche usw. ist unüblich und inkorrekt, denn der kulturelle Bezug zu den Staatsethnien der neuen postsowjetischen Republiken läßt sich bei den Betreffenden nicht feststellen. Fälschlicherweise werden die Rußlanddeutschen gelegentlich auch als „Deutschrussen“ bezeichnet. Bis zum Ende der UdSSR waren zeitweise auch die Bezeichnungen Sowjetdeutsche bzw. Sowjetunion-Deutsche im Gebrauch.

Es handelt sich um regional ursprünglich sehr verstreute Gruppen des Deutschtums, wie etwa (Wolgadeutsche, Wolhyniendeutsche, Krimdeutsche, Kaukasiendeutsche, Schwarzmeerdeutsche, Sibiriendeutsche und weitere innerhalb des Russischen Kaiserreiches). Einige von ihnen gründeten selbst in Sibirien und im Fernen Osten, am Amur, ihre Siedlungen. Überall im Reich entstanden deutsche Enklaven als autonome Gemeinden mit Namen wie Mannheim, Josephsthal oder Schönfeld. Deren gemeinschaftliches Leben wurde in traditioneller Art und Weise durchgeführt, bis hin zu eigenen Kirchen und Ratsversammlungen, die für die deutsche Ortsgemeinschaft bindend waren. Heute leben noch etwa 800.000 Rußlanddeutsche in der Russischen Föderation (sinkende Tendenz); nach der letzten Volkszählung im Jahre 2002 ergab sich eine Gesamtzahl von 597.212 Deutschen, davon alleine 350.000 in Sibirien.

Blütezeit Helenendorf – die Stadt wurde 1818/19 von deutschen Siedlern unter Kaiser Alexander I. gegründet. Es ist nur wenig bekannt, daß die Rußlanddeutschen eine Volksgruppe darstellen, die mehr Seelen umfaßt als die EU-Länder Estland, Luxemburg, Zypern und Malta zusammen. Und es sollte durchaus erwähnt werden, daß die beiden größten Städte ihrer ursprünglichen Siedlungsgebiete am Schwarzen Meer und an der Wolga, Odessa und Saratow, weiter voneinander entfernt lagen als beispielsweise Berlin und Rom.

Vorgeschichte – Deutsche in russischen Städten

Schon im Mittelalter kamen Deutsche ins alte Rußland, da Lübecker Kaufleute um 1200 ein Hansekontor in Nowgorod einrichteten. Diese Stadtrepublik stand in dieser Zeit für das souveräne Rußland, während andere große russische Fürstentümer dem Tatarenjoch unterlagen.

„Die Deutschen machten einen bemerkungswerten Teil der Republiken Nowgorod und Pskow aus. Die im Nowgoroder Staatsmuseum aufbewahrte Birkenrindenurkunde Nr. 753 beinhaltet den auf einer germanischen Mundart abgefassten Zauberspruchtext. Das Schriftstück entstand voraussichtlich zwischen 1050 und 1075. Die Deutschen nahmen am gesellschaftlichen und religiösen Leben Osteuropas teil. Der geistige Werdegang des Lübecker Kaufmannes Jacob Potharst stellt in diesem Zusammenhang ein krasses Beispiel dar. 1243 ließ er sich in Nowgorod nieder, wo er zu Wohlstand und Reichtum kam. Später verteilte er sein Vermögen an die Armen, um fortan auf Kirchentreppen und Müllhalden als Narr in Christo zu leben. Er soll am 3. Juli 1290 durch seine Gebete die Stadt Weliki Ustjug vor dem Untergang durch den Meteoriteneinschlag bewahrt haben. Jacob Potharst wird als Heiliger der Russisch-orthodoxen Kirche, Prokop von Ustjug – den ersten russischen Jurodiwy (Narr in Christo), verehrt. Am 22. März 1489 beauftragte der Großfürst von Moskau Iwan III. seine Gesandten, deutsche Fachleute im Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (weiter – Deutsches Imperium) anzuwerben. Man brauchte einen ‚Bergmeister, um die Gold- und Silbervorkommen aufzusuchen‘, ‚einen Pionier, der Festungen einnehmen könnte‘, ‚einen gekonnten Kanonier‘ und ‚einen erfahrenen Baumeister, der Paläste bauen könnte‘. Das ist die erste dokumentierte Einladung der fachkundigen Deutschen nach Russland, die dem Imperator des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Friedrich III. und seinem Sohn, dem römisch-deutschen König Maximilian I. übermittelt wurde. Bemerkenswert, dass Iwan III., dessen großfürstlicher Titel, der europäischen Adelshierarchie gemäß, nur dem Rang des Herzogs entsprach, wurde im Bündnisvertrag mit dem römisch-deutschen König Maximilian I. vom 16. August 1490 königähnlich als ‚von Gottes Gnaden einziger Fürst und Herr in Russland‘ tituliert. Drei Jahre später, am 6. Mai 1492, ließ Iwan III. durch seine Boten, Juri Trachaniot und Michail Eropkin-Kljapik, einen der mächtigsten Herrscher des Deutschen Imperiums, Kurfürsten Friedrich von Sachsen, bitten, seinen untertänigen Handwerken zu gestatten, sich in Russland anzusiedeln. Der Großfürst war bereit, dem deutschen Kurfürst mit Allem zu dienen, was sein Land erzeugte: ‚Von der Tätigkeit der Letzteren versprach sich Iwan besonders viel, und zwei derselben entsprachen auch seinen Erwartungen im vollen Maße. Johann und Victor, nur ihre Vornamen haben die russischen Annalen aufbewahrt, waren in Begleitung zweier Russen an die Ufer der Petschora gezogen, um Silber zu suchen; was sie hier nicht fanden, trafen sie dreihundert Werst südwestlich an der Zylma, einem Nebenfluss der Petschora. Auf einem Flächenraum von zehn Werst entdeckten sie eine Silber- und eine Kupfermine, deren Erträgnisse den Großfürsten bald in den Stand setzten, aus heimatlichem Silber Münzen schlagen zu können, während er bis dahin die Edelmetalle vom Auslande bezogen hatte.‘“[1]

Der östliche Nachbar, das Moskowiter Reich unter Iwan III. (Regentschaft 14621505) unterwarf Nowgorod (1478) und löste später auch das Hansekontor auf. Iwan III. war gleichzeitig der erste in einer ganzen Reihe von Zaren, die ausländische Fachleute anwarben. So kamen wiederum Deutsche nach Rußland, von denen sich einige im neuen Machtzentrum Moskau dauerhaft niederließen.

Iwan IV. (15471587) gelang es mit Hilfe deutscher Mineure, die bislang tatarischen Gebiete (Khanate) an der Wolga zu erobern. Somit wurde zugleich der Weg nach Sibirien frei. Im Laufe der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts siedelten sich die nach Moskau kommenden Ausländer überwiegend unter den Russen an, aber am 4. Oktober 1652 erging ein Erlaß des Zaren Alexej Michajlowitsch (16451676) – des Vaters von Peter I. – über die Aussiedlung aller Westeuropäer hinter die Stadtgrenzen von Moskau in die vormalige Ausländer-Vorstadt. Nunmehr bekam dieser Ort den Namen Neudeutsche oder Deutsche Vorstadt, da Russen alle aus Westeuropa stammenden und des russischen nicht mächtigen Personen als „Nemcy“ (von dem Wort „nemoj“, d. h. „stumm“) oder übersetzt „Deutsche“ bezeichneten. Nach der Hofzählung 1665 gab es in der Deutschen Vorstadt 206 Höfe mit etwa 1.200 Ausländern. Im Jahre 1725 betrug ihre Zahl schon 2.500, aber anteilmäßig machten sie nur 2 % der Gesamtbevölkerung der Stadt aus.

Peter I. (16891725) ließ 1703 die neue Hauptstadt Sankt Petersburg erbauen, wo von nun an die meisten der angeworbenen Fachleute lebten. Unter ihm gelangten viele Deutsch-Balten, die aus der Zeit des Deutschen Ordens hervorgegangen waren, unter russische Herrschaft. Neben dem Zugang zur Ostsee wollte er auch die nördliche Schwarzmeerküste erobern, was jedoch erst Katharina II. wirklich gelang.

Deutsche Siedler in Rußland

7. Auswanderungswelle von Deutschen nach Rußland

Katharina II.

Der Einfluß von Deutschen auf die Geschichte Rußlands nahm unter der Nachfolge von Peter dem Großen noch weiter zu: Minister und Ratgeber kamen aus Deutschland und die Zarenfamilie der Romanows vermischte sich mit anderen europäischen Adelshäusern. Die deutsche Katharina II. (1762–1796) vertrat wie die Herrscher im Königreich Preußen und im Erzherzogtum Österreich des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation den aufgeklärten Absolutismus und förderte wie diese die Kolonisation von innerstaatlichen, kaum oder unbewohnten Gebieten, um so ein erhöhtes Bevölkerungswachstum zu erreichen. Durch diese Peuplierungspolitik erhoffte man sich Macht und Reichtum für den Staat. In Rußland kam noch hinzu, daß man einige Gebiete vor nomadisierenden Stämmen sichern wollte.

Einladungsmanifest

Da die meisten russischen Bauern Leibeigene ihrer adligen Herren waren und die Zahl der freien Staatsbauern nicht ausreichte, warb sie vor allem im Ausland um Siedler. Ihr Einladungsmanifest vom 22. Juli 1763 stellte ausländischen Siedlern eine Reihe von Privilegien in Aussicht:

  • Religionsfreiheit
  • Befreiung vom Militärdienst
  • Selbstverwaltung auf lokaler Ebene mit Deutsch als Sprache
  • eine Starthilfe
  • und 30 Jahre Steuerfreiheit......

Manifest der Kaiserin Katharina II. vom 22. Juli 1763

Auswanderung

Deutsche Siedler und Pioniere auf dem Weg nach Tiflis im Kaukasischen Hochgebirge

Vor allem in deutschen Fürstentümern wurden die Menschen von den Versprechungen gelockt, die Katharina II. durch ihre Anwerber in Zeitungen und Kirchen verbreiten ließ. Die Motive, das Land zu verlassen, ergaben sich vor allem aus den Folgen des Siebenjährigen Krieges (17561763), unter dem vor allem die Bewohner der Rheinprovinz, Nordbayerns und -Badens, der hessischen Gebiete und der Pfalz gelitten hatten.

Ankunft der ersten Siedler

Schon in den Jahren 1764 bis 1767 wanderten rund 30.000 Deutsche – inklusive einer kleineren Anzahl von Franzosen, Niederländern und Schweden – nach Rußland aus. Tausende überlebten die Strapazen, den Hunger und die Krankheiten während der langen Reise nicht. Erst bei der Ankunft wurde vielen klar, daß sie nicht mehr zu der Sorte von Einwanderern gehören sollten, die sich die Zaren bzw. Kaiser in den Jahrhunderten zuvor ins Land geholt hatten. Weder durften die Handwerker unter ihnen ihren erlernten Beruf in den Städten ausüben noch durften die Bauern sich selbst den Flecken Erde wählen, an dem sie sich niederließen. Statt dessen wurden einige dieser ersten Siedler in die ländliche Region um St. Petersburg, der überwiegende Teil aber ins Wolgagebiet bei Saratow geführt, wo alle dazu bestimmt waren, eine landwirtschaftliche Tätigkeit auszuüben.

Pro Familie bekamen die Kolonisten etwa 30 Hektar Land zugesprochen, wobei jedoch Klima und Bodenbeschaffenheit dieses Landes völlig anders waren, als man es aus den heimatlichen Gebieten kannte. So berichtet der Zeitzeuge C. Züge:

„Unser Führer rief halt! Worüber wir uns sehr wunderten, weil es zum Nachtlager noch zu früh war; unsere Verwunderung ging aber bald in Staunen und Schrecken über, als man uns sagte, dass wir hier am Ziele unserer Reise wären. Erschrocken blickten wir einander an, uns hier in einer Wildniß zu sehen, welche, so weit das Auge reichte, außer einem kleinen Walde, nichts als fast drei Schuh hohes Gras zeigte. Keins von uns machte Anstalt von seinem Roße oder Wagen herabzusteigen, und als das erste allgemeine Schrecken sich ein wenig verloren hatte, las man auf allen Gesichtern den Wunsch, wieder umlenken zu können… Das ist also das Paradies, das uns die russischen Werber in Lübeck verhießen, sagte einer meiner Leidensgefährten mit trauriger Miene! […] Es war freilich eine Thorheit von uns gewesen, dass wir uns in Rußlands unbewohnten Gegenden einen Garten Eden dachten; die Täuschung war aber dagegen auch allzu groß, dafür eine Steppe zu finden, die auch nicht einmal den mäßigsten Forderungen entsprach. Wir bemerkten in dieser unwirthbaren Gegend nicht die geringste Anstalt zu unserer Aufnahme, sahen auch im Verlauf mehrerer Tage keine machen, und doch schien bei dem nicht mehr fernen Winter; Eile nöthig zu sein“.[2]

Diese Beschreibung bezeugt die Pionierleistung, welche die zu Beginn (1773) 25.781 Einwohner der 104 neuen Dörfer im Wolgagebiet erbringen mußten, um zu überleben. Viele überlebten jedoch nicht. Neben den klimatischen Verhältnissen, Schädlingen und Seuchen stellte sich als weiteres Problem die strategische Lage heraus, denn es kam immer wieder zu Überfällen durch Reiternomaden („Kirgisen“) aus dem Osten, die ganze Siedlungen zerstörten und ihre Einwohner raubten und versklavten. Durch Gefangenschaft, Krankheit und Flucht dezimierte sich die Anzahl der Siedler allein innerhalb der ersten zehn Jahre um mehr als 7.000 Menschen. Die russische Regierung versuchte der Entwicklung durch weitere Kredite, aber auch durch die Enteignung von Bauern, die sie als untauglich befand, entgegenzuwirken. Die verbleibenden Siedler durften sich fortan selbst verwalten, indem sie ihre eigenen Dorf- und Oberschulzen wählten.

Siedler im Wolgagebiet

Trotz aller Schwierigkeiten machten die Siedler im Wolgagebiet Fortschritte. Bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde ein „bescheidener Wohlstand“ (1) erreicht. Die Ernten wurden besser und die Bevölkerungszahl stieg um ein Vielfaches an, so daß im Jahre 1815 60.000, im Jahre 1850 dann gar 165.000 Menschen in den Mutter- und neu entstandenen Tochterkolonien (Am Trakt und Alt-Samara) lebten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch wuchsen wieder die wirtschaftlichen Probleme, was vor allem an einer Agrarverfassung lag, die sich als nicht nachhaltig erwies. Land war nämlich hier nie Privateigentum, sondern wurde immer nur zur Verfügung gestellt – zuerst von der Krone, später von der Gemeinde, die immer wieder aufs neue für eine möglichst gerechte Verteilung zu sorgen hatte. Diese Umteilungsgemeinde hatte sich nach der Abschaffung der Leibeigenschaft zuvor schon bei den meisten russischen Bauern entwickelt. Begünstigt durch Bevölkerungswachstum und mangelnde Alternativen, eine Arbeit außerhalb der Landwirtschaft zu finden, ergab sich das Problem, daß mit der Zeit immer weniger Kolonistenland für immer mehr Bauern zur Verfügung stand. Landzukäufe konnte man sich kaum leisten, statt dessen wurde das vorhandene Land umso intensiver genutzt und teilweise ausgelaugt. Dies war mitverantwortlich für die Mißernten und Hungerjahre in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Siedler am Schwarzen Meer

Südrußland bzw. das nördliche Schwarzmeergebiet mit den Schwarzmeerdeutschen war neben der Wolgaregion das zweite Hauptsiedlungsgebiet deutscher Kolonisten in Rußland. Dieses Land, heute vorwiegend auf dem Staatsgebiet der Ukraine, hatte Katharina II. durch zwei Kriege mit dem Osmanischen Reich (17681774) und die Annexion des Krimkhanats (1783) im Süden für das Russische Reich hinzugewonnen. Es war jedoch nicht so kompakt angelegt wie das Wolgagebiet, sondern das Kerngebiet einer ganzen Kette von Kolonien, die von Wolhynien bis in den Kaukasus reichte. Die ersten deutschen Siedler kamen seit 1787 in erster Linie aus dem Raum Westpreußen (heute Polen) hierher, später dann auch aus dem Westen und Südwesten Deutschlands sowie dem Raum Warschau. Als Glaubensflüchtlinge kamen vor allem Mennoniten, die als „tüchtige Landwirte“ bekannt waren und die Rolle von Musterwirten übernehmen sollten[3]. Diese Religionsgruppen hatten oft die Siedlungsgebiete schon auskundschaften lassen und brachten ihre eigenen Gerätschaften und eigenes Vieh mit. Außerdem hatten sie schon im Vorfeld oft bessere Bedingungen (mehr Landzuweisung u. ä.) ausgehandelt.

Anders als an der Wolga sah es in Südrußland aus, wo den Bauern gleich zu Beginn mehr Land zugewiesen wurde und wo die Höfe meist ungeteilt an jeweils einen Erben übergingen. Wenn auch die Schwierigkeiten bei der Gründung ansonsten in etwa gleich waren, verlief die wirtschaftliche Entwicklung dieser Kolonien insgesamt erfolgreicher als an der Wolga. Auch stieg hier die Nachfrage nach anderen Gewerken, so daß auch Landlose eine Alternative hatten.

Diese besser durchdachte und mehr an den Bedürfnissen des Landes orientierte Einwanderungspolitik qualifizierter, dafür aber kleinerer Gruppen wurde ab 1804 von Alexander I. weitergeführt. Dieser orientierte sich zwar an Katharina der Großen, beschränkte die Auswahl der Siedler aber durch verschiedene Regelungen auf wohlhabende Familien.

Die besseren Bedingungen führten – gepaart mit modernem landwirtschaftlichem Gerät – zu einer wirtschaftlichen Blüte in den besiedelten Gebieten. Im Zuge der wirtschaftlichen Expansion der Deutschen in Rußland wurde auch die Infrastruktur immer weiter verbessert, und die deutsche Minderheit stieg im Zarenreich zu einer politisch, wirtschaftlich sowie finanziell einflußreichen Gruppe auf. Man fand sie überproportional oft im Offizierscorps, sie besaßen Banken und florierende Fabriken.

Rußlanddeutsche Siedlungen


Familiennamen und Stammbäume Schwarzmeerdeutscher Siedler

Akteneinträge verschiedener Forschungseinrichtungen:

Namensliste der Einwanderer-Anträge aus Rußland nach Deutschland während des Krieges:

Verurteilte und hingerichtete Schwarzmeerdeutsche

In der Sowjetunion wurden die Deutschen von verschiedenen Regionen ins Lager gebracht, die Wolgadeutschen, Rußlanddeutschen, die Krimdeutschen, die Deutschen von West Sibirien, Kasachstan, Kirgisien, und von ganz Rußland. Hier ist eine Teil-liste hingerichteter Schwarzmeerdeutscher vom Bezirk Odessa vom August 1937 bis November 1938. 1726 Deutsche! Die meisten waren erfolgreiche Bauern und Handwerker. Viele andere kamen in den Gulag. Die Hinrichtungen fingen schon seit dem Anfang der Sowjetunion an, aber von den frühen Jahren habe ich noch keine Listen gefunden. Dabei muß man bedenken daß die Sowjetunion von den Juden erschaffen und regiert wurde. Diese Amerikanische Liste liest sich so: Nachname, Vorname, Vaters Vorname, Geburtsjahr des Opfers, Hinrichtungsdatum, Nummer der Liste, Datum der Liste, Verfasser der Liste: Odessa Digital Library

Hier ist eine andere Liste von schuldlos verurteilten Schwarzmeerdeutschen „Beresan Distrikt Verurteilungen“ (Beresan liegt ca. in der Mitte der heutigen Ukraine): Die Vornamen wurden Russisch umgewandelt. Schlüssel: Arrested heißt in Gefangennahme genommen; Sentenced heißt Urteil; Corrective labor heißt Zwangsarbeit bzw. Gulag Gefangenenlager. Es waren normalerweise 10 oder 8 Jahre, manchmal 5. Sentenced to distruction heißt zum Tode verurteilt. Destroyed heißt hingerichtet bzw. ermordet. Destiny unknown heißt niemand weiß, ob sie das Gefängnis überlebt haben. Rehabilitated heißt, die Familie hat sich für die Schuldlosigkeit des Opfers (ob lebend, tod, oder verschollen) viele Jahrzehnte danach mit einem Antrag einsetzen können und der Mensch wurde nachträglich von der Schuld freigesprochen. Rehabilitated 1957 heißt, z. B., er wurde 1957 freigesprochen. Man findet diese Listen von Verurteilten auf dem ganzen Blog. Viele Listen wurden aus Deutschland bei den Alliierten abgeschleppt, wie z. B. die „EWZ“ Liste (in Amerika) welche die Namen der registrierten ethnischen Deutschen Einwanderer aus Russland hat welche die Deutsche Armee aus der Ukraine oder Polen rettete. Leider wurden viele dieser geretteten Deutschen später von den Alliierten den Russen und Polen und Tschechen übergeben und starben auf dem Weg in die Arbeitslager, oder in den Arbeitslagern, oder sie wurden massenhaft ermordet: Odessa Digital Library

Von der Privilegierung zur Diskriminierung (1871–1917)

Aufhebung des Sonderstatus

Die Abschaffung der Leibeigenschaft durch Alexander II. bedeutete formal auch eine Angleichung des russischen Bauernstandes an den der Deutschen. In Ermangelung einer Bodenreform erhielten aber die nun freigesetzten russischen Bauern nicht das Land, auf dem sie bislang gearbeitet hatten. Viele arbeiteten daher als Tagelöhner bei deutschen Bauern. Dies führte nicht selten zu Neid unter der russischen Bauernbevölkerung.

Das „Angleichungsgesetz“ aus dem Jahre 1871 sorgte dafür, daß der Sonderstatus der Kolonisten allmählich aufgehoben werden sollte. So wurden die Selbstverwaltungseinrichtungen aufgelöst, Russisch wurde Amts- und Schulsprache, der Militärdienst wurde verpflichtend. Diese Entwicklung kann nun einerseits als Förderung des Mitspracherechtes, und insgesamt der Integration, andererseits als Versuch einer Bevormundung und Beitrag zur Assimilierung der Rußlanddeutschen („Russifizierung“) angesehen werden. In Zeiten aufkommender Industrialisierung empfanden viele Rußlanddeutschen diesen erzwungenen Ausbruch aus der Isolation zwar auch als Möglichkeit, gleichzeitig sorgten sie sich wegen des aufkeimenden Panslawismus und der Deutschenfeindlichkeit im Land, denn das Angleichungsgesetz fiel bezeichnenderweise auf das Gründungsjahr (1871) des Deutschen Reiches, das nach der dritten Teilung Polens (1795) nun in unmittelbarer Nachbarschaft lag.

Diese Russifizierungsmaßnahmen in der Zeit um 1870 bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts führten dazu, daß bis 1912 etwa 300.000 Rußlanddeutsche nach Nord- und Südamerika auswanderten, was jedoch das Bevölkerungswachstum in dieser Gruppe nicht nachhaltig beeinflußte, da aufgrund einer hohen Geburtenrate die Zahl der Rußlanddeutschen bis 1914 auf 2,4 Millionen angewachsen war.

Antideutsche Stimmung

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts lebten 270.000 Schwarzmeerdeutsche in dreimal so vielen Dörfern wie die über 400.000 Wolgadeutschen. Um die Hauptsiedlungsgebiete herum, aber auch weit entfernt davon in Sibirien und Kasachstan, waren Tochterkolonien entstanden. Der Anteil der Deutschen in Rußland wuchs durch die Zuwanderung aus dem ehemals polnischen Grenzgebiet nach Wolhynien noch weiter an. Diese in nationalistischen russischen Kreisen als „Germanisierung“ (2) bezeichnete Entwicklung und dazu noch der Neid gegenüber den durchschnittlich wohlhabenderen Rußlanddeutschen in den Städten und Südrußland verstärkte die antideutsche Stimmung im Lande.

Der „innere Feind“ im Ersten Weltkrieg

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurden die Rußlanddeutschen – aus deren Reihen immerhin 300.000 Soldaten in der Kaiserlich Russischen Armee kämpften – als „potentieller Verräter“ und „innerer Feind“ bekämpft (2).

1914 verbot der letzte Kaiser, Nikolaus II. (18941917), u. a. den Gebrauch der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit. 1915 gab es in Moskau ein Pogrom gegen Deutsche. Im selben Jahr wurden in Rußland deutsche Zeitungen verboten, durften keine deutschsprachigen Bücher mehr gedruckt werden und kamen Gesetze mit dem Ziel heraus, die Deutschen an den Landesgrenzen, später 1917 im ganzen Land zu enteignen und zu vertreiben. Die Februarrevolution 1917 verhinderte Schlimmeres, auch wenn zu diesem Zeitpunkt schon 200.000 Kolonisten aus Wolhynien wirtschaftlich ruiniert und vertrieben bzw. nach Sibirien deportiert worden waren (2).

Die Zwischenkriegszeit

Hungerjahre 1921/1922

1917 kam die Oktoberrevolution, mit der das Russische Kaiserreich zur Sowjetunion wurde. Nach einem Diktatfrieden mit Deutschland war dann für diese der Erste Weltkrieg zu Ende. Es kamen Jahre des Bürgerkrieges mit verbliebenen reaktionären Kräften, während sich gleichzeitig neue Staaten (u. a. Polen, die baltischen Staaten) auf dem Territorium des alten Kaiserreiches proklamierten. Viele deutsche Siedler lebten damit außerhalb des Machtbereichs der Sowjets. Nicht aber die Bauern an der Wolga sowie die Schwarzmeerdeutschen, die nun Bekanntschaft mit dem Kriegskommunismus schließen mußten. Sie mußten Zwangsabgaben leisten, die sogar das Saatgut einschlossen. Wer sich dagegen widersetzte, wurde als Kulak diffamiert und enteignet.

Dürrejahre (19211923) verschärften diese Situation noch weiter und es kam zu einer Hungersnot. Lenins Neue Ökonomische Politik (NÖP) 1921 konnte nicht mehr verhindern, daß trotz ausländischer Spenden 3 bis 5 Mio. Menschen verhungerten, davon allein 120.000 Rußlanddeutsche (48.000 im Wolgagebiet).

Neue Grenzen

Nach dem Ende des Bürgerkrieges (1920) gelangten 1922 u. a. die Ukraine, Weißruthenien und Kasachstan/Kirgisien, später auch die baltischen Länder als Gliedsstaaten zur Sowjetunion, aber eben nicht zur russischen Sowjetrepublik. Die Bezeichnung „Rußlanddeutsche“ ist trotzdem im allgemeinen deutschen Sprachgebrauch erhalten geblieben, auch wenn nun das Siedlungsgebiet oft nicht mehr in Rußland lag. Dort jedoch erhielten Gebiete mit einer großen ethnischen Minderheit zumindest nominell oft den Autonomiestatus. So kam es 1924 auch an der Wolga zur Bildung einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSRdWD). Auf einem Gebiet von der Größe Belgiens wurde nun Deutsch (neben Russisch und Ukrainisch) zur gleichberechtigten Amts- und Unterrichtssprache.

Unterdrückung unter Stalin

Hungerkatastrophe 1932/33

Ende 1929 begann Stalin mit Hilfe von Terror, die zwangsweise Kollektivierung der Landwirtschaft durchzusetzen. Dies führte 1932/33 zu einer weiteren, noch verheerenderen Hungerkatastrophe als 1920/21. Die Angaben der Opfer reichen von 3 bis annähernd 11 Millionen Menschen (siehe auch Geschichte der Ukraine). Unter ihnen befanden sich etwa 350.000 Rußlanddeutsche.

Vor dem Zweiten Weltkrieg

Spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland wurden die Rußlanddeutschen wieder als „innerer Feind“ betrachtet und heimlich in Listen erfaßt (1934). Repressionen und Verhaftungen angeblicher „Spione“ oder „Sowjetfeinde“ nahmen zu. Allein in der Ukraine wurden 1937/38 122.237 Deutsche zum Tode sowie 72.783 zu Haftstrafen von zumeist 10–25 Jahren verurteilt (2). Die Situation entspannte sich nur vorläufig nach Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes 1939.

Rußlandfeldzug

Im Juni 1941 begann der deutsche Präventivkrieg gegen die stalinistische Sowjetunion. Mit dem schnellen Vorstoß der Wehrmacht befanden sich ca. 20 % der Rußlanddeutschen plötzlich unter reichsdeutscher Herrschaft, was sie aber nur vorläufig vor Stalins Plänen schützen sollte, sie allesamt in die Verbannung zu schicken. Dessen „krankhaftes Mißtrauen“ (2) ging so weit, daß er im November 1941 auch die 100.000 Rußlanddeutschen an der Front aus der ohnehin durch „Säuberungen“ geschwächten Roten Armee entfernen ließ.

Unter deutscher Besetzung

Der verhältnismäßig kleinere Teil der Rußlanddeutschen auf der deutschen Seite der Front wurde den Reichsdeutschen rechtlich gleichgestellt. Als die Rote Armee diese Gebiete wiedereroberte, wurden die Ukrainedeutschen in den Warthegau umgesiedelt. Mit der deutschen Niederlage gerieten etwa 100.000 dieser Neusiedler (3) wieder in den Machtbereich der Sowjets und wurden ebenfalls deportiert.

Deportationen

Verschleppung der Rußlanddeutschen 1941

Nach Beginn des Krieges wurden mehr als 1.200.000 Rußlanddeutsche entsprechend dem Erlaß des Obersten Sowjets vom 28. August 1941 innerhalb weniger Wochen unter dem Vorwurf der Kollaboration mit Deutschland und der Einstufung als „Feinde des Volkes“ aus den europäischen Teilen der Sowjetunion nach Osten – vorwiegend Sibirien, Kasachstan und in den Ural – deportiert.

Der Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 „Über die Umsiedlung der Deutschen, die in den Volga-Rayons leben“ lautete:

Entsprechend glaubwürdigen Nachrichten, die die Militärbehörden erhalten haben, befinden sich unter der in den Volga-Rayons lebenden deutschen Bevölkerung Tausende und Zehntausende von Diversanten und Spionen, die nach einem aus Deutschland gegebenen Signal in den von den Wolgadeutschen besiedelten Rayons Sprenganschläge verüben sollen.
Über die Anwesenheit einer so großen Zahl von Diversanten und Spionen unter den Wolgadeutschen hat den Sowjetbehörden keiner der in den Volga-Rayons ansässigen Deutschen gemeldet, folglich verbirgt die deutsche Bevölkerung der Volga-Rayons in ihrer Mitte Feinde des Sowjetvolkes und der Sowjetmacht.
Im Falle von Diversionsakten, die auf Weisung aus Deutschland durch deutsche Diversanten und Spione in der Republik der Wolgadeutschen oder in den angrenzenden Rayons ausgeführt werden sollen, und im Falle, daß es zum Blutvergießen kommen wird, wird die Sowjetregierung entsprechend den zur Kriegszeit geltenden Gesetzen gezwungen sein, Strafmaßnahmen zu ergreifen.
Um aber unerwünschte Ereignisse dieser Art zu vermeiden und ernsthaftes Blutvergießen zu verhindern, hat das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR es für notwendig befunden, die gesamt deutsche Bevölkerung, die in den Volga-Rayons ansässig ist, in andere Rayons umzusiedeln, und zwar derart, daß den Umzusiedelnden Land zugeteilt und bei der Einrichtung in den neuen Rayons staatliche Unterstützung gewährt werden soll.
Für die Ansiedlung sind die an Ackerland reichen Rayons der Gebiete Novosibirsk und Omsk, der Region Altaj, Kazachstans und weitere benachbarte Gegenden zugewiesen worden.
Im Zusammenhang damit ist das Staatliche Verteidigungskomitee angewiesen worden, die Umsiedlung aller Wolgadeutschen und die Zuweisung von Grundstücken und Nutzland an die umzusiedelnden Wolgadeutschen in den neuen Rayons unverzüglich in Angriff zu nehmen.
Der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
gez. M. Kalinin
Der Sekretär des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR
gez. A. Gorkin
Moskau, Kreml,
28. August 1941

Familien wurden auseinandergerissen, die Menschen wurden in Viehwaggons transportiert und irgendwo in den Steppen Kasachstans „abgekippt“, wo sie sich Erdhütten gruben und mit Entsetzen dem bevorstehenden Winter entgegensahen. Wieder andere wurden Kolchosen zugewiesen und mußten dort nach Überlebensmöglichkeiten suchen, die man den „Faschisten“ eigentlich gar nicht zubilligte. Gleichzeitig wurden ihre staatsbürgerlichen Rechte aberkannt und ihr Eigentum bis auf ein geringes Handgepäck eingezogen. Die meisten von ihnen – im Alter zwischen 14 und 60 Jahren – mußten in Arbeitslagern unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten. Mehrere Hunderttausend – die geschätzte Zahl schwankt um 700.000 – starben in dieser Zeit vor allem an schlechten Arbeits-, Lebens- oder medizinischen Bedingungen.

Tod und Verbannung

Die Deutschen wurden der Sonderverwaltung (Kommandantur) unterstellt und praktisch zu rechtlosen Arbeitssklaven gemacht, die dann im Herbst 1941 zusammen mit deutschen Kriegsgefangenen, darunter auch Zivilisten, in die sogenannte Trudarmee (von „труд“ für „Arbeit“) interniert wurden. Unter militärischer Willkür mußten sogar Jugendliche bei unzureichender Ernährung und bei extremer Kälte körperliche Schwerstarbeit verrichten.

Nach dem Stalinismus

Ein Großteil der Rußlanddeutschen hat die vielfachen staatlichen Eingriffe in das vormals eigenständige dörfliche Leben nicht überlebt. Vor allem der Stalinismus zerstörte sowohl Menschenleben als auch die Dörfer und damit die eigenständige Kultur der Deutschen in Rußland. Die Kinder der Rußlanddeutschen hatten – wenn überhaupt – nur Zugang zu russischsprachigem Unterricht. Deutsch öffentlich zu sprechen blieb noch lange gefährlich und verstärkte die Gefahr, als angeblicher „Faschist“ angefeindet zu werden. 1948 verkündete der Oberste Sowjet, daß die Verbannung „auf ewig“ gelten solle.

In Sibirien und Kasachstan wurden die Rußlanddeutschen weitgehend von den anderen Sowjetbürgern getrennt in Sondersiedlungen angesiedelt. Diese unterstanden regelmäßig einer sogenannten Kommandantur mit strengen Meldepflichten, Ausgangsbeschränkungen und Diskriminierungen. Es herrschten lange Zeit lagerähnliche Zustände. Die Kommandantur wurde erst im Januar 1956 aufgehoben. Ab dieser Zeit durften sich die Deutschen wieder einen Wohnort nach Wunsch suchen, aber nicht in ihren früheren Siedlungsgebieten. Die deutschen Siedlungen in Sibirien und Kasachstan bestanden als Dörfer mit deutscher Mehrheitsbevölkerung weiter. Im Laufe der Zeit zogen auch Russen und andere Sowjetbürger dorthin.

Am 29. August 1964 wurden die Rußlanddeutschen durch ein – allerdings damals nicht veröffentlichtes – Dekret des Obersten Sowjets rehabilitiert. In den 1960er Jahren begann auch langsam die Ausreise von Rußlanddeutschen in die Heimat ihrer Ahnen, nach Deutschland. Vor allem siedelten sie in die Bundesrepublik um. Aber auch in der DDR fanden einige Familien eine neue Heimat. Erst in den 1980er Jahren und vor allem nach dem Zerfall der Sowjetunion wuchs der Strom der Aussiedler nach Deutschland gewaltig an.

Beginn der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland

Ende der 1960er Jahre, nach einem Abkommen Willy Brandts mit der UdSSR über Heimkehrerberechtigung und Aussiedlerbestimmungen, begann langsam die Ausreise nach Deutschland. Meist mußten die Rußlanddeutschen aber Jahre warten, bis ihnen die Ausreise gewährt und ermöglicht wurde. Sie durften weder Habe noch Geld mitnehmen. Oftmals wurden sowjetische Beamte bestochen, um beschleunigt in die Gunst der Ausreise zu gelangen. Für die Ortung der Rußlanddeutschen in der UdSSR wurde das Deutsche Rote Kreuz als Meldezentrale und Suchorganisation genutzt und für die Familienzusammenführung eingesetzt, da viele westdeutsche Bürger ihre im Krieg verschleppte und verschollene Verwandtschaft erst einmal suchen lassen mußten. Die meisten siedelten nach Westdeutschland um, in die DDR nur wenige. Nach den Heimkehrerbestimmungen und dem Aussiedlergesetz stand fast allen deutschstämmigen Familien aus den Ostblockstaaten eine Umsiedlung ins geteilte Deutschland zu. Die von russischem Militär während und nach dem Kriege deportierten Rußlanddeutschen wurden in westdeutschen Aussiedlerlagern nach dem Heimkehrergesetz registriert, erneut eingebürgert und mit einer Willkommensspende ihren in Westdeutschland lebenden Verwandten geographisch zugeteilt.

Die ersten Heimkehrer waren meist Familienangehörige der nach dem Krieg in Deutschland verbliebenen Rußlanddeutschen, die viel Energie aufwandten, um ihre Angehörigen zu finden. Erst in den 1980er Jahren und vor allem nach der Selbstauflösung der Sowjetunion 1991 wuchs auch die Zahl der nach Deutschland einreisenden Aussiedler an und betrug jahrelang ca. 200.000 pro Jahr, wobei seit Mitte der 1990er Jahre mehr und mehr auch nichtdeutsche Familienangehörige mit nach Deutschland kamen, die noch eine Deutschstämmigkeit zweiten Grades nachweisen konnten und dadurch als Aussiedler galten. Dieser Strom ist nicht auf die Aktivitäten der schon zuvor in Deutschland lebenden Rußlanddeutschen zurückzuführen. Die Gründe hierfür liegen sicherlich meist in der wirtschaftlichen und politischen Irritation, der starken Armut und den immer mehr wachsenden innerrussischen Konflikten nach dem Zerfall der UdSSR.

Für einen großen Teil der älteren Rußlanddeutschen war die Ausreise nach Deutschland das für sie wichtigste Ereignis in ihrem Leben. Während einige Jugendliche nur widerwillig ihre Eltern begleiteten, war die Übersiedlung für viele Ältere die Verwirklichung eines Lebenstraumes nach langer Heimatsuche, bedingt durch ständige Vertreibung und gefühlte Entwurzelung. Sie haben sich bis ins hohe Alter traditionell überlieferte deutsche Sitten und Bräuche bewahrt.

Viele der älteren Rußlanddeutschen hatten zudem wegen ihrer Herkunft schreckliche Mißhandlungen und Diskriminierungen in der UdSSR überlebt und viele Familienmitglieder in den Straflagern Sibiriens verloren, bis sie sich in Deutschland sicher fühlen durften. Viele Deutsche aus der Ukraine hatten auch ihre Einbürgerungsurkunden oder die ihrer Eltern und Großeltern aus der Zeit, in der sie im Wartheland angesiedelt waren (1942–1944), gehütet und über die Sowjetzeit hinweggerettet. Mit diesen Urkunden war der Nachweis, Deutscher zu sein, leichter möglich; ebenso durch Angabe der Einbürgerung während der Kriegszeit oder dem Nachweis der Verwandtschaft. Sogar über 90jährige reisten aus, weil sie sich im Land ihrer Vorväter begraben wissen wollten.

Spätaussiedler der 1990er Jahre

Der Zuzug von Rußlanddeutschen als Spätaussiedler in den 1990er Jahren führte örtlich zu Problemen, da einige Kommunen in Niedersachsen (Cloppenburg, Werlte, Belm), Baden-Württemberg (Mittelzentren Lahr/Pforzheim/Rastatt/Offenburg,) Hessen (Mittelzentren Allendorf/Battenberg/Frankenberg) und Bayern (Ingolstadt/Waldkraiburg/Neugablonz) weit überproportional betroffen waren. Der Grund hierfür war, daß sich ganze Dörfer an einem bestimmten Ort in Deutschland wieder ansiedelten und dort der Anteil der Rußlanddeutschen an der Bevölkerung auf bis zu 30 % stieg. Dies führte teils zu Integrationsproblemen und erheblichen finanziellen Belastungen der Kommunen durch Sozialleistungen. Vereinzelt kam es durch den Aussiedlerstrom der letzten Jahre zu Sprachbarrieren, die in den 1970er Jahren nicht vorhanden gewesen waren.

Da z. B. diverse dieser Gemeinden zufällig in den Wahlkreisen der damaligen Bundesminister Wolfgang Schäuble und Rudolf Seiters lagen, wurde rasch eine Regelung geschaffen, mit der die Ansprüche auf Sozialleistungen für Rußlanddeutsche in den stark betroffenen Kommunen eingeschränkt wurden.

Eine gleichmäßigere geographische Verteilung war aber schwer zu erreichen, weil eine strikte Zuweisung des Wohnsitzes dem Grundgesetz widerspräche und viele Rußlanddeutsche in wirtschaftlich stärkeren Regionen bleiben wollten, um ihre Aussichten am Arbeitsmarkt zu verbessern.

Neben Problemen, z. B. durch Rauschgift- und Waffenhandel sowie Prostitution, und Erfolgen der Integration gingen von der Einwanderung der Rußlanddeutschen und ihrer Familien auch andere Impulse aus. Wirtschaftlich gesehen war der Zuzug von Spätaussiedlern ein positiver Impuls in einigen Gegenden, in denen es an jungen Menschen mangelte. Die Konsum- und Bautätigkeit in diesen Gegenden wurde ebenfalls durch den Zuzug unterstützt.

Seit Ende der 1990er Jahre nimmt die Anzahl der Übersiedler von Jahr zu Jahr stark ab, so daß der Aussiedlerstrom nach Deutschland in den nächsten Jahren vermutlich ganz versiegen wird.

Heutige Situation in Rußland

Am 1. Juli 1991 wurde der 1938 aufgelöste deutsche Nationalkreis Halbstadt (Nekrassowo) im Altai wiedergegründet, am 18. Februar 1992 erfolgte die Gründung des deutschen Nationalkreises Asowo (bei Omsk). Bei Saratow und Wolgograd sollen weitere Nationalkreise oder -bezirke (Okrugs) gegründet werden. In der Nähe von Uljanowsk an der Wolga wurde ebenfalls Anfang der 1990er Jahre der deutsche Dorfsowjet (Dorfrat) von Bogdaschkino gegründet. Die Zukunft dieser autonomen Gebilde, auf unterster Stufe, ist jedoch fraglich, weil die alteingesessene deutschstämmige Bevölkerung auch von dort mehrheitlich bereits ausgewandert ist.

In folgenden Regionen leben auch heute noch deutschstämmige Minderheiten:

Die im Altai lebenden Deutschen sind zum größten Teil ausgewandert, dennoch gibt es auch hier wieder einen deutschen Nationalkreis.

Prozentual gesehen machen die Deutschen heutzutage rund 0,41 % der gesamten Bevölkerung Rußlands aus. In Sibirien leben proportional mehr Deutsche als in anderen Regionen, mehr als 350.000 Rußlanddeutsche.

Eingliederung in Deutschland

Die rußlanddeutschen Personengruppen brachten auch ihre russischen Familienangehörigen mit. Überwog zu Beginn der Einwanderungswelle bis Anfang der 1990er Jahre der deutsche Anteil in den Familien, so überwiegt inzwischen der russische Anteil ohne oder mit nur geringen Kenntnissen der deutschen Sprache.

In manchen deutschen Städten sind mittlerweile eigene russische Stadtviertel und demzufolge russischsprachige Kulturbereiche entstanden. Mehrere eigenständige russischsprachige Zeitungen, z. B. die Tageszeitung Rheinskaja Gazeta oder die Wochenzeitschrift Russkaja Germanija erscheinen heute in der BRD. Der hohe Bevölkerungsanteil und die mangelhafte Integrationsmöglichkeit – insbesondere der jungen Männer – wegen der oft fehlenden Deutschkenntnisse und Konfrontation mit einer für sie fremden Kultur machen die gesellschaftliche Integration der in diesen Vierteln lebenden Menschen schwierig.

Eine deutsch-russische Mischsprache, die manchmal unter diesen Einwanderergruppen gesprochen wird, ist derzeit im Entstehen begriffen.

Daneben hat sich jedoch auch eine kaum beachtete, zahlenmäßig aber weitaus größere rußlanddeutsche Mittelschicht entwickelt. Die Angehörigen dieser Gruppe, die bis Anfang/Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland aussiedelten, werden jedoch in der Gesellschaft aufgrund ihrer nachträglich erhaltenen deutschen Namen nicht mehr als Rußlanddeutsche identifiziert. So gibt es heute (2006) an deutschen Universitäten nicht wenige rußlanddeutsche Studenten, die allgemein akzentfreies Deutsch sprechen, da sie entweder noch vor der Einschulung nach Deutschland kamen oder sogar bereits hier geboren wurden. Gerade diese Nichtwahrnehmung der gut integrierten Mehrzahl verzerrt das Bild der Rußlanddeutschen zu Unrecht insgesamt ins Negative, da einige isolierte (meist männliche) Personen mit der gesamten Gruppe gleichgesetzt werden.

Aus diesem Grund bekennen sich einige gut integrierte Rußlanddeutsche nicht zu ihrer Herkunft, da sie fürchten, so wie die schlecht integrierten Aussiedler aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion in der BRD als „die Russen“ bezeichnet zu werden, nachdem ihre Eltern in ihrer Heimat immer „die Deutschen“ waren. Doch es gibt auch Ausnahmen. Auch Prominente, wie z. B. die deutsche Sängerin Julia Neigel, die Anfang der 1970er Jahre mit ihren kriegsverschleppten Eltern aus Sibirien in die BRD heimkehrte, bekennen sich unbedarft und angstfrei öffentlich zu ihrer Herkunft und repräsentieren ein positives, neues Selbstbewußtsein der rußlanddeutschen Bevölkerung.

Diskrepanzen innerhalb der Völkergruppe lassen erwarten, daß ein kleiner Teil der rußlanddeutschen Einwanderer isoliert in ärmlichen Stadtvierteln verbleiben wird. Der weitaus größte Teil dieser Einwanderergruppe wird dagegen in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren völlig in der deutschen Gesellschaft aufgehen. Die Tatsache, daß der Zuzug von Spätaussiedlern nach Deutschland seit 1995 von Jahr zu Jahr stark abgenommen hat (im Jahr 2005 wurden nur noch 35.396 Spätaussiedler aus den Ländern der GUS registriert), tut ihr übriges.

Weitreichende Folgen des Krieges

Viele Spätaussiedler, die nach Deutschland ausgewandert sind, berichten von Folgen des Krieges, die noch heute zu spüren sind. Sie hatten mit Vorurteilen der russischen Bevölkerung in Rußland, haben aber auch mit Vorurteilen der deutschen Bevölkerung in der BRD zu kämpfen. Einerseits wurden die Rußlanddeutschen in Rußland als „Fritzen“ oder „Faschisten“ bezeichnet, andererseits werden die Aussiedler bzw. Spätaussiedler in der BRD als „Russen“ bezeichnet, selbst wenn sie und ihre angeheirateten russischen Familienmitglieder sich um korrekten Gebrauch der deutschen Sprache bemühen. Es besteht hier wie bei anderen Gruppen von Einwanderern die Möglichkeit der Bildung einer sogenannten „Parallelgesellschaft“.

Berühmte Rußlanddeutsche (Auswahl)

Siehe auch

Filmbeiträge

In diesem Filmbeitrag wehren sich die Deutschen aus Rußland gegen die Politische Korrektheit, die z. B. zu einer verzerrten Darstellung ihrer Geschichte in den Schulbüchern der BRD führt:

Literatur

Verweise

Englischsprachig

Filmbeiträge

Fußnoten

  1. Walther Friesen: Historischer Kommentar zum Appel von Hugo Wormsbecher an Wladimir Putin
  2. zit. nach Stricker 1997
  3. vgl. Informationen zur Politischen Bildung, Heft 267 (s. Literatur)
  4. Quelle: Germans from Russia Heritage Society, Bismarck, North Dakota