Grossmann, Wassili

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Wassili Grossman in Schwerin, 1945

Wassili Semjonowitsch Grossmann (Lebensrune.png 12. Dezember 1905 in Berdytschiw, Ukraine; Todesrune.png 14. September 1964 in Moskau) war ein jüdischer sowjetischer Schriftsteller und Propagandist Stalins.

Werdegang

Als Josif Solomonowitsch Grossman in einer jüdischen[1] Familie geboren, erhielt Grossman keine traditionelle jüdische Erziehung und kannte nur ein paar Worte Jiddisch. Ein russisches Kindermädchen wandelte seinen Namen Jossja in das russische Wassja, was von der ganzen Familie akzeptiert wurde. Sein Vater war Sozialdemokrat und schloß sich den Menschewisten an. Der junge Wassili Grossman unterstützte die russische Revolution von 1917.

Während seines Studiums an der Universität Moskau begann Grossman Kurzgeschichten zu schreiben und setzte seine linken literarischen Aktivitäten fort, als er später als Ingenieur im Donezbecken arbeitete. Eine seiner ersten Kurzgeschichten, „In der Stadt Berditschew“, führte dazu, daß Maxim Gorki und Michail Bulgakow auf Grossman aufmerksam wurden und ihn ermutigten.

Mitte der 1930er Jahre gab Grossman seinen Beruf als Ingenieur auf und widmete sich ganz dem Schreiben. Bis 1936 hatte er zwei Sammlungen von Erzählungen veröffentlicht, und 1937 wurde er Mitglied des Schriftstellerverbandes der UdSSR.

Nach dem Beginn des Rußlandfeldzuges wurde Grossman vom Einsatz in der Armee freigestellt und wurde Kriegsreporter für das Hetzblatt „Krasnaja Swesda“. Er schilderte die großen Ereignisse des Krieges, darunter die Schlacht um Moskau, die Schlacht von Stalingrad, die Schlacht um Kursk, die sowjetische Rückeroberung Weißrutheniens und die Schlacht um Berlin in demagogisch lügenhafter Weise. Außer seinen Kriegsreportagen wurden seine Romane veröffentlicht, und er wurde als Held herausgestellt.

Antideutsche Hetze

Seine Broschüre „Die Hölle von Treblinka“ von 1944 wurde während des Nürnberger Tribunals als Dokument der Anklage verbreitet. Der Tatsachenwert der Broschüre ist gleich Null, es handelt sich ausschließlich um phantastische Greuelpropaganda obszöner Art, die wohl nur deshalb zu den Akten genommen wurde, weil Treblinka inzwischen unerreichbar hinter dem Eisernen Vorhang verschwunden war.

Das Jüdische Antifaschistische Komitee erarbeitete nach ähnlichen Maßstäben ein Schwarzbuch („The Black Book“). Dieses wurde jedoch von Stalin verboten und konnte erst unter Gorbatschow erscheinen. In den 1990er Jahren erschien das Machwerk auch in der BRD, wo es keinerlei Aufsehen erregte.

Dissident und Ende

Die Unterdrückung der jüdischen Propaganda unter dem späten Stalin trieb Grossman ins Dissidententum. Er schrieb künstlerisch wertvollere Romane, die zum Teil das grauenerregende Antlitz des Bolschewismus deutlich werden ließen.

„Leben und Schicksal“ sowie sein letzter Roman „Alles fließt“ (1961) wurden als Bedrohung für die kommunistische Herrschaft angesehen, und der Dissident wurde zur Unperson. Grossman starb 1964, ohne zu wissen, ob sein Werk je vom Publikum würde gelesen werden können.

„Leben und Schicksal“ wurde 1980 in der Schweiz veröffentlicht. Als die Glasnost-Politik von Michail Gorbatschow initiiert wurde, wurde das Buch endlich 1988 in der Sowjetunion veröffentlicht. „Alles fließt“ erschien ein Jahr später.

1998 drückte Alexander Solschenizyn seinen „großen Respekt“ für Grossmans „geduldige, beharrliche, weitreichende Arbeit“ aus.

Auszug aus: Kołakowski: „Die Hauptströmungen des Marxismus“

„Im Jahre 1928 verkündete Stalin, daß der Klassenkampf sich mit jedem Sieg des Kommunismus immer mehr verschärfen werde und der Widerstand der Ausbeuter ständig wachse. Diese Entdeckung war während des folgenden Vierteljahrhunderts die theoretische Begründung für sämtliche Repressionen, Massaker und Verfolgungen sowohl in der Sowjetunion wie auch später in den ihr unterworfenen Ländern.
Auf diese Weise begann die massenhafte Kollektivierung der sowjetischen Landwirtschaft – wahrscheinlich der größte Krieg, den ein Staat jemals in der Geschichte gegen die eigene Bevölkerung geführt hat. Versuche, Zwang nur maßvoll anzuwenden, führten zu keinen Ergebnissen. Ende 1929 beschloß Stalin, zur sofortigen Kollektivierung überzugehen. Es begann die massenhafte ‚Liquidation der Kulaken als Klasse‘.
Als einige Monate später, im März 1930, die katastrophalen Resultate seiner Politik sichtbar wurden – die Bauern schlachteten ihr Vieh ab und vernichteten Getreide –, legte Stalin vorübergehend eine langsamere Gangart ein und veröffentlichte einen Artikel ‚Schwindelerregende Erfolge‘, in dem er kritisierte, daß gewisse Parteifunktionäre übereifrig und übereilt vorgegangen seien und das ‚Prinzip der Freiwilligkeit‘ bei der Organisierung von Kolchosen verletzt hätten.
Der Artikel rief im Partei- und Polizeiapparat Unsicherheit hervor, und dadurch kam es in großem Maßstab zur Selbstauflösung der Kolchosen; es stellte sich heraus, daß es keinen Ausweg mehr gab. Man kehrte unverzüglich zur Politik der massenhaften Kollektivierung zurück. Was dann kam, war die Hölle. Hunderttausende und schließlich Millionen von Bauern, die man willkürlich als ‚Kulaken‘ bezeichnete, wurden nach Sibirien und in andere verlassene Landstriche verfrachtet, verzweifelte Aufstände auf dem Land wurden blutig von Armee und Polizei niedergeschlagen, ein unbeschreibliches Chaos, Elend und Hunger überzogen das Land. Es kam vor, daß ganze Dörfer deportiert wurden, ganze Dörfer an Hunger starben; bei den überstürzt organisierten Deportationen gingen Massen von Menschen an der Kälte, den Entbehrungen und dem Terror zugrunde; bis aufs Skelett heruntergekommene Menschen schleppten sich durchs Land und flehten vergebens um Erbarmen; es kam zu Fällen von Kannibalismus.
Um zu verhindern, daß die ausgehungerten Bauern in die Städte flüchteten, führte man rasch ein Paßsystem ein: Unter Androhung von Gefängnis durfte niemand ohne Paß seinen Wohnort verlassen. An die Bauern wurden keine Pässe ausgegeben, und so bildeten sie eine Masse von fronpflichtigen Untertanen, die unter den schlimmsten feudalen Verhältnissen an die Scholle gebunden waren. (Dieses System wurde bis zu den siebziger Jahren nicht aufgehoben.) Die Konzentrationslager füllten sich mit neuen Massen von Gefangenen, die zu Zwangsarbeit verurteilt worden waren.
Mit diesem ganzen Vorgang, der die Bauernschaft vernichtete und zwangsweise in Kollektivwirtschaften hineintrieb, wollte man ein Höchstmaß an Sklavenarbeit aus der Bevölkerung herauspressen, um es für die Entwicklung der Industrie zu verwenden. Das unmittelbare Resultat war ein Niedergang der sowjetischen Landwirtschaft, von dem diese sich trotz zahlloser Reorganisationen und Reformen bis heute nicht erholt hat. Bei Stalins Tod, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Beginn der massenhaften Kollektivierung, lag die Getreideerzeugung pro Kopf der Bevölkerung noch immer unter dem Stand von 1913, doch wurden nahezu während der gesamten Zeit trotz des Elends und der Hungersnot große Mengen landwirtschaftlicher Produkte, wo es nur möglich war, exportiert, um die Industrie mit Mitteln zu versorgen. Das Grauen und die Unmenschlichkeit dieser Jahre lassen sich selbst durch die Zahlen der vernichteten Menschenleben nicht wiedergeben; die vielleicht treffendste Schilderung der Kollektivierung enthält der postum erschienene Roman Wassilij Grossmans ‚Alles fließt‘.“[2]

Siehe auch

Werke

  • Die Hölle von Treblinka. Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1946
  • Dies Volk ist unsterblich. Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1946
  • Stalingrad. ebd. 1946, 2. Aufl. 1947
  • Stalingrad. Niederländische Fassung: De slag om Stalingrad, Pegasus 1946
  • Stephan Koltschugin. Roman Dietz, Berlin 1953
  • Wende an der Wolga. Roman Dietz, Berlin 1958 (ursprünglicher Titel: Für unsere gerechte Sache!)
  • Stürmische Jugend. Roman in vier Teilen, Dietz, Berlin 1962
  • Alles fließt. Übersetzung von Nikolai Artemow. Possev, Frankfurt 1972
  • Die Kommissarin. Erzählung. Mit zahlr. Fotos aus d. gleichnamigen Film von Alexander Askoldow. Neuer Malik, Kiel 1989
  • Alles fließt. Verlag Volk und Welt. Berlin 1990
  • Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden. Mit Ilja Ehrenburg. Hg. Arno Lustiger, Reinbek, Rowohlt 1994
  • Die Hölle von Treblinka. Faksimile: Köln, Wilhelm-Kammeier-Institut. 2004
  • Leben und Schicksal, Roman (engl.: Life and Fate), Claassen, Berlin 2007

Fußnoten

  1. David Korn: Wer ist wer im Judentum? – FZ-Verlag ISBN 3-924309-63-9
  2. Vgl. Leszek Kołakowski: Die Hauptströmungen des Marxismus. Entstehung – Entwicklung – Zerfall. 3 Bde., Piper-Verlag, München 1977–1978, ISBN 978-3-492-02310-8; hier: Band 3, 2., überarbeitete Auflage 1981, S. 50f.