Bauer, Fritz
Fritz Bauer (geb. 16. Juli 1903 in Stuttgart; gest. 1. Juli 1968 in Frankfurt am Main) war ein jüdischer Jurist und Generalstaatsanwalt in Hessen (1956–1968), der eine maßgebliche Rolle beim Zustandekommen der Frankfurter Auschwitz-Prozesse spielte.
Inhaltsverzeichnis
Werdegang
Fritz Bauer wurde zu Wilhelminischer Zeit als Sohn der Ella, geb. Hirsch, und des Textilgroßhändlers Ludwig Bauer in Stuttgart, der Hauptstadt des damaligen Königreichs Württemberg, geboren.[1] Dort und in Tübingen wuchs er mit seiner drei Jahre jüngeren Schwester Margot in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Die Mutter hatte orthodox-jüdische Vorfahren, während der Vater einer eher assimilierten deutsch-jüdischen Familie entstammte.
Über den Ersten Weltkrieg (1914–1918) hinweg besuchte Fritz Bauer 1912–1921 das humanistische Eberhard-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart. Anschließend nahm er ein Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in München auf. Im Dezember 1924 legte er in Tübingen seine Erste Juristische Staatsprüfung ab und begann noch im selben Monat sein Referendariat. Nach erfolgreicher Promotion (Dr. jur.) 1925 bei Karl Geiler (1878–1953) in Heidelberg mit einer Dissertation über „Die rechtliche Struktur der Truste“ (veröff. 1927) bestand er im Februar 1928 auch sein Zweites Juristisches Examen.[2] Nach seiner Promotion zum Doktor der Rechte wurde Bauer 1930 Gerichtsassessor beim Amtsgericht Stuttgart.
Wirken
Fritz Bauer war zu Weimarer Zeit in diversen linken Vereinigungen aktiv (Reichsbanner, Republikanischer Richterbund, SPD). Ins Berufsleben startete er 1928 als Gerichtsassessor bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Stuttgart. Am Amtsgericht seiner Heimatstadt wurde er im April 1930 im Alter von 26 Jahren jüngster Amtsrichter im Deutschen Reich. Seit 1920 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschland (SPD), gehörte er 1930 zu den Mitbegründern des demokratisch gesinnten „Republikanischen Richterbundes“ in Württemberg, wie er im selben Jahr auch den Vorsitz der Ortsgruppe Stuttgart der überparteilichen Organisation zur Verteidigung der Weimarer Republik (1919–1933) „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ (gegr. 1924) übernahm.[3] Im Zusammenhang mit Planungen für einen gegen die Machtergreifung Hitlers gerichteten Generalstreik, wurde Bauer im April 1933 aus dem Justizdienst entlassen. Im Monat darauf folgte die Internierung im Konzentrationslager Heuberg auf der Schwäbischen Alb, wo er auf den damaligen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher (1895–1952) traf. Während Schumacher die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) fast ununterbrochen in Haft verbringen mußte, wurde Bauer im Dezember 1933 zuletzt aus der Ulmer Strafanstalt schon wieder entlassen. 1935 ging er nach Dänemark, wo er als Vertreter deutscher Textilfirmen tätig war.
Ab Oktober 1943 arbeitete Bauer in Schweden für das wissenschaftliche Institut der Gewerkschaften auf nationalökonomischem Gebiet. An der Seite des späteren sozialdemokratischen Bundeskanzlers Willy Brandt († 1992) gründete er in Stockholm noch 1944/1945 die „Sozialistische Tribüne“. Nach Kriegsende kehrte Fritz Bauer 1945 zunächst ins dänische Kopenhagen zurück, wo er jedoch keine adäquate Stelle fand, so daß er schon bald wieder nach Deutschland einwanderte. Bis dahin arbeitete er vorübergehend in der Wirtschafts- und Finanzverwaltung sowie v.a. in der Redaktion der Exilantenzeitung „Deutsche Nachrichten“.
Unter Vermittlung seines Freundes Kurt Schumacher, damals SPD-Vorsitzender, wurde Fritz Bauer 1949 — mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (Verkündung Grundgesetz 23. Mai 1949) — obwohl er jahrelang überhaupt nicht juristisch gearbeitet hatte und nur drei Jahre Berufserfahrung in der Justiz hatte — schließlich zum Landgerichtsdirektor am Landgericht Braunschweig bestellt. Ein Jahr später erfolgte seine Ernennung zum Generalstaatsanwalt am Oberlandesgericht Braunschweig.
In dieser Funktion erlangte er im März 1952 durch sein Plädoyer[4] im Remer-Prozeß gegen den ehemaligen Generalmajor der Wehrmacht Otto Ernst Remer ( 1997), der sich wegen „übler Nachrede Verstorbener“ zu verantworten hatte, bereits internationale Bekanntheit, indem er die Putschisten vom 20. Juli 1944 posthum rehabilitierte. Das Gericht schloß sich Bauers Auffassung an, das Dritte Reich sei „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen — Zitat: „Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig“.
Fritz Bauer wurde Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen. Er war im rechtspolitischen Ausschuß sowie als Mitherausgeber der theoretischen SPD-Zeitschrift „Die neue Gesellschaft“[3] tätig und schrieb u. a. über „Sexualität und Verbrechen“.[1]
Im Jahr 1956 wurde Bauer unter Ministerpräsident Georg August Zinn (SPD; gest. 1976) zum hessischen Generalstaatsanwalt in Frankfurt/M. ernannt.[5] Im Februar 1959 stellte er erfolgreich beim Bundesgerichtshof den Antrag, dem Landgericht Frankfurt/M. möge die Zuständigkeit für alle im früheren KZ Auschwitz begangenen Straftaten übertragen werden.[6]
Eichmann-Prozeß
Nach Angaben des israelischen Geheimdienstchefs Isser Harel, war Fritz Bauer konspirativ an der Eichmann-Entführung beteiligt.[1] Da er selbst der deutschen Justiz und dem Dienstweg mißtraute, hatte er sich 1960 direkt an Israel gewandt und dem israelischen Geheimdienst Mossad den Wohnort Adolf Eichmanns in Argentinien mitgeteilt. Diese Mitteilung soll die Voraussetzung für Eichmanns Ergreifung und Verurteilung gewesen sein.
Auschwitz-Prozeß
Fritz Bauer hatte maßgeblichen Anteil am Zustandekommen der großen zentralen sog. Auschwitzprozesse (I.: 1963–1965; II.: 1965/1966; III.: 1967/1968) in der BRD. Als Vorbild diente ihm der israelische Eichmann-Prozeß 1961.[7] Als Chef der zuständigen Anklagebehörde, steuerte er dann — im Vorfeld des ersten Verfahrens — die Anklageerhebung gegen 22 mutmaßlich beteiligte Personen bei.
Der angeklagte ehemalige SS-Angehörige und Lagerkommandant Richard Baer, der sich bis dahin bester Gesundheit erfreute, starb im Juni 1963 noch vor Prozeßbeginn unter ungeklärten Umständen in Untersuchungshaft. Bauer ordnete die Einäscherung des Leichnams an, bevor die Todesursache eindeutig ermittelt werden konnte. Diese mysteriösen Vorgänge fanden in der Öffentlichkeit kaum Beachtung und wurden sogar bewußt heruntergespielt.[8]
Fritz Bauers Werk galt dem Aufbau einer „demokratischen Justiz“. Trat er ansonsten als „Strafrechtsliberalisierer“ auf, so verfocht der jüdische Jurist Fritz Bauer in Bezug auf die NS-Zeit unnachsichtige Härte und Strafrechtsverschärfung. Er galt in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt[9] („der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung“) als oberster „Nazijäger“ der Bundesrepublik und war federführend beim großen Auschwitz-Prozeß.[1] Die Frankfurter Auschwitzprozesse wären ohne Bauers hartnäckigen Einsatz möglicherweise nicht zustande gekommen.
Euthanasie-Prozeß
Die 1965 von Fritz Bauer begonnenen Voruntersuchungen zu einem exemplarischen Euthanasie-Prozeß wurden indes nach seinem Tod eingestellt.[10] Historiker gehen davon aus, daß die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Bundesrepublik durch die bisweilen kontroverse Debatte um den ersten Auschwitzprozeß erstmals eine öffentliche Dimension erhielt.[3]
Innerhalb der bundesdeutschen Justiz der Nachkriegszeit war Bauer wegen seines politischen Engagements umstritten. Er selbst soll einmal gesagt haben: „In der Justiz lebe ich wie im Exil.“ Ebenfalls überliefert ist der Satz: „Wenn ich mein [Dienst-]Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland.“[11] In der sog. „SPIEGEL“-Affäre vom Oktober 1962 ergriff Bauer mit einem Artikel, in dem er sich kritisch mit dem juristischen Begriff des „Landesverrats“ auseinandersetzte,[12] indirekt Partei für das betroffene Nachrichtenmagazin, nachdem mehrere Redakteure wegen eben dieses Vorwurfs in Untersuchungshaft genommen worden waren (u.a. Rudolf Augstein). Im Dezember sprach Bauer vor Göttinger Professoren und Studierenden über das Thema „Staatliches Unrecht und Widerstand“. Er spielte dabei auf einen Strafantrag des Sohnes des fr. Generals Hans Oster gegen die „Deutsche Soldatenzeitung“ an, die den 1945 im KZ Flossenbürg umgekommenen Oster einen Landesverräter genannt hatte, weil er Angriffspläne der Wehrmacht auf Holland und die skandinavischen Länder den entsprechenden Ländern zugespielt hatte. Fritz Bauer erklärte, Oster habe ein schnelles Kriegsende angestrebt, Europa müsse ihm dafür ein Denkmal setzen. Im Frühjahr 1963 wurde Fritz Bauer in der Bundesrepublik ein reges, zumeist empörtes öffentliches Echo zuteil, nachdem die dänische Zeitung „B.T.“ ein Interview mit ihm veröffentlicht hatte, wonach er die Meinung vertreten haben soll, daß die junge deutsche Demokratie noch nicht stark genug wäre, um einem wiederkehrenden Hitler zu widerstehen. Bauer dementierte bzw. korrigierte die Aussage später.[3]
Tod
Fritz Bauer starb unter ungeklärten Umständen in der Badewanne seiner Wohnung[13] und wurde am 1. Juli 1968 tot aufgefunden.[14] Nach Erkenntnissen der ermittelnden Behörden habe er mit Hilfe von Beruhigungsmitteln angeblich Suizid begangen.
Der Selbstmord von Fritz Bauer wird häufig mit dem mangelnden Erfolg und der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung seiner Bemühungen zur juristischen Aufarbeitung des später so genannten „Holocaust“ in Verbindung gebracht. Tatbeteiligte wurden damals zu Haft wegen Beihilfe zu Mord verurteilt. Breite Schichten der Gesellschaft sahen in den Verfahren Nestbeschmutzung und folgten den Darstellungen der Beschuldigten, die mehrheitlich angaben, ohne Alternative und auf Befehl gehandelt zu haben. Der angeklagte SS-Sturmbannführer Victor Capesius wurde so zum Beispiel zu neun Jahren Haft verurteilt und 1968 wieder freigelassen. Zurück in seiner Heimatstadt Göppingen, wurde er beim Besuch eines Konzerts mit Beifall begrüßt.[15]
Am 6. Juli 1968 fand eine Trauerversammlung der Hessischen Landesregierung in Frankfurt/M. statt, auf der der ehemalige stellvertretende Chefankläger der Nürnberger Prozesse, der Jude Robert M. W. Kempner, Bauer als „den größten Botschafter, den die BRD hatte“, bezeichnete.
Auszeichnungen
Die „Humanistische Union“ (HU) stiftete nach Bauers Tod einen nach ihm benannten, ab 1969 jährlich vergebenen Preis für Verdienste um die Demokratisierung und Humanisierung des bundesdeutschen Rechtssystems.[16] Das 1995 gegründete Fritz Bauer Institut, eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, die sich mit der Geschichte und Wirkung des Holocausts befaßt, ist ebenfalls nach ihm benannt. Ein 1995 vom Land Hessen, der Stadt Frankfurt/M. und einem Förderverein an der Universität Frankfurt/M. gegründetes „Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust“ trägt ebenfalls seinen Namen. Fritz Bauer wurde auch auf dem 1999/2000 vom Künstler Stephan Huber im Foyer des Frankfurter Main Tower geschaffenen pyramidalen Wandmosaiks „Die Frankfurter Treppe / XX. Jahrhundert“ neben 55 weiteren Persönlichkeiten der Stadt verewigt.
Familie
Fritz Bauer lebte lange in Kopenhagen, 1943 heiratete er in Dänemark Anna, geb. Petersen, und ließ sich später allein in Frankfurt/M. nieder. Die Hälfte seines Vermögens hinterließ Fritz Bauer der „Aktion Sühnezeichen“. Im Jahr 2003 wurde er anläßlich seines 100. Geburtstages in allen großen bundesdeutschen Zeitungen gewürdigt.
Verfilmung
- Der Staat gegen Fritz Bauer, BRD 2015
Filmbeiträge
Siehe auch
Fußnoten
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Fritz Bauer •
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