Goldmann, Nahum

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Nahum Goldmann

Nahum Goldmann (* 10. Juli 1895 in Wischnewo, Litauen [heute Wischnewa, Weißruthenien]; † 29. August 1982 in Bad Reichenhall) war ein israelischer Zionistenführer, Politiker, Schriftsteller;[1] insbesondere Gründer und langjähriger Präsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC).

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Stellen Sie sich vor, daß ich nach sechsmonatigen Verhandlungen mit dreihundertfünfzig Millionen Dollar nach New York zurückkehre. Das reißt keinen vom Stuhl. Fünfhundert Millionen aber sind eine glatte runde Summe, gegen die niemand etwas einwenden wird. Gut, dann eben eine halbe Milliarde, entschied der BRD-Kanzler Konrad Adenauer.

– Nahum Goldmann: Das jüdische Paradox, Kapitel: Wie man mit Geschichten erzählen Millionen verdient, Köln Frankfurt/M 1978


Werdegang

1895 kam im litauischen Wischnewo Nahum Goldmann zur Welt, der als jahrzehntelanger Führer der Zionistischen Internationale „König des Diaspora-Judentums“ genannt wurde. Goldmann war der Sohn des jüdischen Lehrers und Schriftstellers Solomon Zevi Goldmann.[2] Als sechsjähriger Knabe kam er nach Frankfurt am Main, wo sein Vater das „Frankfurter israelische Familienblatt“ herausgab.[3] Nach dem Besuch eines Gymnasiums studierte er Rechtswissenschaften und Philosophie in Marburg, Berlin und Heidelberg u. a. bei Karl Jaspers. Nach dem Ersten Weltkrieg promovierte er in Heidelberg 1920 bzw. 1921 zum Dr. jur. und Dr. phil..

Wirken

Während des Ersten Weltkrieges protestierte er gegen die Ausweisung jüdischer Ausländer und wurde selbst in Bad Nauheim interniert.[3] Goldmann verschaffte sich mit der prodeutschen Schrift „Der deutsche Krieg“ einen Posten in der Propagandaabteilung des Berliner Auswärtigen Amtes. Ernst Jaeckh holte ihn ins Auswärtige Amt, wo er in der Abteilung für Jüdische Fragen tätig war. Goldmann war für die u. a. von Eugen Mittwoch geleitete deutsche Nachrichtenstelle für den Orient tätig und schrieb Veröffentlichungen für die von Ernst Jaeckh herausgegebene „Deutsche Orientbücherei“.

Die Zionisten sahen Deutschland damals als Verbündeten gegen das als antisemitisch empfundene russische Kaiserreich und hofften auf Berlins Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Palästina-Pläne. Ab 1918 gab er hier auch wieder die „Freien Zionistischen Blätter“ heraus, reiste 1923 erstmals nach Palästina und gehörte ab 1926 der Leitung der „Zionistischen Vereinigung in Deutschland“ an.

Seit Mitte der 1920er Jahre gehörte Goldmann der Führung der Zionistischen Weltorganisation an. Bereits 1920 gründete er in Berlin die „Eschkol-Publikations-Gesellschaft“ und wirkte dort ab 1929 mit Jakob Klatzkin als Herausgeber der „Encyclopädie Judaica“, von der bis 1933 immerhin zehn Bände ausgeliefert werden konnten. Von 1929 bis 1933 war er als Repräsentant des Zionistischen Aktions-Komitees beim „Völkerbund“ in Genf tätig, wo er sich 1934 auch ansiedelte. 1933 war Goldmann zu Besuch bei seinem Vater in Palästina. Er kehrte nach Genf zurück und organisierte von dort aus die Auswanderung für Juden in Europa. Nahum Goldmann begann seine erstaunliche politische Karriere, die ihn an die Spitze der zionistischen Bewegung führte. In Deutschland in Abwesenheit wegen Hochverrats zum Tod verurteilt, vertrat er in Genf von 1935 bis 1940 die Jewish Agency. 1935 wurde er Mitglied des Exekutivausschusses dieser Institution. 1936 wurde er ferner zum Vorsitzenden der Administrationskommission des Jüdischen Weltkongresses gewählt, zu dessen Mitgründern er gehörte.

1940 kam Nahum Goldmann nach abenteuerlicher Flucht aus Frankreich über Spanien und Irland in die VSA, wo er eingebürgert wurde und bald als führender Vertreter der beiden großen Organisationen des Weltjudentums hervortrat. Unermüdlich setzte er sich für die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina ein, der im Mai 1948 Wirklichkeit wurde. Nahum Goldmann war damals politischer Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen. Ab 1951 war er Vorsitzender des Exekutivkomitees der Jewish Agency, von 1949 bis 1978 war er Chef des Jüdischen Weltkongresses und von 1956 bis 1968 Präsident der Zionistischen Weltorganisation (WZO). Seine Vision war es, Israel zu einem geistig-moralischen Zentrum für die Juden in aller Welt zu machen.

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Besuch Konrad Adenauers im Mai 1966 in Israel; Moshe Dayan, Nahum Goldmann, David Ben Gurion, Felix E. Shinnar

In der letzteren Funktion führte Nahum Goldmann im Anschluß an die New Yorker Konferenz jüdischer Organisationen im Oktober 1951 in aller Welt Besprechungen mit den maßgebenden Vertretern des Judentums und wußte politische Quellen für die Subvention Israels zu erschließen. Seine wohl größte – vor allem in VSA – Leistung war die 1951 eingeleitete Mittlertätigkeit zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion, die 1952 in einem „Wiedergutmachungsvertrag“ zwischen Israel und der Bundesrepublik mündete.[3]

Nahum Goldmann schuf 1951 die „Claims Conference“ zur Durchsetzung von „Wiedergutmachungsansprüchen“ gegen die Deutschen und gestand später ein, mit solch gewaltigen Milliardensummen, wie sie die Deutschen schließlich zahlten, niemals gerechnet zu haben. In diesem Zusammenhang verriet Goldmann: „Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Leute, die irgendwie eine Nazi-Belastung hatten, im Umgang die leichtesten waren." In seinem 1978 erschienenen Buch „Das jüdische Paradox" schilderte er, daß ihn Mussolini 1935 zu sich eingeladen habe, um einen Kompromiß zwischen Hitler und der Judenheit einzufädeln. Er, Goldmann, habe aber abgelehnt. Einen ähnlichen Vermittlungsversuch habe auch der deutsche Botschafter in London, Dr. Hoesch, unternommen, der ihn mit Göring zusammenbringen wollte. Auch dies lehnte der Zionistenführer ab. Goldmann im nachhinein: „Hätte ich Auschwitz voraussehen können, wäre ich vielleicht auf dieses Angebot eingegangen.“[2]

1951 wurde Goldmann Vorsitzender des Exekutivkomitees der Jewish Agency. 1952 vermittelte er zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland das Luxemburger Abkommen. 1954 gelang ihm ähnliches für Israel und Österreich.

Von 1956 bis 1968 war Nahum Goldmann als Nachfolger des 1952 verstorbenen Chaim Weizmann Präsident der zionistischen Weltorganisation. 1956 war er gleichzeitig Vorsitzender der Zweigstellen der Jewish Agency in New York und Jerusalem. Obwohl seinen Funktionen nach der engste Verbündete Israels, kam es immer wieder zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern der Regierung Israels und Goldmann, vor allem wegen dessen nonkonformistischer Haltung zur Außen- und Innenpolitik Israels. Auf Kritik stieß insbesondere Goldmanns stets wiederholtes Plädoyer für ein Arrangement Israels mit den arabischen Nachbarn sowie für eine absolute Neutralität als der einzigen Überlebenschance des jüdischen Staates. Goldmann hat auch kein Hehl aus seinen kulturzionistischen Vorstellungen gemacht, nach denen Israel weniger ein politisches als vielmehr ein geistiges Zentrum der Juden werden sollte, und er hat oft das mittelmäßige kulturelle Niveau des Staates Israel beklagt. Kritisiert wurde ferner Goldmanns „weicher“ Kurs gegenüber der Sowjetunion, der nach israelischer Ansicht viel zu wenig auf das Auswanderungsrecht der sowjetischen Juden drängte. Als Ärgernis wurde in Israel auch empfunden, daß Goldmann, der erst 1964 die israelische Staatsbürgerschaft erwarb (vorher VS-Bürger), weiterhin überwiegend im Ausland lebte (meist Paris, Genf oder New York) und damit seinem jüdischen Weltbürgertum treu blieb.

Ohne zionistische Grundauffassungen aufzugeben, mahnte er vor allem in seinen letzten Lebensjahren (er starb 1982 in Bad Reichenhall) zu einem gemäßigten Umgang mit Deutschen und Arabern. Den Deutschen riet er, die Unterwürfigkeit nicht zu übertreiben („Ich empfand den Philosemitismus als ein Hindernis bei der Normalisierung."), und schon in den 1970er Jahren nahm er hinter den Kulissen Kontakt zu Arafat auf.[2]

Typisch für seine eigenwilligen Aktionen war die sogenannte „Goldmann-Affäre“ im Jahre 1970, als Nahum Goldmann sich erbot, heimliche Vermittlungsgespräche mit dem ägyptischen Präsidenten Nasser zu führen, was die israelische Regierung jedoch verhinderte. Als Verrat wurden 1974 auch Goldmanns Versuche gewertet, mit dem PLO-Führer Jassir Arafat Kontakt aufzunehmen.[3]

Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses im November 1978 (unmittelbarer Nachfolger wurde Philip Klutznick, der wiederum Anfang 1981 von Edgar Bronfman abgelöst wurde) machte der „Staatsmann ohne Staat“, wie er sich selbst gern bezeichnete, weiterhin durch eigenwillige Aussagen zur Nahostpolitik von sich reden. Ungerührt über die kritische Resonanz in Israel verurteilte er die Siedlungspolitik des Premiers Menachem Begin („Die Bibel ist doch kein politisches Handbuch.“) und war zuletzt noch ein scharfer Kritiker des israelischen Libanon-Feldzuges („Die Israelis siegen sich noch zu Tode.“).

Familie

Nahum Goldmann war ab 1934 mit Alice, geb. Gottschalk, verheiratet und hinterließ zwei Söhne, Michael und Guido. Er starb am 29. August 1982 im Alter von 87 Jahren während eines Kuraufenthaltes in Bad Reichenhall. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Herzl-Berg in Jerusalem.[3]

Von 1960 an lebte er in Israel und der Schweiz, deren Staatsbürgerschaft er ab 1969 besaß. Im Lauf seines Lebens hatte er sieben Staatsangehörigkeiten und lebte zuletzt längere Zeit in Paris.

Zitate

  • „So besteht denn die erste Aufgabe unserer neuen Zeit in der Zerstörung: Alle sozialen Schichtungen und gesellschaftlichen Formungen, die das alte System geschaffen hat, müssen vernichtet werden, die einzelnen Menschen müssen aus ihren angestammten Milieus herausgerissen werden; keine Tradition darf mehr als heilig gelten; das Alter gilt nur noch als Zeichen der Krankheit; die Parole heißt: was war, muß weg.“[4]
  • „Als die Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts begann und die Juden – zumindest kulturell – aus ihrem Ghetto herauskamen und Anschluß suchten an die europäische Kultur, war das Hauptinstrument beinahe fast – ich will nicht sagen ausschließlich – das Deutsche. Der Einfluß der Deutschen, besonders aufs moderne Judentum war ungewöhnlich. Die Juden verdanken den Deutschen sozusagen alle Begegnungen mit der modernen europäischen Kultur.“[5]
  • „Ohne die deutschen Wiedergutmachungsleistungen, die in den ersten zehn Jahren nach der Gründung Israels einsetzten, besäße der Staat kaum über die Hälfte seiner heutigen Infrastruktur: alle Züge, alle Schiffe, alle Elekrizitätswerke sowie ein Großteil der Industrie sind deutschen Ursprungs.[6]
  • „Ich übertreibe kaum. Das jüdische Leben besteht aus zwei Elementen: Geld einsammeln und protestieren.“[7]

Siehe auch

Schriften

  • Der Geist des Militarismus, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart/Berlin, 1915
  • Staatsmann ohne Staat, Autobiographie, Köln, Kiepenheuer-Witsch, 1970
  • Das jüdische Paradox - Zionismus und Judentum nach Hitler, 1978, eva, Hamburg
  • Mein Leben. USA - Europa - Israel, 1981, 2. Bd. der Autobiographie, Langen-Müller
  • Mein Leben als deutscher Jude, 1982, Langen-Müller, München
  • Israel muß umdenken - Die Lage der Juden 1976, 1976, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg

Galerie

Verweise

Filmbeiträge

Fußnoten

  1. Internationales Biographisches Archiv 49/1982 vom 29. November 1982
  2. 2,0 2,1 2,2 David Korn: Wer ist wer im Judentum? - FZ-Verlag ISBN 3-924309-63-9
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 Munzinger-Archiv GmbH, 1982
  4. Nahum Goldmann: Der Geist des Militarismus. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart/Berlin, 1915. S. 37 f.
  5. Zitiert nach Alfred Pfaffenholz: Was macht der Rabbi den ganzen Tag, Patmos-Verlag, Düsseldorf, 1995, S. 8 und 9
  6. 96-book.png Scribd Nahum Goldmann: Das jüdische Paradox, Athenäum, Frankfurt/Main 1988, S. 171
  7. 96-book.png Scribd Nahum Goldmann: Das jüdische Paradox, Athenäum, Frankfurt/Main 1988, S. 77, Siehe auch:
    96-book.png Google-BücherNahum Goldmann: The Jewish paradox, Grosset & Dunlap, 1978, S. 52:

    „This is no great exaggeration. Jewish life has two elements: collecting money and protesting.“