Weidenfeld, Arthur

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George und Annabelle Weidenfeld (2004)

Arthur Weidenfeld (Lebensrune.png 13. September 1919 in Wien; Todesrune.png 20. Januar 2016 in London) – seit 1976 Sir Arthur George Weidenfeld, Baron Weidenfeld – war ein Jude aus Österreich, der in Großbritannien in den Hochadel aufstieg. Er hatte vielfältige Funktionen und Tätigkeiten in Großbritannien. So unter anderem britischer Journalist, Verleger und Diplomat – ferner war er Gastkolumnist für die aus dem Berliner Axel-Springer-Verlag kommende überregionale Tageszeitung DIE WELT.

Werdegang

Herkunft

Lord Arthur George Weidenfeld (Baron; Life Peer of Chelsea in Greater London, seit 1976) wurde am 13. September 1919 in Wien als Sohn und einziges Kind des klassischen Philologen Max Weidenfeld, der später ins Bankiers- und Versicherungsgeschäft wechselte, geboren. Seine Mutter war Rosa, geb. Eisenstein-Horowitz.

Ausbildung

Weidenfeld besuchte das Piaristengymnasium in Wien und studierte Rechtswissenschaft an der Wiener Universität und an der Diplomatenschule, wo Kurt Waldheim sein Studienkollege war. Früh wurde er nach Frankreich und Italien geschickt, um fremde Sprachen zu lernen. Als junger Mensch erlebte er den aufkommenden Zionismus unter den damals rund 250.000 Wiener Juden.

Wirken

Nach dem Beitritt Österreichs zum Deutschen Reich im Jahr 1938 ging Weidenfeld nach London und holte später seine Familie nach. „In London entwickelte er seine bis heute dauernde Passion, interessante Menschen und vor allem schöne Frauen kennenzulernen.“[1]

Im Zweiten Weltkrieg war Weidenfeld für den BBC-Abhördienst[2] und für die britische Radiopropaganda tätig, hauptsächlich für den „BBC Overseas Service“. Von 1939 bis 1942 arbeitete er als Journalist für den „BBC Monitoring Service“. Sein Dienst „Germany day by day“ wurde unentbehrlicher Bestandteil der BBC-Sendungen.

Ab 1942 wurde er als politischer Kommentator des BBC über Nachrichten aus Europa im Informationsdienst dieser Rundfunkanstalt für das britische Empire und Nordamerika bekannt, war viel auf Reisen, stellte Kontakte her und pflegte Beziehungen, was ihm später zustatten kam. Weidenfeld verfaßte eine wöchentliche Zeitungskolumne. 1943 und 1944 schrieb er auch außenpolitische Kolumnen für die liberale Zeitung „News Chronicle“.

1945 gründete er das „Contact Magazine“ und 1948 mit dem Diplomatensohn Nigel Nicolson (Sohn von Harold Nicolson und Vita Sackville West) den Verlag „George Weidenfeld & Nicolson Ltd.“, der einer der weltweit größten Verlage wurde und für den er bis zu seinem Tod tätig war. Der damals noch zögerliche Anlauf des Verlages – auch wegen seines Aufenthalts in Israel – konnte ab 1953 seine ersten Erfolge gegen die alteingesessene und entsprechend starke Konkurrenz verzeichnen. Ihm halfen dabei neben eigenem Wagemut, Findigkeit und Agilität auch die guten Verbindungen des „Nicolson-Clans“. 1946 wurde Arthur Weidenfeld britischer Staatsbürger.

Weidenfelds Geburtstagsfeier, mit Altkanzler Helmut Kohl und Lebensgefährtin Maike Richter
Kanzlerin Angela Merkel mit Lord Weidenfeld

Weidenfeld verstand es, sich Berichte und Erinnerungen wichtiger Zeitzeugen, nicht zuletzt auch Männer und Frauen (Zionisten) der ersten Stunde Israels, zu sichern, ganz gleich, aus welchem Lager sie kamen. So verlegte er neben Werken über das „Dritte Reich“ von Joachim Fest, Sebastian Haffner, Karl-Dietrich Bracher u. a. auch die Memoiren Albert Speers. „Speer war, als ich ihn kannte, kein Nazi.“ Mit der Zeit wurde sein Verlag einer der erfolgreichsten im britischen Verlagswesen. Schwierig war es, als er 1955 mit Nabokovs „Lolita“ einen Ausflug in die Belletristik unternahm, der Partner Nicolson seinen Unterhaussitz kostete, aber einen Absatz von 200.000 Exemplaren erbrachte. Zu den Romanautoren des Verlages gehörten u. a. Mary McCarthy, Saul Bellow, Norman Mailer, Louis Aragon, Giogio Bassani und Edna O’Brien. Weidenfelds persönliche Vorliebe galt allerdings dem anspruchsvollen Sachbuch und dem akademischen Bereich.[3]

Unmittelbar nach Entstehen des hebräischen Staates hatte ihn der erste israelische Präsident, Chaim Weizmann, 1949 für ein Jahr als politischen Berater (Kabinettschef) nach Israel geholt. Er nannte es einmal das „bewegendste Jahr meines Lebens“ und betonte immer wieder seine unverbrüchliche Zuneigung zu Israel und seiner Gesellschaft.

Mehreren Politikern in England gewährte er entscheidende Hilfestellung für ihre Karrieren, zum Beispiel Harold Wilson, dessen erstes Buch im Verlag „Weidenfeld & Nicolson“ erschien. 1976 auf Veranlassung des mit ihm befreundeten Premierministers Wilson zum „Life Peer“ gemacht, beschränkte sich seine politische Tätigkeit im wesentlichen auf Reden im Oberhaus, in denen er für Israel warb. Auf Harold Wilsons Vorschlag machte die Queen den jüdischen Verleger 1969 zum „Sir“ (als Knight Bachelor in den unteren Adelsstand erhoben) und verlieh ihm 1976 die Pairswürde (Lord Weidenfeld of Chelsea). Ein eigentlich politisches Amt übte er nicht aus, war aber dafür neben seiner Verlegertätigkeit als Kulturmäzen bekannt geworden und wagte 1985 zusammen mit Ann Getty und deren Mann den Sprung als Verleger nach den VSA. Er beteiligte sich an der „Wheatland Corporation“, die 1985 die „Grove Press“ kaufte. Zur gleichen Zeit beteiligte er sich an der Gründung der „Wheatland Foundation“ mit Sitz in San Francisco und Neu York.

Relativ früh ließ Weidenfeld sein Interesse für die Bundesrepublik Deutschland und die Umerziehung der Deutschen erkennen. Er schätzte Konrad Adenauer und bevorzugte die CDU und ihre Politiker. Weidenfelds Verlagsprogramm war stets besonders vielfältig. Bei ihm erschienen die Erinnerungen von Karl Dönitz ebenso wie die Memoiren beispielsweise von Ben-Gurion oder Golda Meir. 1993 riet er: „In mancher Hinsicht ist es heilsam für Deutschland, einen gemäßigten Nationalismus zu pflegen, der die positiven Züge der deutschen Geschichte und Kultur betont.“[2]

In den neunziger Jahren, nach dem Umschwung in Osteuropa, nahm sich Weidenfeld mit besonderem Nachdruck des osteuropäischen Judentums von Riga bis Baku und Tiflis an. Er setzte sich auch nach der Teilvereinigung für ein demokratisches Deutschland nach Vorbild der VSA ein. Er arbeitete eng mit Ignatz Bubis zusammen und nannte Bundeskanzler Helmut Kohl seinen Freund. Er sah in ihm den „Staatsmann, der das größte Verständnis und die größte positive Bereitschaft den Juden gegenüber hat“. Als Helmut Kohl in der Schwarzgeld-Affäre wegen des Verschweigens der Spender in Bedrängnis geriet, gehörte Weidenfeld zu den Persönlichkeiten, die Kohl bei der Beschaffung eines Ausgleichs für den Schaden, den die CDU erlitt, unter die Arme griffen. Seinen Gesprächen mit Kohl ist die Initiative zu verdanken, daß sich über die Bertelsmann-Stiftung seit 1991 zweimal im Jahr rund zwanzig führende jüdische Persönlichkeiten mit führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Deutschland zu Gesprächen über Tagesfragen, aber auch grundsätzliche politische Fragen, treffen. Ein besonderes Anliegen ist Weidenfeld auch der katholisch-jüdische Dialog („weil ich in einem katholischen Land aufgewachsen bin“).[1]

Berühmt wurden seine regelmäßigen „George-Dinners“, zu denen er in seiner Villa Persönlichkeiten aus allen Lebensbereichen um sich versammelte, um seine internationalen Verbindungen aus persönlichem Interesse und (früher) im Interesse der Verlagsarbeit zu pflegen. Aus diesen Kontakten entstand auch das von Weidenfeld mitgegründete Institut für Europäische Studien der Universität Oxford, das sich als Verbundsystem renommierter europäischer Universitäten (Oxford, Bonn, Leyden, Bologna, Genf und Paris) versteht.[1]

Von der eigentlichen Verlagsarbeit hatte sich Weidenfeld in seinen letzten Lebensjahren zurückgezogen, war aber immer noch „non-executive chairman“ des mehrheitlich verkauften Verlags. Auch war Weidenfeld an Begegnungen interessiert und äußerte sich zu aktuellen Fragen, so z. B. als Österreich wegen der Bildung einer schwarz-blauen Koalition an den Pranger gestellt wurde. Er lehnte die EU-Haltung als „sehr, sehr gefährlich“ ab. Im Oktober 1998 hielt Weidenfeld die Eröffnungsrede aus Anlaß der 50. Buchmesse in Frankfurt und zeichnete diese Zeitspanne aus der Sicht eines Weltbürgers nach.

In späten Lebensjahren stand Lord Weidenfeld im Mittelpunkt zahlreicher Ehrungen für seine Bemühungen um die europäische Integration und die transatlantischen Beziehungen.

Zitate zu George Weidenfeld

Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, über Lord Weidenfeld:

  • „Was sein Weltbild ausmacht, sind Antitotalitarismus, Sympathie und Unterstützung für die großen Demokratien der Welt – Amerika und England –, kein Verständnis für appeasement und opportunistische politische correctness und vor allem leidenschaftliches Engagement für Europa und Israel in der Schicksalsgemeinschaft gegen den Terror vormoderner fundamentalistischer Islamisten.“ Lord George Weidenfeld sei ein „Virtuose der Unterhaltung, ein glückhafter Lebenskünstler, homme de lettres und hommes des femmes, Schöngeist und Unternehmer, Diplomat und Politiker. Wie alle Großen ist er zu groß für eine Persönlichkeit. [...] Er kennt sie alle – und alle empfangen ihn. Blair und Brown, Kohl und Merkel, Perez und Olmert. Zwei Drittel der 100 wichtigsten Leute der Welt besuchen seinen virtuellen Salon.“[4]

Auszeichnungen

Aus der Fülle von Ehrungen, die Weidenfeld erhalten hat, sind die Ehrendoktorwürde der Ben-Gurion-Universität, eine weiter steigende Zahl von Ehrendoktoraten, der Order of the British Empire, die französische Ehrenlegion, das deutsche Bundesverdienstkreuz und das österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse (2000) zu erwähnen. 1997 wurde Weidenfeld zum Ehrensenator der Universität Bonn ernannt. Bundeskanzler Helmut Kohl sprach die Laudatio. Am 10. April 2003 erhielt er ein „Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das österreichische Bundesland Wien“.

  • 2012: Toleranzpreis der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste

Mitgliedschaften

Groß war auch die Zahl seiner meist ehrenamtlichen Tätigkeiten. Herausgegriffen seien: Chairman des Board of Governors der Ben-Gurion-Univ., Negev; Gov. der Univ. Tel Aviv und Mitglied des Weizmann Inst. of Science, des Potsdam Einstein Forums, der Jerusalem Foundation, der Herbert Quandt Foundation, um nur einige zu nennen. Er war ferner Aufsichtsratsmitglied verschiedener wirtschaftlicher und künstlerischer Unternehmungen.

In Frankfurt am Main konstituierte sich am 18. März 2003 das (von der Deutschen Bank unterstützte) „Institute for Corporate Cultural Affairs“ (ICCA), das mit Forschung und Dokumentation von Unternehmenskulturen einen Beitrag zur Definition ethischer Ziele der Unternehmen liefern will. Sein Kerngremium bildet ein „Weltethikrat“, genannt „World Corporate Ethics Council“, dessen Präsident Rolf-E. Breuer ist. Weitere Mitglieder sind Samuel Huntington, Jeremy Rifkin, Liz Mohn, Carly Fiorina und, als Ehrenmitglied, Lord George Weidenfeld.

Familie

Lord Weidenfeld war seit 1992 in vierter Ehe mit Annabelle Whitestone verheiratet. Aus erster Ehe hatte Weidenfeld eine Tochter.

Verweise

Fußnoten

  1. 1,0 1,1 1,2 Munzinger-Archiv GmbH, 2003
  2. 2,0 2,1 David Korn: Wer ist wer im Judentum?, FZ-Verlag, ISBN 3-924309-63-9
  3. vgl. das eingehende WELT-Interview; 20. Februar 1997
  4. Zwei Kanzler ehren Lord Weidenfeld, Bild, 17. September 2007